Heillos überfordert

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Nach der Ebola-Katastrophe
Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist weitgehend vorbei. Was hat die Staatengemeinschaft im Kampf gegen die Seuche falsch gemacht? Und was hat sie daraus gelernt?

Es begann im Dezember 2013 unter einem hohlen Baum in Guinea, von der Welt unbemerkt. Ein Kleinkind steckte sich über den Kot infizierter Fledermäuse mit dem Ebola-Virus an, gab die Erreger an seine Familie weiter, und so verbreitete sich die Krankheit im ganzen Dorf Meliandou. Es folgte die größte jemals registrierte Ebola-Epidemie. 11.316 Menschen starben in den westafrikanischen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone an den Folgen des Fiebers, 28.638 Infizierte überlebten – so die offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO (Stand: 17. Januar). Die Dunkelziffern dürften weit höher liegen. Mitte Januar erklärte die WHO die Ebola-Epidemie in Westafrika für beendet; nur Stunden später wurde ein neuer Fall in Sierra Leone bekannt.

Der Versuch, einer Katastrophe dieses Ausmaßes etwas Gutes abringen zu wollen, muss zynisch erscheinen. Die Seuche hat Familien zerrissen und mehr als 22.000 Kinder zu Waisen gemacht. Die ohnehin marode Wirtschaft der Länder, in denen sie gewütet hat, liegt am Boden. Die Gesundheitssysteme sind zusammengebrochen, weil so viele Ärzte, Pfleger und Helfer im Kampf gegen das Fieber gestorben sind. Doch zugleich hat die Angst vor Ebola der Welt die Augen dafür geöffnet, wie wenig sie auf solche Erreger vorbereitet ist. Sie hat den Zustand der WHO offenbart: schlecht organisiert, träge und unterfinanziert. Und sie hat gezeigt, wie kurzsichtig es von den Industrienationen ist, den Ausbau der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern zu vernachlässigen. „Ein Weckruf“, so hat es der Multimilliardär und Stiftungsgründer Bill Gates formuliert.

Gesundheitsnotstand viel zu spät ausgerufen

„Wir sind im Stich gelassen worden“, sagt Tankred Stöbe von „Ärzte ohne Grenzen“. Schon im Frühjahr 2014 hatte die Hilfsorganisation vor einer unkontrollierten Ansteckungswelle gewarnt und begonnen, in den westafrikanischen Ländern Behandlungszentren und Isolierstationen aufzubauen. Die Weltgemeinschaft hingegen wurde erst richtig aktiv, als die Gefahr bestand, dass das Virus nach Europa oder in die USA eingeschleppt werden könnte – erst im August 2014 rief die WHO den Gesundheitsnotstand aus. Viel zu spät, sagt Ashish Jha, Professor für Gesundheitspolitik an der Harvard School of Public Health. Jha ist einer der Vorsitzenden einer unabhängigen Expertengruppe, die die Fehler der WHO im Management der Ebola-Krise analysiert und Verbesserungsvorschläge erarbeitet hat.

Mit Kritik sparten die Experten nicht in ihrem Bericht, der Ende 2015 im medizinischen Fachblatt „Lancet“ veröffentlicht wurde. Katastrophen wie die Ebola-Epidemie zu bekämpfen sei eine der wichtigsten Aufgaben der WHO – ihre „Reputation und Glaubwürdigkeit“ habe durch das Missmanagement des jüngsten Ausbruchs gelitten. Die Organisation müsse sich wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und neu strukturieren. Die Verantwortlichen stellen sich der Kritik: „Wir haben gehört, was die Welt von der WHO erwartet“, sagte die Generaldirektorin Margaret Chan bei der Eröffnung der Weltgesundheitsversammlung in Genf im vergangenen Jahr. Zwar bekämpfe die WHO jährlich etwa 100 Ausbrüche und medizinische Notfälle, doch der Ebola-Ausbruch sei beispiellos und habe gezeigt, dass die Kapazitäten und Methoden der Organisation nicht immer an derart schwierige Aufgaben angepasst werden können.

„Wir haben jetzt die historische Chance, aus den Fehlern zu lernen“, ergänzte WHO-Berater Lawrence Gostin von der Georgetown University in Washington. Schon im August letzten Jahres legte die WHO einen Fünf-Punkte-Plan vor, um für künftige Krisen besser gewappnet zu sein. Sie will unter anderem mehr Gesundheitszentren sowie eine globale Einsatzgruppe für Gesundheitsnotfälle einrichten. Zudem soll ein neuer Fonds geschaffen werden als Baustein eines internationalen Systems zur Finanzierung der Seuchenbekämpfung und anderer medizinischer Notfälle. Um ihre Reformziele zu erreichen, hat die WHO begonnen, ihren Notfallplan zu überarbeiten und in Informationstechnologien zu investieren, um das Krisenmanagement zu verbessern und Daten für schnellere und bessere Entscheidungen zu sammeln.

