Jim Yong Kim hält ein engagiertes Plädoyer für den Kampf gegen die Armut. Er spricht auf der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) im Oktober 2015 in der peruanischen Hauptstadt Lima nicht nur aus Überzeugung, sondern auch von Amts wegen; Kim ist Präsident der Weltbank. Weltweit sei die Zahl der Armen, die mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, erstmals unter die Schwelle von zehn Prozent gesunken, sagt er. Das nähre die Hoffnung, dass die extreme Armut bis 2030 komplett überwunden werden könne.
Freilich: Immer noch müssen weltweit fast eine Milliarde Menschen mit so wenig Geld auskommen. Dies zu ändern ist die zentrale Aufgabe der Weltbank. Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen wurde sie 1944, noch im Zweiten Weltkrieg, gegründet – als Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD). Zugleich mit ihr schuf die Konferenz von Bretton Woods den Internationalen Währungsfonds (IWF), der Staaten bei Zahlungsproblemen helfen und das Weltwährungssystem stabilisieren soll. Die älteste der auf die sogenannte Dritte Welt ausgerichteten Entwicklungsbanken war drei Jahre davor aus der Taufe gehoben worden: Der Vorläufer der heutigen Agence Française de Développement, gegründet 1941, finanzierte Vorhaben in den französischen Übersee-Départements.
Mit der Gründung der Weltbank begann das Zeitalter der Entwicklungsbanken. In den 1950er und 1960er Jahren entstanden solche regionalen Banken mit ähnlichen, aber auf einen Kontinent beschränkten Aufgaben: 1959 die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) mit Sitz in Washington; 1964 die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), 1965 die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). 1969 kam als kleinste die Karibische Entwicklungsbank (CDB) dazu. Zu den Trägern der regionalen Banken gehören auch Industrieländer. Manche Geberländer haben zudem nationale Entwicklungsbanken, die im Süden tätig sind – so Deutschland mit der KfW Entwicklungsbank.
Ursprünglich zielte die Gründung der IBRD auf den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Staaten, insbesondere in Europa. In diesen Ländern fehlte sowohl öffentliches als auch privates Kapital, um die Verwaltung und öffentliche Einrichtungen wiederherzustellen und die Infrastruktur auszubauen. Deutschland – seit 1952 Mitglied von Weltbank und IWF – hat freilich nie einen Weltbank-Kredit in Anspruch genommen. Seit den 1960er Jahren konzentrierte sich die Weltbank mehr und mehr auf Entwicklungsländer und ehemalige Kolonien. Dort sind die Steuereinnahmen viel zu niedrig und die staatlichen Institutionen zu schwach ausgebildet, um Straßen, Wasser- und Abwasserversorgung zu entwickeln oder das Bildungs- und Gesundheitswesen zu verbessern. Auch private Banken sind in vielen Entwicklungsländern zu schwach, um staatliche Investitionen zu finanzieren oder Kredite an die Privatwirtschaft zu vergeben.
Ihre Mittel beschaffen sich die meisten Entwicklungsbanken auf den internationalen Kapitalmärkten; die Weltbank zum Beispiel gibt Anleihen aus. Dies sind sichere Geldanlagen, weil die Anteilseigner der Entwicklungsbanken Staaten sind, die die Anleihen garantieren. Die Zinsen darauf sind daher niedriger als bei Anleihen privater Geschäftsbanken – die Weltbank kann sich Kapital günstiger beschaffen.
Entwicklungsbanken gewähren meist lang laufende günstige Kredite. Ihre Unterstützung bleibt vor allem für den öffentlichen Sektor, das Bildungs- und Gesundheitswesen, die Infrastruktur, den Finanzsektor und die ländliche Entwicklung unverzichtbar. So konnten sich, unterstützt unter anderem von der bundeseigenen KfW-Entwicklungsbank, mittlerweile in etlichen Ländern erfolgreiche Mikrokreditbanken herausbilden, die zumindest für kleinere Unternehmer und Händler eine wichtige Hilfe sind.
