Die Andere räumt auf

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Hausangestellte
In Peru ist es bis in die untere Mittelschicht hinein gang und gäbe, eine Hausangestellte zu beschäftigen. Das tun auch Feministinnen ohne schlechtes Gewissen.

Mittwochnachmittag an der Küstenpromenade von Miraflores, einem betuchten Stadtviertel Limas. Auf dem Spielplatz vergnügen sich zehn Kinder im Alter zwischen einem und etwa sieben Jahren. Die Kleinsten üben ihre ersten Schritte, die etwas Größeren klettern wagemutig die Rutsche hoch. Alle werden von dunkelhaarigen Frauen begleitet, manche führen die Kinder an der Hand, andere stecken mit etwas Abstand in einer Ecke die Köpfe zusammen und betrachten einen Kosmetik-Katalog. Sie sind nicht die Mütter der Mädchen und Jungen, sie werden für ihre Dienste bezahlt.

„La Otra“, die andere Frau, nannte die peruanische Künstlerin Natalia Iguiniz vor 15 Jahren solche Hausangestellte. Ein mit Absicht gewählter, zweideutiger Titel – ist doch mit „La Otra“ in Lateinamerika die Nebenbuhlerin im Bett des Ehemanns gemeint. Die „Andere“, das ist aber auch die meist unsichtbare Frau, die die Arbeit im Haushalt übernimmt und die Kinder betreut. Für ihr Projekt porträtierte Natalia Iguiniz Frauen aus ihrem mittelständischen Bekanntenkreis in Lima zusammen mit deren Angestellten. Auf den Fotos waren alte, junge, dicke, dünne Frauenpaare in Originalgröße zu sehen. Nur zwei Dinge ließen auf den ersten Blick erkennen, wer Herrin und wer Dienerin war: die Hausangestellten waren kleiner, und sie waren dunkelhäutiger als ihre Chefinnen.

Damit zeigte sie: Die Tradition der Hausangestellten in Lateinamerika ist ohne den Kolonialismus und den damit einhergehenden Rassismus nicht zu verstehen. Gerne meint man, die so genannten Mestizen, die Nachfahren von Weißen und Indigenen, lieferten einen lebenden Beweis gelungener Integration. Dahinter versteckt sich aber ein noch immer funktionierendes Kastensystem, das die Menschen nach Hautfarbe und Herkunft einteilt, vor allem in Ländern mit hohem indigenem oder afrikanischem Bevölkerungsanteil. Hausangestellte in Peru sind noch immer indigener oder afroperuanischer Abstammung. Geändert hat sich allein die Bezeichnung: Während man früher „sirvienta“(Dienstbotin) oder „empleada doméstica“ (Hausangestellte) sagte, lautet die offizielle Bezeichnung heute „trabajadora del hogar“ (Hausarbeiterin).

Das soll nahelegen, dass bezahlte Hausarbeit ein Job wie jeder andere ist. Doch dazu fehlt noch viel. „Auch heute sind die Frauen nicht stolz darauf, in einem fremden Haushalt zu arbeiten“, sagt Blanca Figueroa. Die Psychologin gründete vor 45 Jahren die Beratungs- und Weiterbildungsstelle „La Casa de Panchita“ für Hausangestellte in Lima. Laut Arbeitsministerium gebe es 400.000 bezahlte Hausangestellte, sagt Figueroa. „Aber viele geben aus Scham ihren Beruf nicht an“, sagt die Frau mit den kurzen weißen Haaren und dem freundlichen Lächeln. „Oft sind es auch Mädchen vom Land, die von einer entfernten Verwandten in die Stadt gelockt werden unter dem Vorwand, hier könnten sie in die Schule gehen.“

Hausarbeit in Bolivien und Brasilien

Anders als im konservativ regierten Peru haben linke Regierungen in Brasilien und Bolivien die Lage der Hausangestellten inzwischen mithilfe von Gesetzen verbessert. In Bolivien ist vorgeschrieben, dass sie ...

Ausschlaggebend für den Ausbeutungsgrad der Hausangestellten ist, ob sie „cama adentro“ oder „cama afuera“ arbeitet, ob sie mit im Haus lebt oder abends in ihr eigenes Heim zurückkehrt. Zu Zeiten der größten Landflucht und Vertreibung durch den Bürgerkrieg blieb vielen Frauen und Mädchen nichts anderes übrig, als „cama adentro“ anzunehmen. Es war die einzige Möglichkeit für sie, eine Bleibe und ein Auskommen in der Stadt zu finden. Im Gegenzug standen sie ihren Chefinnen rund um die Uhr zur Verfügung. An ein Privatleben war  nicht zu denken. „Heute haben sehr viele Hausangestellten eine eigene Wohnung oder leben bei Verwandten“, sagt Blanca Figueroa.