Doch nicht alle Versäumnisse sind der Weltgesundheitsorganisation zur Last zu legen. Als eine der Kernursachen der Ebola-Epidemie nennen die Experten den schlechten Zustand der Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern, vor allem das Fehlen einer Seuchenkontrollbehörde. Zwar hatte sich Guinea wie viele andere Länder dazu verpflichtet, ein solches Institut einzurichten, das bei Infektionskrankheiten zuverlässig und schnell Hilfe organisieren könnte – so wie es in den meisten Industrieländern selbstverständlich ist. Bis 2014 waren jedoch zwei Drittel aller WHO-Mitgliedsländer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen.

Die Ebola-Epidemie hat klar gemacht, wie fahrlässig das ist – und auch, dass eine funktionierende medizinische Versorgung ein wirksamer Schutzschild gegen Viren wie Ebola sein kann. Im Senegal und in Nigeria, deren Gesundheitssysteme weit besser organisiert sind als die in Liberia, Guinea oder Sierra Leone, konnte trotz einiger Fälle eine Ausbreitung verhindert werden. Die Behörden hatten aufgrund der bestehenden Strukturen schnell genug reagieren können, um Kontaktpersonen zu Ebola-Erkrankten zügig zu identifizieren und zu isolieren.

Als einen der Hauptgründe für das Ausmaß der Ebola-Seuche sehen die Experten, dass die WHO den internationalen Gesundheitsnotstand viel zu spät ausgerufen hat. Das hängt wohl auch mit den Erfahrungen aus vergangenen Epidemien zusammen: Bei der SARS-Epidemie in China 2003 und der Schweinegrippe 2009 hatten Reisewarnungen der WHO zu Handelseinbußen der betroffenen Länder geführt. Dafür mussten die Verantwortlichen teils harsche Kritik einstecken.

Als sich die Ebola-Epidemie in Guinea anbahnte, spielten die örtlichen Behörden die Gefahr aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen herunter, so das Expertengremium um Harvard-Professor Ashish Jha. „Länder sind souverän und handeln im eigenen Interesse“, sagt Jha. „Aber wir haben doch Institutionen wie die WHO genau dafür, Entscheidungen im Sinne der globalen Gesundheit zu treffen.“

"Starker" WHO-Direktor gewünscht

Die WHO ist nicht der Ansicht, sie habe den Gesundheitsnotstand zu spät ausgerufen. Sie begrüßt aber den Vorschlag, eine Vorstufe einzurichten, um die internationale Gemeinschaft früher auf eine Gesundheitskrise aufmerksam machen zu können, ohne gleich den Notstand auszurufen. Allerdings dürfen die Staaten dann auch keine überzogenen Selbstschutzmaßnahmen ergreifen, die Hilfsmaßnahmen erschweren. Länder dürfen zwar Reisewarnungen aussprechen und den Grenzverkehr kontrollieren, um die Ausbreitung der Viren zu verhindern. Doch der Warenverkehr, Hilfstransporte und die Ein- und Ausreise von Ärzten und Hilfspersonal sollen nicht behindert werden. In der Ebola-Krise haben viele Regierungen genau das getan: Sie schlossen die Grenzen komplett, nachdem die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte.

Unter anderem um solche unvereinbaren Interessen in den Griff zu bekommen, wünschen sich die Experten ausdrücklich einen „starken“ WHO-Direktor, der die nötigen Maßnahmen auch gegen die machtvollsten Mitgliedsstaaten durchsetzen kann. Ferner fordern sie, die Weltgesundheitsorganisation im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu verankern, um Gesundheitsthemen mehr globale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wie diese Machtposition im Detail erreicht werden soll und wie sie sich politisch durchsetzen lässt, lassen die Experten allerdings offen.

Konkreter ist die Forderung an internationale wie nationale Einrichtungen der Forschungsförderung, spezielle Fonds einzurichten, mit dem neue Impfstoffe und Medikamente gegen Ebola oder die Atemwegsinfektionen MERS und SARS erforscht werden können. Denn in der Regel lohnt sich für die Pharmafirmen die Entwicklung von Mitteln gegen Erreger nicht, die in Afrika in unregelmäßigen Abständen ein paar hundert oder tausend Menschenleben kosten. Auch Industrienationen investieren wenig in die Forschung zu Viren, die die eigene Bevölkerung nicht oder kaum bedrohen.

