Krishna ging in der Hoffnung auf ein besseres Einkommen ins Ausland – so wie etliche seiner Landsleute, die Tag für Tag Nepal verlassen. Insgesamt arbeiten Hunderttausende Nepalis in anderen Ländern, meist in Restaurants oder auf dem Bau, vor allem in den Golfstaaten und in Malaysia. Der 28-Jährige ist jetzt allerdings verletzt zurückgekehrt und geht an Krücken. Er hat in einem Krieg gekämpft, für den er sich nicht gemeldet hatte, für den er aber unter betrügerischen Voraussetzungen rekrutiert worden war.
Im Oktober 2023 flog Krishna, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, zusammen mit einigen Freunden nach Russland. Sie wollten in Kasernen der russischen Armee als Köche oder Reinigungskräfte arbeiten. Als sich Russlands Offensive in der Ukraine verschärfte, hatten in seinem Dorf im mittleren Westen Nepals örtliche Agenten Männer für die russische Armee rekrutiert und sie mit hohen Gehältern und sogar der russischen Staatsbürgerschaft gelockt. Man sagte ihnen, dass sie nicht auf das Schlachtfeld geschickt würden, und da sie zu Hause arbeitslos waren, glaubten Männer wie Krishna, die Arbeit wäre das Risiko wert.
Sieben Monate später kehrte Krishna mit Schrapnellwunden an Händen und Beinen nach Hause zurück. Aus dem Moskauer Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, sei er weggelaufen, erzählt er, Stunden bevor sein Kommandeur ihn besuchen wollte. In den Tagen danach besorgte er sich bei der nepalesischen Botschaft ein Reisedokument und flog nach Hause.
„Ich wollte nicht noch einmal in den Krieg und mein Leben riskieren – ich bin froh, dass ich lebend nach Hause gekommen bin“, erzählt Krishna. Er war in einer Luftverteidigungseinheit eingesetzt. Krishna sagt, die russische Armee schulde ihm ein Monatsgehalt und eine Entschädigung für seine Verletzungen. „Viele von uns haben etwa 800.000 Rupien (über 5600 Euro) an Krediten aufgenommen, um nach Russland zu gehen. Jetzt haben wir bloß noch mehr Schulden.“ Viele Männer wie Krishna, die vor dem Krieg geflohen sind, warten und hoffen noch auf das ihnen zugesagte Geld.
Mindestens 48 Nepalis wurden im Krieg getötet
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 haben sich Hunderte nepalesische Männer der russischen Armee angeschlossen. Wie viele es genau sind, ist schwierig zu ermitteln, weil die meisten von ihnen illegale Wege über Drittländer genommen haben. Das liegt daran, dass Nepal seinen Bürgern seit Januar 2024 verbietet, zum Arbeiten nach Russland oder in die Ukraine zu reisen. Ende 2023 hatte Nepal Russland aufgefordert, keine seiner Bürger mehr als Söldner zu rekrutieren, nachdem sechs von ihnen im Kampf getötet worden waren.
Die nepalesische Polizei hat inzwischen mindestens 14 Personen festgenommen, die verdächtigt werden, Nepalis illegal über Drittländer nach Russland zu schicken. Nepals Außenministerium erklärt, es habe Kontakt zu 350 Familien von Soldaten in Russland; es hat für 48 Fälle offiziell bestätigt, dass Nepalis bei Kämpfen in der Ukraine getötet wurden. Eine Kampagnengruppe, der Familienangehörige von Männern in der russischen Armee angehören, gibt jedoch an, dass sie mit etwa 3000 betroffenen Familien in Kontakt steht und dass mindestens 63 Männer in dem Krieg gefallen sind. Keine der Leichen wurde nach Nepal zurückgebracht.
Dass sich Männer aus Nepal ausländischen Truppen anschließen, hat eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte. Damals begannen die Briten, Nepalis zu rekrutieren, weil sie von deren Tapferkeit während des Krieges der Britischen Ostindien-Kompanie von 1814-1816 mit dem damaligen Königreich Nepal beeindruckt waren. Soldaten aus Nepal sind als Gurkhas bekannt geworden und haben in beiden Weltkriegen, im Irak und in Afghanistan in den britischen Streitkräften gekämpft. Sie dienen auch in der indischen Armee, jeweils im Rahmen von staatlichen Verträgen.
