„Staus sind unser schlimmstes Problem“

Stadtplanung
Städte sollen lebenswerte Orte für alle werden – mit diesem Ziel befasst sich die Konferenz Habitat III in Quito. Marco Kusumawijaya erklärt, wie er in seiner Heimatstadt Jakarta dazu beitragen will.

Leben Sie gerne in Jakarta?
Ich könnte mir keinen anderen Ort vorstellen. Hier hat man alles in Reichweite. Die Stadt verändert sich ständig, traditionelle Plätze werden wiederbelebt und es entstehen interessante neue. Das ist nicht nur der Stadtverwaltung zu verdanken, sondern auch jungen Unternehmern und einer lebendigen Zivilgesellschaft.

Wächst die Stadt immer noch?
Im Zentrum ist die Zahl der Einwohner geschrumpft. Anstelle von Wohnungen werden immer mehr Geschäftsgebäude gebaut. Es gibt nur noch wenige und sehr teure Wohnungen. Die angrenzenden Distrikte haben jedoch die höchsten Wachstumsraten in Indonesien. Und viele der Einwohner pendeln jeden Tag zur Arbeit nach Jakarta. In der Stadt leben laut der jüngsten Volkszählung von 2010 rund 9,6 Millionen Menschen. Tagsüber steigt diese Zahl auf 11,5 Millionen.

Das bringt uns zum Thema Verkehr. Wie ist die Lage in Jakarta?
Unser größtes Problem sind die Staus. Zurzeit wird die erste U-Bahn-Linie gebaut, die von Norden nach Süden führt. Das ist sinnvoll, wird den Verkehr aber nicht sonderlich verringern.

Was wäre besser?
Generell: den Berufsverkehr reduzieren. Man müsste den Verkehrsplan mit dem Raumordnungsplan verzahnen. Für die Planung sollte man sich stärker auf wissenschaftliche Erhebungen stützen. Das ist bislang nicht der Fall. Und man müsste ein Schnellbus-System einrichten. Außerdem müsste man für mehr bezahlbare Wohnungen im Zentrum von Jakarta sorgen. Diejenigen, die in Jakarta arbeiten, könnten dann auch dort wohnen. So wie Berlin das unter seinem Bürgermeister Klaus Wowereit gemacht hat. Wir können zwar den Anstieg der Mieten nicht stoppen, aber wir können ihn verlangsamen, so dass der Anstieg der Einkommen Schritt halten kann. 

Was tut die Stadtverwaltung für die Armen?
Ein Programm, um die Slums aufzuwerten, gab es bereits spätestens in den 1930er Jahren, unter der niederländischen Kolonialherrschaft. Nach der Unabhängigkeit, in den späten 1960er Jahren, wurde ein ähnliches Programm mit Geld von der Weltbank aufgelegt. Gegenwärtig siedelt die Regierung unter dem Vorwand des Umweltschutzes viele Menschen, die an den Ufern der Flüsse leben, in mehrstöckige, billige Apartment-Blöcke um. Die meisten Vertreibungen stehen in Zusammenhang mit Programmen zum Schutz der Flüsse. Manche Menschen mussten 20 Kilometer von ihren ursprünglichen Vierteln wegziehen, vor allem für Fischer ist das schwierig.

Stadt- und Landesregierung planen außerdem eine „Giant Sea Wall“, einen riesigen Deich in der Bucht vor Jakarta. Sie kritisieren das Projekt. Warum?
Mit diesem Deich, der eine Länge von 32 Kilometer haben soll, will die Regierung Jakarta vor dem Anstieg des Meeresspiegels schützen. Außerdem soll das Wasser unserer 13 Flüsse in Lagunen gesammelt werden, wo es aufbereitet und in die Stadt zurückgepumpt werden soll. Das ist absurd, die Flüsse sind viel zu dreckig. Wenn man ihr Wasser in der Bucht sammelt, würde man dort auch den ganzen Schmutz sammeln. Und es wäre viel zu teuer, das Wasser aufzubereiten. Zusätzlich zu dem Deich will die Regierung in der Bucht 17 künstliche Inseln errichten lassen, um dort Menschen anzusiedeln, wie sie sagt. Aber das ist genauso sinnlos, denn die Bevölkerungsdichte in Jakarta ist gar nicht so hoch. Die Gebäude, die auf den Inseln gebaut werden sollen, sind Spekulationsobjekte für Baulöwen. Mit den Bedürfnissen der einfachen Bürger hat das nichts zu tun.