Dass im Zuge der Ebola-Epidemie Impfstoffe gegen den Erreger erfolgreich getestet werden konnten, lag einzig und allein daran, dass nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA viel Geld zur Erforschung von potenziell biowaffentauglichen Viren zur Verfügung gestellt wurde. Nur deshalb standen Impfstoff-Prototypen wie „ZMapp“ bereit, die künftig helfen können, eine neuerliche Epidemie einzugrenzen oder gar zu verhindern. Um die Anstrengungen zu verstetigen hat die WHO Ende letzten Jahres eine Blaupause auf den Weg gebracht, wie Forschung und Entwicklung zwischen und während Ausbrüchen organisiert werden sollen.

Nicht berücksichtigt wird in den Reformvorschlägen der Experten die Rolle der örtlichen Religionsgemeinschaften. Das ist ein Versäumnis, denn die Ebola-Epidemie hat gezeigt, wie sehr der Glaube und seine Traditionen die Seuchenbekämpfung beeinflussen – oder unmöglich machen. So ist es in Guinea üblich, sich von toten Familienangehörigen zu verabschieden, sie zu küssen, zu berühren, zu umarmen. Allein der Vorschlag der Ärzte und Helfer, dies wegen der Ansteckungsgefahr zu unterlassen, verstärkte das ohnehin verbreitete Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Gesundheitsdiensten.

Zusammenarbeit mit religiösen Partnern

„Komplexe Wechselbeziehungen von Kultur, Tradition, Stigma, und Vorurteilen beeinflussen die Akzeptanz von Gesundheitsleistungen“, schreiben die Gesundheitswissenschaftlerinnen Katherine Marshall und Sally Smith im Juli 2015 im „Lancet“. Glaubensgemeinschaften könnten ein Teil der Lösung sein, wenn sie als vollwertige Partner einbezogen werden und ihre Kommunikationswege und ihr Wissen einbringen. Die „Channels of Hope“ der Hilfsorganisation World Vision etwa verbreiten unter anderem wissenschaftliche Informationen und binden muslimische und christliche Führer in ihre Arbeit ein. Auch das Deutsche Institut für Ärztliche Mission in Tübingen und das Würzburger Missionsärztliche Institut arbeiten mit religiösen Partnerorganisationen zusammen, um die Gesundheitsdienste in armen Ländern zu verbessern.

Es ist offen, ob die Vorschläge der Experten verwirklicht werden und die Weltgemeinschaft in die Lage versetzen, die nächste Epidemie wirksamer zu bekämpfen. „Wir hatten auch zuvor große Ausbrüche und gründliche Auswertungen, aber die Welt vergisst schnell“, sagt Ashish Jha. Sicher ist nur eines: Der nächste Ausbruch kommt bestimmt. Er kann von Viren wie MERS ausgelöst werden, das im Sommer 2015 in Südkorea 36 Menschen das Leben kostete, von einer der vielen Varianten des Grippeerregers oder von Viren, die Forscher noch nicht einmal kennen, weil sie bislang nur in Tieren kursieren und nur noch nicht reif sind, auf den Menschen überzuspringen.

Autor

Sascha Karberg

ist freier Wissenschafts- journalist in Berlin im Journalistenbüro "Schnittstelle".
Oder Ebola kommt zurück. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist größer denn je. Die Fledermäuse, die den Virus übertragen, haben die Seuche offenbar über das ursprüngliche Herkunftsgebiet Zentralafrika hinaus verbreitet, unter anderem nach Guinea, wo die Krankheit zuvor unbekannt war. Ein zweites Reservoir sind die Überlebenden der Epidemie. Noch Monate nach dem Abklingen des Fiebers finden Ärzte die Viren in der Samenflüssigkeit, im Gehirn, im Innenauge und in den Gelenken. Zwar ist Ebola nach dem bisherigen Forschungsstand nicht so leicht durch sexuelle Aktivitäten übertragbar wie das Aids auslösende HI-Virus. Doch zumindest in einigen Fällen scheint Geschlechtsverkehr der Übertragungsweg gewesen zu sein. Das Berliner Robert-Koch-Institut warnt deshalb, angesichts der hohen Zahl Überlebender könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch künftig neue Fälle von Ebola in Guinea, Sierra Leone und Liberia auftreten.

Es sei keine Zeit zu verlieren, betonen die internationalen Gesundheitsexperten in ihrem „Lancet“-Artikel. Bereits nach der SARS-Epidemie in China und dem Schweinegrippe-Ausbruch 2009 sei die Gelegenheit verspielt worden, die WHO schlagkräftiger und effizienter zu machen. Geschehe dies erneut, stehe man der nächsten Epidemie „völlig unvorbereitet“ gegenüber.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2016: Seuchen: Unsichtbare Killer
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