Der Zensor sitzt im Kopf

Pressefreiheit in Myanmar
Journalisten können nach Jahrzehnten der Unter­drückung erstmals freier berichten. Die Angst vor Repressalien aber bleibt.

Straßengeräusche hallen durch das Treppenhaus. An den Wänden kleben rote Reste von Betelnuss, die in Myanmar viele kauen, da sie den Hunger stillt und die Müdigkeit vertreibt. Wer aus den vergitterten Fenstern im Flur blickt, sieht eine pulsierende Stadt. Nach Jahrzehnten der Isolation wandelt sich Rangun schnell. Touristen und Investoren strömen ins Land, importierte Neuwagen aus Japan schlängeln sich im Schritttempo an den goldenen Pagoden vorbei, Verkehrsstaus und Baustellen prägen das Stadtbild. An den Marktständen türmen sich die Waren, internationale Produkte füllen die Regale der Supermärkte, Straßenverkäufer preisen Zeitungen aus aller Welt an.

Auch die Räume, die sich hinter einer Holztür in einem dunklen Gang im zweiten Stock des mehrstöckigen Bürogebäudes befinden, sind ein Zeichen des Neubeginns. „The Irrawaddy“ steht auf einem Zettel an der Tür. Lange Zeit erschien das Printmagazin als Exilpublikation im thailändischen Bangkok, seit drei Jahren wird es in Myanmar geschrieben und gedruckt. Es herrscht hektische Betriebsamkeit. Wasser plätschert über den Fußboden im Vorraum – ein Rohrbruch, eilig wird aufgewischt. Die Journalisten sitzen Seite an Seite an ihren Laptops, einige tippen, andere telefonieren. Papiere stapeln sich auf den kleinen Schreibtischen, alles wirkt etwas improvisiert.

Redaktionsleiter Kyaw Zwa Moe ist ein journalistisches Urgestein. Während der Studentenproteste 1988, die das Militär blutig niederschlug, brachte er zusammen mit anderen Studenten ein politisches Journal raus. „Es gab damals keine Pressefreiheit, wir arbeiteten im Geheimen“, erzählt der Mann mit der schwarzen Hornbrille. Doch sie flogen auf. Das Militärregime verurteilte ihn zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe, wie viele andere Demonstranten und Regimegegner. Abgeschottet vom Rest der Welt führte die Militärjunta die Gesellschaft mit eiserner Hand. Sie trat die Menschenrechte mit Füßen und wirtschaftete das Land herunter.

Myanmars Medien galten als die am meisten unterdrückten weltweit. Auf der Rangliste der Pressefreiheit lag das südostasiatische Land auf Platz 174 von 178. Nahezu ein halbes Jahrhundert hatte der repressive Staat ein Monopol auf Tageszeitungen, private Verlage durften nur zensierte Wochenzeitungen herausbringen. Jegliche Texte, ob Zeitungsartikel, Liedtexte und sogar Märchen, mussten vor einer Veröffentlichung vom Informationsministerium genehmigt werden.

„Die Wahlen werden frei sein, aber niemals fair“

Kyaw Zwa Moe wurde zur Jahrtausendwende aus der Haft entlassen. Er floh zu seinem älteren Bruder, der bereits seit 1993 in Bangkok „The Irrawaddy“ herausgab. „Zu Beginn haben wir dem Reformprozess nicht vertraut, waren vorsichtig und haben immer nur Kurztrips ins Land gemacht, um die Lage zu checken“,  sagt er. Nach und nach baute man die Redaktion neu auf, stellte Journalisten ein. Doch Kyaw Zwa Moe bleibt vorsichtig: „Unser Büro im Exil behalten wir, die politische Situation in nicht stabil und sicher genug.“

Viele Menschen seien noch immer besorgt, wenn sie an die Zukunft denken. „In der Regierung sitzen dieselben Leute, sie haben nur ihre Uniform gegen zivile Kleidung getauscht“, meint  Kyaw Zwa Moe. Das gesamte System müsse ausgetauscht werden, fordert er. Die Hoffnungen vieler ruhen auf den im November anstehenden Parlamentswahlen – einem Meilenstein im Öffnungsprozess des Landes. Doch der Chefredakteur ist skeptisch: „Die Wahlen werden vielleicht frei sein, aber niemals fair.“