Werden der Deich und die Inseln schon gebaut?
Drei Inseln gibt es schon. Wir haben gegen die Errichtung der einen geklagt und vor Gericht gewonnen, so dass der Bau gestoppt werden muss. Fischergemeinschaften an der Küste haben Klage gegen die beiden anderen erhoben. Der Deich ist vorerst nur geplant.

Wie könnte man arme Menschen besser vor den Folgen des Klimawandels schützen?
Man könnte Deiche entlang der Küste bauen, das wäre viel billiger als die 36 Milliarden US-Dollar teure „Giant Sea Wall“. Außerdem hat Jakarta ein weitaus größeres Problem: Der Meeresspiegel steigt jährlich um sechs Millimeter, aber das Land sinkt pro Jahr drei bis 20 Zentimeter ab. Gründe dafür sind der sinkende Grundwasserspiegel, die hohe Belastung durch Gebäude sowie die Bewegung der Kontinentalplatten. In Jakarta haben nur die Hälfte der Haushalte Zugang zu einer Wasserleitung. Man muss dafür sorgen, dass sich dieser Anteil erhöht, der Grundwasserspiegel aber nicht weiter sinkt. Das kann man zum Beispiel erreichen, indem man aufforstet, denn das Pflanzen von Bäumen hebt den Grundwasserspiegel.

Wie können Sie mit Ihren Ideen die Stadtpolitik beeinflussen?
Derzeit protestieren viele zivilgesellschaftliche Gruppen gegen den Gouverneur von Jakarta, weil er für die Vertreibungen und die umweltschädlichen Projekte wie die künstlichen Inseln und den Riesendeich verantwortlich gemacht wird. Ich selbst will mich im kommenden Januar als Gouverneur zur Wahl stellen. Außerdem unterstützen meine Kollegen vom Rujak Center for Urban Studies und ich Initiativen der Zivilgesellschaft. Wir arbeiten mit Fischern, Vertriebenen und armen Stadtbewohnern.

Wollen Sie eine politische Karriere einschlagen?
Nein, eigentlich nicht. Ich nutze den politischen Prozess, um eine öffentliche Plattform für uns zu schaffen, auf der wir laut sagen können, dass wir die derzeitige Politik ablehnen und unsere Ideen für eine nachhaltige Stadt vorstellen können.

Städte nachhaltig zu gestalten ist auch ein Ziel der UN-Konferenz Habitat III Ende Oktober in Quito. Was erhoffen Sie sich von dem Treffen?
Wenig. Ich engagiere mich auf der lokalen Ebene und sehe hier viel größere Möglichkeiten voranzukommen als durch die Diskussion allgemeingültiger Prinzipien auf internationaler Ebene.

Wäre es mit der geplanten „New Urban Agenda“ nicht einfacher für Sie, Ihre Regierung zur Verantwortung zu ziehen?
Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Regierung sich jemals an eine internationale Vereinbarung gehalten hat. Sie stimmt zu und verhält sich dann doch ganz anders. Nehmen Sie die Vertreibungen: Es gibt unzählige Konventionen und Prinzipien, die das verbieten. Sie werden alle ignoriert. Außerdem brauchen wir keine neue Agenda. Wir müssen ja immer noch die alten von Habitat I 1976 und Habitat II 1996 erfüllen: angemessenen und bezahlbaren Wohnraum, sauberes Trinkwasser und ein Abwassersystem schaffen. Das Etikett „neue Agenda“ ist nutzlos. Natürlich ist das Bewusstsein für Umweltschutz heute größer als vor 20 Jahren. Aber eine „neue Agenda“ sehe ich nicht. Solche Begriffe lenken die Regierungen von Entwicklungsländern von alten Problemen ab. Ich wünsche mir, Regierungen wie die deutsche würden sie daran erinnern, ihre Hausaufgaben zu machen.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2016: Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?
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