Der „Brotaufstand“ in Mosambik Anfang September, als es zu Unruhen mit Toten und Verletzten wegen gestiegener Nahrungsmittelpreise kam, ist zwar weithin als erste Warnung vor den Folgen von Preisspekulationen auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel wahrgenommen worden. Doch das findet in der Ausrichtung der EU-Agrarpolitik der nächsten sieben Jahre bestenfalls rhetorisch seinen Niederschlag; wirklich ändern will Brüssel an diesem Missstand nichts. Für die Befürworter einer starken Stützung der EU-Landwirtschaft dienen die Preisschwankungen als Argument dafür, den Anteil der Subventionen am EU-Haushalt aufrechtzuerhalten. Ziel ist die „Stabilität“ der Betriebe bei zunehmender Unsicherheit der Erlöse; die Stütze der EU soll weitgehend abgekoppelt sein von immer stärker schwankenden Marktpreisen.
Autor
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".Damit aber geben die Befürworter der Subventionen, mit dem französischen Agrarminister an der Spitze einer Mehrheit seiner EU-Kollegen, zugleich den Marktkräften mehr Spielraum. Das will das Lager der Subventionsgegner ohnehin, allen voran die britische und schwedische Regierung, aber eben ohne oder nur mit möglichst geringen EU-Subventionen. Diese Position wiederum unterstützt eine große Mehrheit der EU-Finanzminister.
Die Bruchlinie geht quer durch fast alle 27 EU-Regierungen und ist schon jetzt in der Debatte um die Haushaltsvorlage der EU-Kommission für nächstes Jahr sichtbar. Sie wird wohl auch die längerfristige Ausrichtung der EU-Agrarpolitik der Periode 2013 bis 2020 bestimmen, für die EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos im November einen ersten Entwurf vorlegen soll.
Zwar sieht man auch in Ciolos’ Agrarabteilung der Kommission Stabilität gegenüber immer wilderen Preisschwankungen als Grundbedingung fürs Überleben der EU-Landwirtschaft. Aber längst ist nicht mehr das bloße Überleben, sondern die Handels- und Wettbewerbsposition der EU der alles überragende Maßstab. Die EU ist bereits der weltgrößte Agrar-Außenhändler, und die Expansion in neue Märkte in Lateinamerika, Afrika und Asien ist das oberste Gebot der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).
Der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, sieht genau darin eine der strukturellen Ursachen für den zunehmenden Hunger in vielen Ländern eben dieser „neuen Märkte“: Dort wird die einheimische, kleinbäuerliche Landwirtschaft verdrängt, da sie weder die für industrielle Rohstoffe geforderte standardisierte Qualität noch die erforderlichen Mengen liefern kann. Und auch auf den lokalen städtischen Märkten können die einheimischen Bauern gegen die industriell verarbeiteten Lebensmittel nicht konkurrieren.
Diese Krisenlage wird von der Spekulation mit Finanzprodukten, die sich auf Nahrungsmittelpreise beziehen, erheblich verschärft, stellt de Schutter in seinem jüngsten Bericht vom September und in einem Beitrag zur Konferenz des UN-Welternährungsausschusses im Oktober in Rom fest. Die regelrechte Explosion der Preise in den Jahren 2007 und 2008, die nach nur vorübergehender Beruhigung im vorigen Jahr nun wieder zu steigen beginnen, sei fast ausschließlich von spekulativen Geschäften verursacht. Im Grunde, so Schutter, müsste diese Art Spekulation an den Warenterminbörsen für Agrarrohstoffe verboten und der Handel mit außerbörslichen Finanzprodukten viel strenger reguliert werden.
Daran aber will die EU nicht rühren. In den jüngsten Vorschlägen zur Finanzmarkt-Besteuerung, vorgelegt von Steuer-Kommissar Algirdas Semeta am 7.Oktober, werden nur Bankengeschäfte im Börsenhandel erfasst, nicht aber der außerbörsliche Direkthandel (over the counter, OTC) – und auf den entfallen so gut wie alle der aus den Termingeschäften abgeleiteten Spekulationspapiere. In der von Dienstleistungskommissar Michel Barnier im September vorgelegten Regulierung ist zwar vorgesehen, dass auch OTC-Geschäfte registriert würden, um mehr Transparenz der Finanzmärkte zu erreichen. Aber auch davon wäre nur der Direkthandel der Banken betroffen, während unabhängige Händler ungeschoren davonkämen.