Humanitäre Grapscher

Sexuelle Belästigung
In den Büros der Hilfsindustrie sind sexuelle Übergriffe Alltag. Das zeigt eine Umfrage unter Mitarbeiterinnen. Gemeldet werden nur wenige Vorfälle.

Macht korrumpiert, und wer viel davon hat, lässt es häufig an Respekt gegenüber anderen  Mitmenschen fehlen. Dass das nicht nur in Politik und Wirtschaft so ist, sondern auch im Bereich der Nothilfe, zeigt eine Umfrage des Humanitarian Women’s Networks, einem weltweiten Zusammenschluss von Frauen, die für humanitäre Organisationen arbeiten.

Demnach ist mehr als die Hälfte der befragten Frauen im Rahmen ihrer humanitären Arbeit mindestens einmal sexuell belästigt worden, ein Drittel sogar mehrfach, viele von ihren Vorgesetzten. Das Spektrum reicht von unangenehmen Blicken und zweideutigen Kommentaren über unerwünschte Berührungen bis hin zu tätlichen Angriffen.

Für die Studie wurden zwischen Januar und März 2016 weltweit Frauen aus über 70 humanitären Organisationen befragt. 1005 von ihnen schickten eine Antwort zurück; viele beschrieben ihre Erlebnisse mit übergriffigen Männern. Eine beispielsweise packte ihr Abteilungsleiter bei einer Feier an beiden Armen und gab ihr einen unerwünschten Zungenkuss. Eine andere wurde in ihrem Büro von einem Kollegen bei einer Auseinandersetzung ins Gesicht geschlagen.

Zwar wurden laut Umfrage einheimische und internationale Angestellte gleich oft Ziel von Belästigungen. In den Fällen, in denen es zu Belästigungen kam, wurden die einheimischen Frauen aber im Durchschnitt von den übergriffigen Männern häufiger belästigt als Frauen internationaler Herkunft.

Nur ein knappes Drittel der Betroffenen hat nach eigenem Bekunden die Vorfälle gemeldet: vor allem aus Angst um ihre berufliche Position, aus Mangel an Vertrauen, dass sich etwas ändert, oder gar aus Angst vor Repressalien des Beschuldigten. Die Datenlage macht ihnen leider nicht gerade Mut: Diejenigen, die Vorfälle angeprangert hatten, fühlten sich meist anschließend von ihren Kollegen herabgesetzt oder ignoriert. Zwei berichteten sogar, direkt danach entlassen worden zu sein. Ein weites Feld, das es für humanitäre Organisationen zu beackern gilt – nicht nur im Auslandseinsatz, sondern auch intern.

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