Nguyen Trinh Thi, warum arbeiten Sie als Filmemacherin?
Es geht mir weniger darum, mich politisch zu engagieren. Ich war schon immer neugierig auf die Welt und wollte mich künstlerisch ausleben. Ich liebe es, Stunden in der Dunkelkammer zu verbringen. Oft war ich nächtelang dort. Später habe ich angefangen, mich selbst als Dokumentarfilmerin auszuprobieren und meine ersten Themen zu finden.
Welche waren das?
Mein erster Film heißt „Love Man, Love Woman“. Es geht darin um Homosexualität in Vietnam und die „Dao Mau“-Religion, einen in Vietnam verbreiteten Muttergöttinnen-Kult. Viele gesellschaftlich diskriminierte Homosexuelle, Transvestiten und Transgender leben in solchen religiösen Gemeinden zusammen.
Sie haben sich in Ihren Filmen auch mit der Geschichte Vietnams beschäftigt.
Ja, das kam später. Ich habe mich früher nicht besonders für Geschichte interessiert. In der Schule habe ich nie an das geglaubt, was uns gelehrt wurde. Alle wussten, dass es nur Propaganda ist. Also fand ich es langweilig. Das war und ist der Grund, warum viele junge Menschen kein Interesse an Geschichte haben. Erst in den USA habe ich viel darüber gelesen, weil ich aus einem anderen Blickwinkel auf meine Heimat schauen konnte.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Filmen Jugendliche für Geschichte begeistern können?
Das Problem ist: Es ist wirklich schlimm mit der Zensur. Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen wir auf Platz 175 von 180 – ganz am unteren Ende mit Nordkorea und China. Für Filme muss man eine Genehmigung einholen, theoretisch auch schon für den Dreh und das Skript. Alles wird geprüft. Viele der neuen Filmemacher fragen erst gar nicht nach der Erlaubnis. Das macht es schwierig. Am besten dreht man vor allem in privaten Räumen. Viele meiner Filme sind so entstanden.
Dürfen Ihre Filme in Vietnam überhaupt gezeigt werden?
So gut wie gar nicht. Ich würde auch nie nach einer Genehmigung fragen. Das wäre viel gefährlicher für mich, als heimlich zu drehen. Aber beim DocLab dürfen sie gezeigt werden. Das ist ein Zentrum für Dokumentarfilme und Videokunst, das ich zusammen mit dem Goethe-Institut in Vietnam gegründet habe. Bis vor zwei oder drei Jahren war das wie ein geschützter Raum. Wir konnten alles darin vorführen, auch ohne Genehmigung. Der Regierung hat das DocLab aber nie gefallen. Bei einer regierungskritischen Videoinstallation eines Freundes kamen Beamte vorbei und haben uns aufgefordert, sie nicht mehr zu zeigen. Danach hat sich einiges geändert. Das Goethe Institut muss jetzt auch fast alles genehmigen lassen.
Wie gehen Sie und Ihre Kollegen in Vietnam damit um?
Wir versuchen, uns Ausweichmöglichkeiten zu schaffen. 15 Jahre lang war das Haus eines Freundes in Hanoi ein Künstlertreffpunkt. Dort gab es viele Ausstellungen. Manchmal kam die Polizei, aber meist blieb es ruhig. Doch der Ort wurde immer bekannter. Bei einem Festival trat eine der Künstlerinnen nackt auf – und ein Foto davon ging durch die Presse. Danach hat die Polizei das Haus dichtgemacht. Das hat mich wirklich sehr getroffen. Die Regierung hat Angst vor Künstlern, weil die Kunst zum kritischen Denken anregen könnte.
Hatten Sie selbst schon einmal Probleme mit den strengen Regeln?
Ja. Ich drehe eigentlich nirgends, wo es gefährlich ist. Aber vor etwa sechs Jahren war ich auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad zwischen Süd- und Nordkorea unterwegs. Ich habe vor allem die Landschaft gefilmt, aber auch mit ein paar Frauen gesprochen. Es war eher Smalltalk. Doch plötzlich kamen ein paar lokale Beamte. Sie haben mir erst die Kamera weggenommen und mich dann stundenlang verhört. Sie wollten sich alle Aufnahmen ansehen. Aber ich habe es geschafft, den Film mit den Gesprächen herauszunehmen und zu verstecken. So hatten sie nur den harmlosen Film mit den Landschaftsbildern.
Was ist auf dem anderen Film zu sehen?
Ich habe mit den Frauen über ihre harte Arbeit im Straßenbau gesprochen und darüber, wie sie den Krieg erlebt haben. Teilweise haben sie sich über Korruption in den Lokalregierungen beschwert. Und wenn Leute die Regierung kritisieren, kann das für sie gefährlich werden.
Sie sind seit August beim Künstlerprogramm des DAAD in Berlin zu Gast. beim Woran arbeiten Sie in Deutschland?
Gerade habe ich eine Filmserie ergänzt, mit der ich schon 2010 angefangen habe. Es soll noch weitere Teile geben. Es geht um Künstler in Vietnam und die Probleme mit der Zensur, auch rückblickend. Drei oder vier Jahrzehnte lang durfte niemand etwas veröffentlichen, es gab viele Jahre nur eine Form von Literatur und Kunst: Sozialistische Propaganda. In dem neuen Film arbeite ich moderne Klassiker aus Vietnam neu auf. Und ich überlege, etwas über die Umweltprobleme in Vietnam zu machen, die immer gravierender werden.
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