Heute haben sich die Aufgaben der Entwicklungsbanken stark gewandelt. Der Klimawandel, auf den mittlerweile fast ein Drittel der Weltbank-Kredite zielen, Flüchtlinge, Terrorismus oder dramatische Seuchen wie Ebola sind nur einige Stichworte. Die Weltbank hat nach wie vor gute Regierungsführung und Strukturreformen in den Empfängerländern im Auge, aber viel stärker als früher läuft dies heute im engen Dialog mit den Kreditnehmern. Und sie verstehe sich mittlerweile als „Wissensbank“, sagt Jürgen Zattler, Leiter der Unterabteilung Europäische Union und multilaterale Entwicklungspolitik im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Auch die Rahmenbedingungen haben sich mit dem Umbruch der politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Weltwirtschaft verändert. Mit dem Aufstieg vieler Entwicklungs- zu Schwellenländern wie China, Südafrika oder Brasilien ist der Unmut über die Dominanz der Industrieländer in der Weltbank (und auch im IWF) gewachsen. In der Weltbank haben die USA nicht nur die meisten Stimmrechte, sondern ein Vetorecht. Sie können damit jede wichtige Entscheidung blockieren. Daran hat auch eine Stimmrechtsreform 2010 nichts geändert, auch wenn Industrieländer wie Deutschland Zugeständnisse gemacht haben. Auf der Frühjahrestagung im April soll erneut über die Frage der Stimmrechte diskutiert werden, aber es scheint, dass die USA stur bleiben.
Für Ärger sorgt auch immer wieder, dass sich Amerikaner und Europäer die Führungsjobs bei Weltbank und IWF teilen: Der Weltbank-Präsident (oder eine mögliche Präsidentin) kommt generell aus den USA, die Direktorin oder der Direktor des IWF aus (West-)Europa. Immerhin sitzen im 25-köpfigen Führungsgremium des Instituts mittlerweile etliche Vertreter aus Schwellen- und Entwicklungsländern.
Konsequenz der Verärgerung: Die Schwellenländer haben eigene Entwicklungsbanken und Fonds gegründet, zumal sie inzwischen über erhebliche Finanzmittel verfügen. Allein in China belaufen sich die Devisenreserven auf etwa 3,3 Billionen US-Dollar. Die globale Finanzarchitektur verändert sich, angetrieben vor allem von China. Das Ziel der Schwellenländer ist, selbst zu bestimmen, wie sie ihr Kapital einsetzen, welche Kredite sie an wen vergeben und welche Projekte sie unterstützen. Die finanzielle und politische Abhängigkeit, so die Hoffnung, von internationalen Gebern, aber auch von privaten Investoren soll sinken.
Die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) wurde zum Beispiel in den vergangenen Jahren als von den USA beherrscht kritisiert; Washington ist mit einem Anteil von 30 Prozent größter Aktionär – die IDB ist als Aktiengesellschaft organisiert – und verfügt damit auch über 30 Prozent der Stimmrechte. Zudem beklagen mehrere Regierungen in Südamerika, aber auch Gruppen aus der Zivilgesellschaft, dass sich die IDB zu stark auf Infrastruktur konzentriere, wenig Engagement im Umweltschutz zeige, die Unterstützung von gesellschaftlichen Gruppen vernachlässige und zu wenig im Kampf gegen die Armut tue. Beobachter glauben, dass die Kritik Wirkung zeigt.
Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) mit Sitz in der philippinischen Hauptstadt Manila wird traditionell von einem Japaner geleitet. Sie ist zurzeit weniger von Kritik an ihrer Arbeit getroffen, sondern vor allem von der Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank AIIB (siehe den Beitrag auf Seite 29). China ist zwar Mitglied der ADB, will aber mit der AIIB mehr politischen Einfluss in der Region gewinnen.
Als Instrument für einen stärkeren Einfluss der Schwellenländer gilt auch die New Development Bank (NDB), getragen von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Beide Institute werden 2016 ihre Geschäfte aufnehmen. Die NDB soll Kredite für Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte in den fünf beteiligten Ländern im Volumen von bis zu 50 Milliarden US-Dollar vergeben können. Bislang werden allerdings erst zwei Projekte angepeilt: Die Finanzierung eines Datenzentrums in China und ein internationales Alarm- und Warnsystem für die Landwirtschaft in Russland, mit dem der Einsatz von Chemikalien reduziert werden soll.