Die Frauen ziehen es vor, ein paar Stunden im chaotischen Verkehr Limas unterwegs zu sein, statt ihre Freiheit und Privatsphäre aufzugeben. Dabei ist es auch in neuen Hochhauswohnungen immer noch üblich, einen Verschlag hinter der Küche als „cuarto de servicio“, als Dienstbotenzimmer, auszuweisen. Dort haben oft nur ein Bett, ein Fernseher und ein paar Kleiderhaken Platz. Was nie fehlen darf: ein winziges Bad mit WC und Dusche. Denn sonst müssten Hausangestellte das Bad der Familie benutzen. Bis heute findet man in Privatklubs der Mittel- und Oberschicht eigens für sie gekennzeichnete Waschräume.

Anders als früher können sich Hausangestellte heute ihre Arbeitsstelle aussuchen. Gute Kräfte sind rar und die Nachfrage nach Frauen, die im Haus mitwohnen – und damit auch abends und früh morgens zur Verfügung stehen – ist um ein vieles größer als das Angebot. Der Wirtschaftsboom der vergangenen 15 Jahre hat auch für Frauen ohne Ausbildung neue Jobmöglichkeiten geschaffen, als Verkäuferin in einem der neuen Kaufhäuser oder als Spargelstecherin auf dem Land.

Bezahlung unter Mindestlohn

Dennoch stehen Hausangestellte noch immer ganz unten in der Lohnskala. Zumindest wenn man dem jüngsten Bericht der staatlichen Ombudsstelle zur Situation der Hausarbeiterinnen Glauben schenkt. Danach ist die Zahl der Hausangestellten zwischen 14 und 24 Jahren von 2010 bis 2014 um zehn Prozent zurückgegangen, 45 Prozent von ihnen arbeiten mehr als die erlaubten wöchentlichen 48 Stunden. Nur 13 Prozent sind rentenversichert. Der Durchschnittslohn betrage 517 Soles (rund 140 Euro) im Monat– rund 100 Euro weniger als der peruanische Mindestlohn.

Peru hat den Artikel 189 der ILO-Konvention über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte nicht ratifiziert.  Diese haben damit kein Anrecht auf den Mindestlohn und sind bei bezahlten Ferien und den Rückstellungen, die der Arbeitgeber für die künftige Rente tätigen muss, gegenüber anderen Branchen schlechter gestellt. Ein mündlicher Vertrag gilt bislang als ausreichend. Das rächt sich, wenn die Hausangestellte später beweisen will, wie viele Jahre sie gearbeitet und damit ein Anrecht auf  Rückstellungen erworben hat. Blanca Figueroa von der „Casa de Panchita“ wäre schon froh, wenn die seit 2003 geltenden gesetzlichen Regelungen eingehalten würden: maximal 48 Stunden Arbeit pro Woche, Kranken- und Rentenversicherung.

In peruanischen Familien ist es bis weit in die untere Mittelschicht hinein gang und gäbe, eine Hausangestellte zu beschäftigen. „Man muss schon sehr arm sein, wenn man niemanden im Haus hat, und wenn es nur eine arme Verwandte vom Land ist, der man ein Taschengeld zahlt“, kommentiert Blanca Figueroa. Denn es ist extrem billig, die lästige Haus- und Kinderarbeit abzugeben. Für umgerechnet 15 Euro putzt eine Frau in Lima den ganzen Tag. Soviel kostet ein Mittagessen für zwei Personen in einem guten Restaurant.

Mehr Zeit für den Job - und die Familie

„Hausarbeit ist viel zu schlecht bezahlt“ sagt Kelly Alfaro. Sie teilt sich mit ihrem Mann Paul die Erwerbsarbeit und die Erziehung ihres zweijährigen Sohnes. Damit sind sie in Peru eine große Ausnahme. Trotzdem beschäftigen sie ganztägig eine Hausangestellte. „Unsere Eltern können unser Kind nicht betreuten, und mir ist es wichtig, dass er etwas Gutes zu essen bekommt“, sagt die 31-jährige Umweltingenieurin, die auf dem Land und ohne Angestellte groß geworden ist. Dafür verzichtet sie gerne auf Urlaub im Ausland. Da die Hausangestellte auch die Wohnung sauber hält, bleibt ihr am Wochenende mehr Zeit für die Familie. „Früher ging bei uns der ganze Samstag mit Putzen drauf.“

Kelly Alfaro bezeichnet sich als Feministin, und das tut auch die Universitätsdozentin und Menschenrechtsaktivistin Rocío Silva Santistéban. Beide wissen um den Widerspruch, dass ihre Berufsarbeit so viel besser bezahlt wird ist als die Hausarbeit. Dennoch haben sie kein schlechtes Gewissen: „Es ist doch gut, wenn ich einer Frau Arbeit gebe, die sonst keine Arbeit hat. Außerdem bezahle ich sie über dem ortsüblichen Tarif, und ich behandle sie respektvoll“, sagt Rocío Silva Santistéban und spricht damit wohl für viele aufgeklärte Frauen aus der peruanischen Mittelschicht.