So kann die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi selbst im Falle eines Wahlsiegs ihrer Partei nicht Präsidentin werden – das verbietet die Verfassung, nach der das Staatsoberhaupt keinen ausländischen Ehepartner haben darf. Suu Kyis verstorbener Ehemann war Brite. Fraglich sei, so Kyaw Zwa Moe, ob die alte Regierung am Ende überhaupt ihre Sitze abgebe. Die Redaktion weiß, dass turbulente Monate auf sie zukommen und ist vorbereitet. „Wir haben unsere Mitarbeiterzahl aufgestockt, um im ganzen Land den Wahlprozess begleiten zu können.“

„The Irrawaddy“ sei weiter ein starker Kritiker der Regierung, deshalb werde die Arbeit immer wieder erschwert, sagt Kyaw Zwa Moe. „Das Informationsministerium mischt sich nach wie vor überall ein.“ Schon der Name der Zeitschrift stößt den Behörden auf, benutzt sie doch den alten Namen des Flusses, und nicht die neue, von dem Regime 1989 eingeführte Schreibweise „Ayeyarwady“. Auch die Recherche gestaltet sich mitunter schwierig, Behörden und Regierungsmitarbeiter verweigern Auskünfte oder behindern die Journalisten bei ihrer Arbeit.

Hürden für in- und ausländische Journalisten

Obwohl die offizielle Zensur gelockert wurde, werden Journalisten eingeschüchtert oder festgenommen, wenn sie zu kritisch berichten. Dabei verweisen die Richter auf Gesetze, die zum Teil mehr als 100 Jahre alt sind. Anfang Juli 2014 warnte der bis dahin als reformorientiert geltende Präsident Thein Sein die Journalisten im Land, die Regierung werde entschlossen handeln, „sollte ein Medium die Pressefreiheit ausnutzen und die nationale Sicherheit bedrohen, statt der Nation zu helfen“. Nur drei Tage später verurteilte ein Gericht vier Reporter wegen ihrer Recherchen über eine angebliche Chemiewaffenfabrik zu je zehn Jahren Gefängnis.

Das Informationsministerium mache es auch ausländischen Journalisten schwer, das Land zu besuchen, weiß Kyaw Zwa Moe, der mittlerweile einen europäischen Pass hat. Die bürokratischen Hürden sind hoch, Visa werden nur zögerlich vergeben. Manchmal kommen sie erst einen Tag vor Beginn der Reise an. Wer es als Journalist ins Land schafft, bleibt im Blickfeld der Behörden – gerade wenn es um kritische Themen wie Proteste oder ethnische Konflikte geht. Die Geheimpolizei ist wachsam, nimmt auch schon einmal die Verfolgung auf oder schüchtert Interviewpartner oder Übersetzer im Nachhinein ein.

Auch die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ zeigt sich besorgt. „Nach einer Phase der Entspannung geht die Regierung in Myanmar wieder mit Härte gegen kritische Journalisten vor. Von freien Medien kann leider immer noch nicht die Rede sein“, beklagte Geschäftsführer Christian Mihr. Das Parlament hat im vergangenen Jahr ein neues Presse- und Publikationsgesetz verabschiedet. Danach bleibt es der Regierung vorbehalten, Lizenzen zu erteilen und zu entziehen. Journalisten dürfen, so heißt es, nicht „die Herrschaft des Gesetzes“ verletzen. Das lässt viel Raum für Interpretationen.

Doch es gibt auch gute Nachrichten. Die Presselandschaft ist vielfältiger geworden, die Zahl der Printmedien auf rund 400 gestiegen. Überall im Land werden Sendestationen gebaut, damit Fernseh- und Radioprogramme auch die Menschen fernab der Hauptstadt erreichen. Bis 2017 soll die Zahl von einst 20 auf mehr als 250 steigen. Noch sind fast alle Sender in staatlicher Hand, nur langsam kommen private Medienunternehmen auf den Markt. Seit Anfang 2013 können ausländische Sender wie die britische BBC empfangen werden. Die wachsende Zahl der Satellitenschüsseln an den Häuserwänden zeigt, wie groß die Sehnsucht nach mehr Informationen ist.