Bedeutsamer ist die AIIB, die im Januar in Peking offiziell eröffnet wurde. Sie hat 57 Gründungsmitglieder, darunter 17 europäische Staaten (auch Deutschland, Österreich und die Schweiz) sowie Brasilien, Ägypten und Südafrika. Die USA sind nicht dabei. Größter Kapitalgeber ist China, das 26 Prozent der Stimmrechte hält und den Präsidenten stellt. Die Regierung in Peking gibt eindeutig die Richtung vor. Mittelfristig könnte die AIIB die ADB in den Schatten stellen. Deshalb sei es wichtig, glauben Experten wie Zattler, dass Industrie- und Geberländer wie Deutschland mit am Tisch sitzen.
Damit beugen sie auch der Gefahr vor, dass sich die globalen Institutionen mehr und mehr in zwei Lager aufteilen: Einerseits solche, in denen die Industrieländer das Wort führen, andererseits Entwicklungsbanken, die von China und den Schwellenländern dominiert werden. Zattler befürchtet zudem einen bedenklichen Abwärtswettlauf bei Umwelt- und Sozialstandards. Während die Weltbank unter öffentlichem Druck steht, ihre Vorgaben zu verschärfen (siehe Seite 23), könnten AIIB oder NDB die Umweltschutz- und Sozialkriterien abschwächen. Dies können westliche Vertreter möglicherweise verhindern: Mit Joachim von Amsberg wird ein Deutscher geschäftsführender Vizepräsident der AIIB. Amsberg arbeitet seit 1993 für die Weltbank.
Entwicklungsbanken in Europa
Entwicklungsbanken arbeiten nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern. In Europa etwa finanziert die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg, die Bank der Europäischen Union, Projekte in ...
Dagegen werden andere neue Institutionen wohl eher ein Schattendasein fristen. So ist die Banco del Sur auch acht Jahre nach dem Gründungsbeschluss noch immer nicht aktiv (siehe Seite 32). Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Paraguay, Uruguay und Venezuela wollen damit ein regionales Gegengewicht zur Weltbank, zur Interamerikanischen Entwicklungsbank und auch zum IWF setzen. Aber die sieben Länder werden sich nicht einig, immer wieder wurde die Eröffnung verschoben, zuletzt Mitte 2015.
Brasilien hat zudem eine eigene, wesentlich größere staatliche Entwicklungs- und Förderbank (Banco Nacional do Desenvolvimento – BNDES), deren Arbeit von Experten ausdrücklich gelobt wird – ähnlich wie die vergleichbare Development Bank of Southern Africa (DBSA). Beide sind primär im eigenen Land tätig und können als Instrument der Regierung die Entwicklung entsprechend ihrer Politik steuern. Dies ist durchaus ein Trend.
Multilaterale Entwicklungsbanken sollen auch künftig eine zentrale Rolle für die Finanzierung von Entwicklung spielen. Laut dem Aktionsplan von Addis Abeba, den die dritte UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung Mitte 2015 verabschiedet hat, sollen sie mit dafür sorgen, dass mit Hilfe der Privatwirtschaft große Lücken in der Infrastruktur (vor allem bei Transport, Energie, Wasser und Abwasser) nachhaltig, sozial und umweltverträglich geschlossen werden. Jährlich sind dafür laut dem Aktionsplan ein bis eineinhalb Billionen US-Dollar erforderlich.
Autor
Rolf Obertreis
ist freier Journalist mit Schwerpunkt Wirtschaft, Finanzen und Entwicklungszusammenarbeit. Für Recherchen hat er zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer in Afrika, Asien und Lateinamerika bereist.Den Aktionsplan von Addis Abeba hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon als „bedeutenden Schritt voran beim Aufbau einer Welt des Wohlstands und der Würde für alle“ bezeichnet. Doch Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen waren enttäuscht. So kritisierte Brot für die Welt, es habe keine konkreten Vereinbarungen über mehr Geld für die Armutsbekämpfung und eine nachhaltige Entwicklung und über mehr Steuergerechtigkeit gegeben. In Addis Abeba wurde immerhin beschlossen, dass bei den Vereinten Nationen eine Forum eingerichtet wird, das die Entwicklungsfinanzierung überprüft und ab diesem Jahr jährlich darüber berät. Die Debatte über Reformen der globalen Finanzarchitektur ist nur vertagt.
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