Lokaler Agent warb Nepali als Koch in der Armee an
In Nepal haben in den letzten Jahren die steigende Arbeitslosigkeit – laut den jüngsten Zahlen lag sie 2022-2023 bei 12,6 Prozent – und die niedrigen Löhne dazu geführt, dass Rekordzahlen von Männern Arbeiten im Ausland suchen. Auch Khim Bahadur Thapa, der elf Jahre in Katar und Malaysia als Koch und Bauarbeiter gearbeitet hatte, konnte nach seiner Rückkehr um das Jahr 2020 angemessenen Job finden. Deshalb fand er die russische Armee attraktiv, als ihm ein lokaler Agent dort einen Job als Koch in Aussicht stellte: Das Monatsgehalt sollte rund 60.000 Rubel betragen, fast das Fünffache des nepalesischen Mindestlohns von 17.300 Rupien (etwa 121 Euro).
Doch sobald Thapa zusammen mit anderen Nepalis in Russland gelandet war, wurden sie medizinisch untersucht und anschließend in eine Einrichtung zur Kampfausbildung geschickt. Nach etwa 15 Tagen fand sich Thapa an der Front in der ukrainischen Stadt Bakhmut wieder. Krishna, der zusammen mit Thapa gereist war, berichtet von einer ähnlichen Erfahrung und sagt, dass er etwa drei Monate an der Front verbracht habe. „Wir wussten nicht, dass wir in den Krieg geschickt würden“, sagt Thapa.
Drei Monate später, im Januar 2023, gelang Thapa und zwei weiteren Männern unter schrecklichen Umständen die Flucht von der Front in der Ukraine nach Russland und dann nach Nepal. Thapa sagt, dass er erneut 600.000 Rupien (4200 Euro) an einen Agenten zahlen musste, um nach Hause kommen zu können, was seine hohen Schulden noch vergrößerte: Er hatte sich bereits etwa 700.000 Rupien geliehen, um Agenten für den Flug nach Russland zu bezahlen.
Auf TikTok wurde ein glorreiches Leben in der Armee präsentiert
Viele Nepalis, die im Ausland arbeiten wollen, sind von der Chance auf ein besseres Einkommen motiviert und von der Aussicht, sich im Gastland niederlassen zu dürfen, berichtet Arjun Kharel. Der Assistenzprofessor für Soziologie an der Tribhuvan-Universität in Kathmandu, der dort zu Arbeit und Mobilität forscht, erkennt dabei einen Trend zur „Stufenmigration“: Man arbeitet zunächst in einem Land und spart da, um noch bessere Möglichkeiten in einem weiteren Land zu suchen. „Der russisch-ukrainische Krieg bot da eine Art Chance“, sagt Kharel. „Die Informationen dazu wurden auf eine bestimmte Art verpackt, um Menschen anzuwerben.“
Solche Informationspakete gibt es auf Social-Media-Plattformen einschließlich TikTok. Sie versprechen meist ein ansehnliches Gehalt und ein glorreiches Leben in der Armee. Zu Beginn des Krieges schilderten verschiedene nepalesische Männer ihr Leben in der russischen Armee in rosigen Farben, was viele zu Hause veranlasste, ebenfalls den Sprung zu wagen. So auch der 35-jährige Rajkumar. Der habe sich auf TikTok stundenlang Videos von Nepalis angeschaut, die in der russischen Armee dienten, erzählt sein Bruder Suman Roka, und das Gehalt habe ihn gelockt.
