Indien gilt als Klima-Sünder, obwohl seine Pro-Kopf-Emissionen niedrig sind. Denn Strom wird dort überwiegend aus Kohle erzeugt. Um das zu ändern, hat Indiens Regierung unter anderem 2010 die Nationale Jawaharlal Nehru Solarmission (JNNSM) beschlossen. Deren Ziele wurden nach der Wahl Narendra Modis zum Staatspräsidenten 2014 drastisch angehoben: Bis 2022 sollen nicht, wie zunächst geplant, 20 Gigawatt Solarstrom-Kapazität installiert sein, sondern 100 Gigawatt, davon 60 am Netz. US-Präsident Barack Obama hat das während seines Besuchs in Neu-Delhi Anfang 2015 ausdrücklich unterstützt. Doch gegen einen Aspekt der JNNSM hat die US-Regierung schon 2013 Beschwerde vor der Welthandelsorganisation WTO erhoben: die Vorschrift, dass ein Teil der Solaranlagen in Indien produziert werden muss.
Die USA haben nun Recht bekommen. Umweltschutz-Organisationen wie Friends of the Earth International werten das als Beleg dafür, dass Handelsabkommen den Klimaschutz behindern. Das ist insofern überzogen, als die Folgen für das indische Solarprogramm gering sein dürften. Laut der indischen Ökologie-Zeitschrift Down to Earth gilt die Bindung an lokale Produktion nur für einen Teil der Projekte der Zentralregierung unter der JNNSM – nicht für ihren neuesten Abschnitt und nicht für Programme der Bundesstaaten. Betroffen sind lediglich Solarprojekte über etwas mehr als einem Gigawatt.
Die Abschaffung der von der WTO monierten Importschranken wird also die Energiewende in Indien kaum bremsen – eher im Gegenteil: Indien kann bei weitem nicht so viele Solarzellen herstellen wie es braucht und importiert die meisten, der größte Lieferant ist China. Und weil die einheimische Produktion teurer ist, machen importierte Paneele die Installation zumindest kurzfristig billiger.
Hürden für die nachholende Industrialisierung
Aber das Urteil der WTO behindert Indiens Versuch, die enormen staatlichen Investitionen in die Stromversorgung gleichzeitig für die Förderung der eigenen Solarindustrie zu benutzen – also für eine nachholende Industrialisierung. Das stärkt die Gegner der Solar-Strategie in Indien. Und es bestätigt wieder einmal die alte handelspolitische Heuchelei aus dem Norden. Die Solarindustrie ist ja überall nur mit Subventionen, ob nun direkt oder über garantierte Strom-Abnahmepreise wie in Deutschland, so stark geworden wie jetzt. Sowohl die USA als auch die Europäische Union schützen ihre einheimischen Solarfirmen mit Zöllen oder Mindest-Importpreisen gegen die Konkurrenz aus China, der – übrigens auch von Indien – Dumping vorgeworfen wird. Wenn aber Indien nachziehen und mit einem geringen Teil der Investitionen seine zurzeit unterlegene Industrie schützen will, dann wird die WTO eingeschaltet.
Schlimmer noch: Der Vorgang bestätigt den Verdacht der klimapolitischen Heuchelei im Norden. Die Industrieländer und besonders die USA haben in den Klimaverhandlungen die Schwellenländer gedrängt, selbst Emissionen einzusparen, und dafür Unterstützung versprochen. Sie hoffen, dass dies die Exporte ihrer eigenen Umweltschutz-Industrie ankurbelt. Das wäre an sich kein Problem. Nur: Sobald Klimaschutz und Exporterfolg in Konflikt geraten wie jetzt in Indien, sind dem Norden anscheinend die eigenen Exporte wichtiger. Denen helfen sie mit fragwürdigen Mitteln nach.
Die USA etwa haben Indien vergünstigte Kredite für den Ausbau des Solarstroms angeboten unter der Bedingung, dass sie die Anlagen in den USA kaufen. Wenn jedoch Indien mit einem Teil des eigenen Geldes eigene Firmen fördern will, protestieren sie – und die WTO gibt ihnen Recht. Das belastet die ohnehin schwierige Klima-Diplomatie noch mit Handelsstreitigkeiten.
Aus Sicht Indiens heißt die Botschaft: Die USA wollen, dass wir statt der eigenen Kohle Solarkraft nutzen, aber die Anlagen bei ihnen kaufen. Der Norden – speziell die USA – sendet den Schwellenländern das Signal, dass er das Klima nur schützen will, soweit er daran verdient. So werden die eigenen Klima-Appelle diskreditiert und die globale Zusammenarbeit beim Klimaschutz wird weiter erschwert.
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