Viele Nachwuchsjournalisten drängen in den Beruf

Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Myanmar auf Position 144 geklettert. Junge, motivierte Journalisten strömen in den Beruf. Sie sind gut vernetzt, haben oft hunderte Freunde bei Facebook und lesen internationale Publikationen. In den modernen Redaktionsräumen von „7 Days News Journal“, das 2010 wegen der Berichterstattung über Aung San Suu Kyi für eine Woche geschlossen wurde, sitzen viele junge Kollegen an den Schreibtischen. So wie Ahr Man und seine Frau. Beide arbeiten seit einigen Jahren für das Journal, haben den Wandel miterlebt. „Früher mussten wir jeden einzelnen Artikel genehmigen lassen.“ Nun konnten sie vor einigen Wochen erstmals mit einem hochrangigen Militär ein Interview führen, die als sehr pressescheu gelten – ohne Zensur und ohne Beschwerde nach der Veröffentlichung.

Trotzdem: „Die Angst lässt einen nie ganz los“, sagt Ahr Man. Früher war die Zensur auch eine Art Schutz für die Journalisten. Heute können sie nie sicher sein, wie das Informationsministerium auf die Veröffentlichung eines Artikels reagiert. So kommt es häufig zur Selbstzensur. Zudem arbeiten nicht alle Redaktionen regierungsunabhängig, noch immer pflegen viele Publikationen enge Verbindungen zum Militär, andere hetzen ungebremst gegen ethnische und religiöse Minderheiten. Die neue Freiheit verlangt nach einem journalistischen Reifeprozess. Doch der braucht Zeit – und Einrichtungen, die die Ausbildung des journalistischen Nachwuchses in die Hand nehmen.

Dafür ist seit dem vergangenen Jahr die erste Journalistenschule des Landes, das Myanmar Journalism Institute, zuständig. 14 Studenten lernen in Rangun in einem einjährigen Teilzeitstudium das journalistische Handwerk, 15 weitere sind es am zweiten Standort in Mandalay. Institutsleiter U Thiha Saw sitzt im traditionellen myanmarischen Wickelrock an einem Tisch im Besprechungszimmer. „Über Jahrzehnte fand die journalistische Ausbildung, wenn überhaupt, im Untergrund statt“, sagt er. Während der jahrzehntelangen Militärdiktatur machten die strengen Pressegesetze eine politische Berichterstattung sowieso so gut wie unmöglich. In den Stellenausschreibungen der Medienhäuser wurden daher häufig Arbeitskräfte ohne Vorkenntnisse gesucht, die muntere Texte über kulturelle und sportliche Ereignisse schreiben sollten, den Rest erledigten die Zensoren. Sie strichen jedes kritische Wort, unterdrückten unliebsame Artikel oder schrieben die Beiträge selbst.

U Thiha Saw ist Mitglied in dem 2012 vom Informationsministerium gegründeten  provisorischen Presserat. Daraus soll im November ein gewähltes Gremium werden, in dem sich Vertreter von Regierung, Zivilgesellschaft und Journalisten für mehr Pressefreiheit engagieren. Es gibt bereits eine Beschwerdestelle, an die sich jeder Bürger wenden kann, zudem vermittelt der Presserat bei Konflikten zwischen Journalisten und der Staatsmacht. „In mehr als 85 Prozent der Fälle gelingt uns das.“ Nun hänge viel von den Wahlen im November ab, sagt U Thiha Saw, „die nächste Dekade wird zeigen, wohin die Reise geht.“

Autorin

Kristin Oeing

ist freie Journalistin in Leipzig und Mitglied im Reporter­netzwerk Textsalon.
Die Parlamentswahlen – der Beginn einer demokratischen Ära? „Die Menschen haben keine Erfahrung mit demokratischen Wahlen“, sagt U Ko Ni, Dozent der Journalistenschule. Umso wichtiger sei die Rolle der Journalisten. Der Anwalt erklärt den Schülern die Feinheiten des myanmarischen Wahlrechts. Phyo macht sich in ihrem Block fleißig Notizen. Die 28-Jährige geht morgens zur Schule und schreibt nachmittags für die Tageszeitung „Mizzima“, einst Exilmedium, seit 2012 ebenfalls wieder mit Redaktionsbüros in Myanmar. „Die Demokratie ist jung. Ich möchte, dass die Menschen ihre Rechte und Pflichten verstehen, über Themen wie Menschenrechte, Freiheit und Demokratie nachdenken.“ Mit ihrer Arbeit will sie zum Wandel beitragen. „Ich bin stolz auf meinen Beruf“, sagt Phyo. Es sei zwar lästig, dass einige Regierungsstellen nach wie vor keine Auskunft geben wollen. Aber Angst vor der Staatsmacht hat sie nicht.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2015: Blauhelme: Abmarsch ins Ungewisse
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