„Gott würde mit den Armen auf der Baustelle feiern“

Gesine Kauffmann
René Goncalves ist Geschäfts­führer des Menschenrechtszentrums Gaspar Garcia, einer Partnerorganisation von Misereor. Der gelernte Bauingenieur findet, auch Kirchen sollten transparent arbeiten.
Recht auf Wohnen
Das Zentrum Gaspar Garcia in der brasilianischen Megastadt São Paulo hilft armen Menschen, ihr Recht auf Wohnen durchzusetzen. Geschäftsführer René Goncalves erklärt, warum Papst Franziskus seiner Arbeit Aufwind verleiht.

Brasilien wird sehr gelobt für seine Sozialprogramme. Trotzdem brauchen Menschen Ihre Hilfe. Was hat die Regierung versäumt?
Die Regierung hat angefangen, einen guten Weg zu gehen, aber dann hat sie plötzlich angehalten. Das gilt auch für das Wohnungsbauprogramm „Minha casa, Minha vida“ (mein Haus, mein Leben). Es sieht den Bau von Einfamilienhäusern für arme Menschen vor. Aber im Zentrum von São Paulo, wo wir arbeiten, ist es nicht durchsetzbar. Denn die Grundstücke sind viel zu teuer, so hohe Kosten für einen Grundstückskauf sind im Programm nicht vorgesehen.

Wie helfen Sie den Ratsuchenden?
Unser Zentrum kümmert sich um alle juristischen Fragen rund um das Thema Wohnen. Wir haben mit der Stadtverwaltung einen Vertrag, laut dem sie die Gehälter für vier Anwälte bezahlt, die bei uns angestellt sind. Sie beraten Menschen, die von Zwangsräumungen bedroht sind oder ohne Mietvertrag in Abbruchgebäuden leben, und vertreten sie auch vor Gericht. Die Beratung ist kostenlos, das Haushaltseinkommen darf aber nicht über drei Mindestlöhnen liegen. Das sind umgerechnet 600 Euro.

Welche Sorgen plagen Sie besonders?
Wir kämpfen für das Recht der Armen, im Stadtzentrum zu leben. Die Stadtverwaltung hat ihre Wohnungsbauprogramme auf die Peripherie konzentriert. Aber der Weg aus diesen Vierteln ins Zentrum ist weit und beschwerlich, und wenn man außerhalb lebt, ist man von vielen Kultur- und Freizeitaktivitäten abgeschnitten. Wir erleben eine soziale und ökonomische Apartheid. Nur wer es sich leisten kann, hat Zugang zum Zentrum. Es ist schwierig, mitten in São Paulo bezahlbare Grundstücke für Sozialwohnungen zu finden. Zugleich stehen dort 40.000 Wohnungen leer. Sie könnten zu sozialem Wohnraum umgewidmet werden.

Das Zentrum Gaspar Garcia ist 1988 aus der katholischen Sozialarbeit entstanden. Wie wichtig ist der Glaube für Ihre Arbeit?
Für mich ist Politik gelebter Glaube. In unserem Zentrum haben wir ein Schild, auf dem steht: Mache aus diesem Raum ein kleines Beispiel von der Gesellschaft, an die Du glaubst. Das meint: eine soziale und gerechte Gesellschaft. Wir vermitteln den Menschen, die zu uns kommen, dass wir gemeinsam eine Lösung für ihr Problem finden. Mir geht es darum, dass sie verstehen, dass ich an Gott glaube und dass meine Arbeit ein Akt der Liebe ist.

Welche Rolle spielt Religion im Leben Ihrer Klienten?
Das ist wie in Deutschland. In die Kirche gehen vor allem ältere Menschen. Allerdings haben die Pfingstkirchen in Brasilien großen Zulauf.

Auch bei den Ärmsten?
In jeder Favela stehen mindestens zwei, drei solcher Kirchen. Ihre Mentalität erschwert die Arbeit für die Gemeinschaft. Denn sie sagen: Jesus rettet mich. Problematisch finde ich auch, dass der Staat soziale Arbeitsbereiche wie Gesundheitszentren oder Kindergärten an private Organisationen und Kirchen auslagert.

Warum ist das problematisch? In Deutschland läuft das schon lange so.
Die Pfingstkirchen, aber auch die katholische Kirche, haben inzwischen verstanden, dass ihnen das die Möglichkeit gibt, ihre Gläubigen in Arbeit zu bringen. Wenn eine Kirche eine Sozialhelferin anstellt, wird nicht geschaut, ob sie qualifiziert ist, sondern nur, ob sie Mitglied dieser Kirche ist. Der Staat müsste kontrollieren, ob die Kirchen ihre Arbeit ordentlich machen. Jedes Stadtviertel müsste eine solche Stelle haben, die alle Sozialdienste überprüft. Und die Bürgerinnen und Bürger müssten sich aktiv daran beteiligen können. Eine Mutter sollte mitbestimmen können, welches Essen ihr Kind im Kindergarten bekommt und welche Kindergärtnerin es erzieht. Wir leben ja im Zeitalter der Informationstechnologie. Warum kann man das nicht transparent machen?

Genießt Ihr Zentrum besonderes Vertrauen, weil es eine kirchliche Organisation ist?
Schon, aber das Vertrauen muss aufgebaut werden. Die Menschen müssen verstehen, dass wir immer auf ihrer Seite sind. Es gibt ein Viertel mit 5000 Einwohnern, in dem es viele Probleme mit Zwangsräumungen gibt. Bei Treffen mit Behörden und der Polizei sind wir immer dabei. Wir wollen nicht weiter wachsen, um den Kontakt mit der Basis nicht zu verlieren. Ich kenne alle Projekte, ich gehe da jede Woche hin, und das soll so bleiben.

Macht Papst Franziskus mit seiner Option für die Armen Ihre Arbeit leichter?
Wir spüren deutlich die Veränderungen in der Kirche, mit einem Papst, der schwierige Themen angeht. Das bringt die Priester dazu, sich für soziale Projekte zu engagieren. Wir brauchen eine offene Kirche, die versteht, dass Gott eine besondere Vorliebe für die Armen hat. In den Favelas ist es üblich, Häuser aufzustocken, um mehr Familien Platz zu bieten. Wenn ein neuer Boden eingezogen wird, kommen alle zum Arbeiten und zum Feiern. Und Gott ist mit Sicherheit näher bei den Armen und ihren Grillfesten als bei den Wohlhabenden in den teuren Restaurants.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2016: Religion: Vom Glauben und Zweifeln
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