Rajkumar, ein ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Polizei Nepals, hatte während der Corona-Pandemie schwere geschäftliche Verluste erlitten. Im Oktober 2023 verließ er seine Frau und seine beiden Kinder und ging nach Russland. Nach nur 40 Tagen wurde die Familie von den nepalesischen Behörden benachrichtigt, dass er im Kampf gefallen war. „Er war ein guter Mensch und hat anderen immer geholfen“, sagte Roka. „Er hat viel Geld ausgegeben, um dort hinzugehen, aber von der Entschädigung haben wir noch nichts gehört.“
Familien warten auf Entschädigung und Lohnzahlungen
Auf eine Entschädigung wartet im Bezirk Kailali weit im Westen Nepals auch die Familie von Bharat Shah, der im November 2023 getötet wurde. Bharat hatte eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen, um von Dubai, wo er als Wachmann arbeitete, nach Russland gehen zu können. Er trat gegen den Willen seiner Frau in die Armee ein. Bevor Bharat Nepal verließ, um zuletzt in Dubai zu arbeiten, war er fast zehn Jahre Verkehrspolizist in Kathmandu und anderen Städten gewesen. „Er ging wegen der schlechten finanziellen Lage der Familie“, sagt sein Bruder Uttam. „Sein Leben wie sein Tod scheinen der Regierung gleichgültig zu sein.“
Im Februar 2024 erklärte die russische Regierung, sie werde die Familien der im Ukraine-Krieg getöteten nepalesischen Männer entschädigen und das Geld über die nepalesische Botschaft in Moskau verteilen. Zuvor mussten die Familienangehörigen der Verstorbenen nach Russland reisen, um die Entschädigung zu erhalten. Putin hat 2023 einen Erlass unterzeichnet, der die Zahlung von 5 Millionen Rubel für im Ukraine-Krieg getötete Soldaten und 3 Millionen Rubel für Verletzte vorsieht. Ob für ausländische Soldaten derselbe Betrag gilt, ist allerdings unklar. Bislang hat keiner der Angehörigen der gefallenen Nepalis das Geld erhalten.
Familienangehörige von Nepalis, die in der russischen Armee dienen, gefallen oder verletzt wurden, haben mehrmals mit Protesten vor Regierungsgebäuden und vor der russischen Botschaft in Kathmandu Entschädigung und Antworten gefordert. Im Mai 2024 veranstalteten sie in Kathmandu ein 17-tägiges Lager und einen Hungerstreik, worauf das Büro des Premierministers und der Ministerrat erklärten, die Regierung sei entschlossen, die Forderungen der Demonstranten auf diplomatischem Weg vorzubringen.
"Ich bin froh, dass ich noch lebe"
Sieben Monate danach sagt Kritu Bhandari, eine Lokalpolitikerin und Sozialaktivistin, die sich für betroffene Familien einsetzt: „Die nepalesischen Regierungsvertreter lassen uns nicht einmal vor, um die Forderungen der Familien anzuhören.“ Sie bestätigt, dass für keinen der im Ukraine-Krieg getöteten Nepalis eine Entschädigung gezahlt wurde; einige Verwundete, die – statt zu fliehen – vorschriftsgemäß zurückgekehrt seien, hätten aber Zahlungen erhalten. Bhandari weiß von keinen nepalesischen Rekruten, die in den letzten Monaten neu in die russische Armee eingetreten wären. „Die Sensibilisierung für das Thema, damit sich unsere Männer nicht der russischen Armee anschließen, und das Vertrauen, das die Familien uns in ihrem Kampf nun entgegenbringen, sind die größten Erfolge unserer Kampagne“, sagt sie.
Nach seiner Rückkehr aus Russland vor einem Jahr versuchte sich Khim Bahadur Thapa als Fahrer einer Autorikscha, gab das aber wegen zu niedriger Einnahmen wieder auf. Jetzt unterhält er zusammen mit seiner Frau einen kleinen Lebensmittelladen in seinem Dorf und treibt auch Landwirtschaft. Er möchte wieder im Ausland arbeiten, vielleicht in Europa – immer mehr Nepalis entscheiden sich jetzt für Ziele wie Rumänien, Kroatien oder die Slowakei.
Krishna will nicht wieder ins Ausland. Seine Wunden sind verheilt, aber er ist immer noch arbeitslos. Manchmal spricht er mit Freunden, die noch in der russischen Armee sind. Er sagt, dass ihre Erfahrungen unterschiedlich sind: Einige wollen nicht kämpfen und möchten zurückkehren, andere werden pünktlich bezahlt und erwägen sogar, ihren Aufenthalt zu verlängern.
„Ich bin gegangen, weil ich in Nepal wirklich keine Zukunft sah“, sagt Krishna. „Aber jetzt bin ich froh, dass ich aus Russland zurück bin und noch lebe. Ich hoffe nur, dass ich meine Entschädigung dafür bekomme, dass ich für sie gekämpft und mein Leben aufs Spiel gesetzt habe. Ich würde gerne nach Russland gehen und die Entschädigung abholen, aber dann lassen sie mich vielleicht nicht zurück und schicken mich wieder in den Krieg.“
Aus dem Englischen von Bernd Ludermann.
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