Man muss es Open Doors lassen: In punkto Medienpolitik haben sie echte Profis in ihren Reihen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD), der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und dem katholischen Hilfswerk Kirche in Not schlug das evangelikale Hilfswerk Mitte Mai Alarm: In deutschen Flüchtlingseinrichtungen komme es „gehäuft“ zu Übergriffen auf christliche Flüchtlinge. 231 Fälle könne man belegen, die Dunkelziffer müsse aber viel höher sein, weil viele Opfer sich nicht trauten, offen zu reden.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) ist einigen der genannten Fälle nachgegangen. Sie kommt zu einem gänzlich anderen Schluss: Von einer „flächendeckenden Christenverfolgung“ könne nicht die Rede sein. Die Open Doors-Studie sei unseriös. Seither übernehmen Zeitungen aus dem liberalen bis linken Spektrum die Sichtweise der FAS und wiegeln das Thema ab, während konservative Blätter und evangelikale Kreise vor einer importierten Christenverfolgung warnen. Damit hat Open Doors wieder einmal sein Ziel erreicht: Das Thema Christenverfolgung ist in den Schlagzeilen.
Für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist das Thema offenbar zu heikel, um sich öffentlich in die Debatte einzumischen. Zwar sah sich die DBK nach der Veröffentlichung der Open-Doors-Studie gezwungen, die Ergebnisse einer eigenen Umfrage in Flüchtlingseinrichtungen in den (Erz-)Bistümern bekanntzugeben – allerdings nur in einer kurzen Meldung auf der eigenen Homepage. Darin heißt es: „Einschüchterung und Diskriminierung (bis hin zu Gewalt) gegenüber christlichen Bewohnern von Flüchtlingseinrichtungen sind kein geläufiges, wohl aber ein immer wieder auftretendes Problem, das ernstgenommen werden muss.“
Mehr Schutz für alle Minderheiten
Die EKD äußert sich nur auf Nachfrage dazu. „Wir kommentieren weder die Arbeit von Open Doors noch die Mediendebatte darüber“, sagt Horst Gorski, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD und Leiter der Abteilung Öffentliche Verantwortung. Übergriffe auf christliche Flüchtlinge würden jedoch ernstgenommen. „Jeder einzelne Fall ist einer zu viel“, betont Gorski. Solange die Größenordnung des Problems aber nicht klar sei, wolle man sich nicht in eine Debatte einmischen, die die Gesellschaft spalten könnte. „Es ist derzeit kaum möglich, flächendeckende Erhebungen zu machen, die eine abschließende Beurteilung des Ausmaßes von Christenverfolgung in deutschen Asylunterkünften zuließen.“ Diese Ansicht vertritt auch die DBK: Sie hält eine Quantifizierung des Problems aufgrund der vorliegenden Informationen nicht für möglich.
Ein Haupthindernis ist die Tatsache, dass Asylsuchende bei ihrer Registrierung nicht nach ihrer Religion gefragt werden. Es ist unklar, wie viele christliche Flüchtlinge in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen sind. Doch für die beiden großen Kirchen stehen Zahlen sowieso nicht im Vordergrund. „Wir setzen uns insgesamt für die Verbesserung der Verhältnisse in den Unterkünften ein, um das Zusammenleben vieler Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund so friedlich wie möglich zu gestalten“, sagt Gorski.
Landeskirchen und diakonische Landesverbände suchten zudem Wege, um traumatisierte Flüchtlingen seelsorgerlich und psychologisch besser zu betreuen. Und schließlich müsse es Standards für das Führungs- und Sicherheitspersonal von Einrichtungen geben. „Die Verantwortlichen müssen sensibel sein, nicht nur für die besondere Situation von christlichen Flüchtlingen, sondern insgesamt für religiöse, ethnische und alle anderen Minderheiten“, sagt Gorki: „Schutzlose Menschen müssen Schutz bekommen.“
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