Die Idee der Mütterschulen wurde vor vier Jahren in Tadschikistan geboren, wo Edit Schlaffer, die Gründerin und Leiterin der international vernetzten Organisation Frauen ohne Grenzen auf einer OSZE-Mission mit Müttern von Dschihadisten zusammentraf. Die meisten hätten ohnmächtig mit ansehen müssen, wie sich ihre Kinder zu feurigen Religionskriegern entwickelten. Sie habe mit den Müttern diskutiert, dass sie durchaus eine Stimme und Verantwortung haben, sagt Schlaffer. „Wir haben mit ihnen über die Pubertät geredet und über die Dramen, die ihre Kinder durchmachen.“
Am Ende habe eine der Mütter gesagt: „Heute hab ich gelernt, dass wir Mütter in die Schule gehen müssen.“ Schlaffer griff die Idee auf und initiierte eine Umfrage unter 1000 Müttern von 15 bis 25-jährigen Söhnen und Töchtern in fünf Ländern. Es ging um ihre Befürchtungen und Erwartungen. Dann wurde mit Hilfe von Psychologen ein Programm entwickelt, das jetzt den Mütterschulen in Tadschikistan, Indonesien, Indien, Pakistan, Nigeria und Österreich zugrunde liegt.
Foto des toten Sohnes auf dem Smartphone
Eine Frau aus Tschetschenien hat ein Foto ihres Sohnes auf dem Smartphone: in einem georgischen Leichenschauhaus, mit bei der Autopsie geöffneter Brust. Er war mit einem Freund von Wien nach Tschetschenien unterwegs gewesen und wurde knapp vor der tschetschenischen Grenze in den Bergen von georgischen Soldaten erschossen.
Solche Schicksale zu vermeiden, ist das Ziel der Mütterschulen. Frauen sollen lernen, Anzeichen von Radikalisierung rechtzeitig zu erkennen und vernünftig darauf zu reagieren, sagt Maynat Kurbanowa, die einen Kurs für 15 Tschetscheninnen in Wien geleitet hat. „Viele junge Leute verbringen viel Zeit im Internet“, weiß Nazia Khanoum, die die britische Organisation Equality in Diversity leitet und das Modell der Mütterschulen übernhmen will. Sie lassen sich Bärte wachsen, tragen nahöstliche Kleidung und haben plötzlich andere Freunde. Solche Veränderungen sollten jede Mutter misstrauisch machen.
In den Schulungen, die aus zehn je zweistündigen Einheiten bestehen, sollen die Frauen Erfahrungen austauschen und ihr Selbstbewusstsein stärken; zudem werden sie in Techniken für die Argumentation gegenüber den Kindern unterwiesen. Edit Schlaffer: „Burschen finden spannend, was ihre Mütter wissen. Wenn die Frauen kompetent sind, dann haben sie auch Autorität.“ Ein Patentrezept „wie wir Jugendliche schnell deradikalisieren“, gebe es nicht, sagt Maynat Kurbanowa. Besonders anfällig seien „islamische Analphabeten“, die sich nie mit Religion beschäftigt haben, erklärt die gebürtige Tschetschenin. Je weniger einer über den Islam wisse, desto leichter lasse er sich von den Anwerbern rekrutieren und für radikale Ideen begeistern.
IS in Indonesien sehr aktiv
Die Nachfrage nach den Kursen sei enorm, berichtet Edit Schlaffer. In Indonesien und Nigeria würden sie geradezu gestürmt. Am Anfang habe es Schwierigkeiten mit den Männern gegeben. In Pakistan hätten sie nur unter Vorbehalt zugestimmt, dass ihre Frauen sich weiterbilden. Doch viele Männer hätten sich dann selbst interessiert. Denn die Dynamik in der Familie habe sich verbessert; die Söhne würden wieder auf ihre Eltern hören.
Besonders in Indonesien will Schlaffer das Engagement verstärken. Das größte muslimische Land habe im Grunde eine sehr tolerante Gesellschaft. Doch der IS sei sehr aktiv: in den Moscheen, Schulen und auf den Universitäten. „Ich hoffe, dass der islamistische Einbruch dort nicht gelingt“, sagt Schlaffer.
Insgesamt wurden in Österreich und fünf weiteren Ländern bisher 1600 Mütter geschult, 500 allein in Kaschmir. Die Kurse werden unter anderem vom Sozialministerium in Österreich unterstützt, zuletzt mit 36.000 Euro. Auch das Integrationsministerium ist mit knapp 40.000 Euro dabei. Dem Verein Frauen ohne Grenzen fehlt aber das Geld, um die Mütterschulen bekannter zu machen – und um sie in anderen Bundesländern aufzubauen.
[video:https://www.youtube.com/watch?v=90diNrGrN08]
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