Manche Frauen können tatsächlich den Job im Haushalt einer anderen für den eigenen Traum nutzen. „Ich fühle mich nicht ausgebeutet“, sagt Silia Pineda. Die 20-Jährige aus Iquitos im Amazonasgebiet ist seit drei Jahren Kindermädchen für verschiedene Familien in Lima. Momentan hütet sie ein zweijähriges Mädchen und putzt auch im Haushalt. Sie schläft von Montag bis Samstag im Kinderzimmer ihres Schützlings und verbringt den Samstagabend und den Sonntag bei einer Tante.  „Mir gefällt meine Arbeit, ich verstehe mich gut mit der Chefin“, sagt sie. Im Monat verdient sie 1200 Soles, rund 350 Euro, von denen sie das meiste spart. „Ich möchte eine Ausbildung im Tourismus machen und danach ein Hostel in meiner Heimatstadt Iquitos eröffnen“, verrät sie.

Der Mann wird nicht gefordert

Einer fehlt in der Debatte über Hausangestellte in Peru: der Mann. Seine Mitwirkung in Haushalt und Kindererziehung wird gar nicht erst eingefordert. In peruanischen Mittelschichts­ehen gibt es keinen Streit darüber, wer den Müll hinausbringt oder das Geschirr spült. „Die eigentliche Trennlinie verläuft zwischen Männern und Frauen“, meint Laura Carpentier-Goffre. Die französische Soziologin forscht über Hausangestellte in Peru, Bolivien und Chile. „Die Rollen zwischen der Frau des Hauses und der Hausangestellten sind austauschbar“, hat sie festgestellt. „Wenn eine Hausangestellte da ist, dann wird die Frau des Hauses zu einer Art Managerin des Haushalts, aber der Mann muss sich weiter um nichts kümmern.“ Diese Austauschbarkeit schüre auch Angst und Aggressionen. Je näher sich Arbeitgeberin und Angestellte sozial stünden, desto eher komme es zu Übergriffen und schlechter Behandlung, desto wichtiger sei es der Frau des Hauses, ihre „Chefinnen“-Rolle zu betonen.

Autorin

Hildegard Willer

ist freie Journalistin und lebt in Lima (Peru).
Die Künstlerin Natalia Iguiniz bestätigt das. Auf einem Foto ihrer Porträtreihe „Die Andere“ stehen zwei gleich alte, gleich große Frauen mit gleicher Hautfarbe nebeneinander. Es ist das einzige der Doppelporträts, auf dem nicht sofort sichtbar ist, wer Chefin und Bedienstete ist. „Das hat die Besucher sehr verstört“, erinnert sich Natalia Iguiniz.

Die Künstlerin hat die Porträts für „La Otra“  2001 fotografiert. In den 15 Jahren dazwischen hat sie geheiratet, zwei Kinder bekommen, sich scheiden lassen und lebt nun alleine mit ihren Kindern in Lima. Vor einem Monat hat sie einen Protestmarsch mit einer halben Million Teilnehmenden gegen Gewalt an Frauen organisiert. Natalia Iguiniz ist Feministin. Und auch sie hat eine Hausangestellte. Susi putzt, kocht, holt die Kinder von der Schule ab, bringt sie zum Ballett oder Fußball und spült am Montag das Geschirr vom Wochenende.

Über die Widersprüche ist sich Natalia im Klaren, ebenso darüber, dass sie ihre Kinder damit in der alten Hausangestelltentradition erzieht. Sie ist aber auch ehrlich: „Ich arbeite wesentlich lieber außerhalb des Hauses als darin. Und ohne Susi könnte ich als alleinstehende Frau nicht meine Kinder bei mir haben und zugleich arbeiten.“ Ob sie die Porträtreihe „La Otra“ auch heute, 15 Jahre später, genauso realisieren würde? Natalia Iguiniz wird still, überlegt. Und sagt dann, fast überrascht über die eigene Erkenntnis: „Ja.“

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Liebe Hildegard,

danke für diesen Einblick in die Realität in Peru, die in der Schweiz gar nicht so anders ist: Auch hier können Frauen vielfach nur berufstätig sein, weil sie Care-Arbeit 'outsourcen'. Und auch hier braucht es viel, damit Männer ihren Teil übernehmen.

Sie herzilch gegrüsst von
Esther. (Ex-BMI wie du)

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erschienen in Ausgabe 11 / 2016: Frauen: Gemeinsam stark
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