Gegen das 2012 geschlossene Abkommen geklagt hatte die Frente Polisario, die politische Vertretung der von Marokko besetzten Westsahara. Ihr Vorwurf: Der Vertrag verstoße in mehreren Punkten gegen die Regeln der Vereinten Nationen sowie gegen internationales und EU-Recht. So sei die Bevölkerung der Westsahara an den Verhandlungen nicht beteiligt worden; ihre „legitimen Interessen“ seien missachtet worden. In einem entscheidenden Punkt folgten die Richter in Luxemburg den Klägern: Die gesetzliche Hoheit Marokkos über die Westsahara sei international nicht als rechtmäßig anerkannt und könne damit nicht Gegenstand eines Freihandelsvertrages zwischen der EU und Marokko sein.
Die Westsahara ist ein wichtiges Anbaugebiet für landwirtschaftliche Produkte wie Tomaten, die bislang zollfrei in die EU eingeführt werden konnten. Auswirkungen wird das Urteil wohl auch für weiter anhängige Klagen beim EuGH haben; dort soll demnächst die Klage der Polisario gegen das EU-Fischereiabkommen mit Marokko entschieden werden. Dabei geht es darum, ob die EU und Marokko das Recht haben, die Fischgründe vor der Küste der Westsahara leer zu fischen. In Vorbereitung ist auch eine Klage gegen eine marokkanische Lizenz für eine irische Firma zur Suche nach Erdöl in der Westsahara.
In ihrem Urteil beziehen sich die Richter in Luxemburg auf ähnlich gelagerte Fälle, in denen gesonderte Regeln für besetzte Gebiete in Handelsverträge geschrieben wurden, etwa für Waren aus dem von der Türkei annektierten Nord-Zypern. Für Diskussion sorgte vor allem die Entscheidung der EU-Kommission im vergangenen Herbst, dass Erzeugnisse aus jüdischen Siedlungen in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland oder den Golanhöhen gekennzeichnet werden müssen. Vertreter Israels hatten dies scharf kritisiert und dabei auch die Agrarexporte aus der Westsahara zum Thema gemacht. Die EU-Kommission schob in einer Erklärung Anfang Dezember den EU-Mitgliedstatten den schwarzen Peter zu: Es sei deren Sache, wie sie die Kennzeichnung des Warenursprungs handhabten.
Ministerrat will Berufung einlegen
Der EuGH macht nun deutlich, dass die EU die Menschenrechte und das Recht auf Selbstbestimmung der betroffenen Bevölkerung beim Abschluss von Handelsverträgen beachten muss. Ob sich die Politik an die Vorgaben hält, steht auf einem anderen Blatt. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini kündigte bereits im Dezember an, dass der EU-Ministerrat Berufung gegen das Urteil einlegen werde. Der marokkanische Außenminister Salaheddine Mezouar bestand darauf, dass einmal beschlossene und rechtskräftige Verträge einzuhalten seien.
Immerhin stimmte das EU-Parlament kurz vor Weihnachten dafür, den jährlichen EU-Menschenrechtsbericht zu ergänzen: Die EU-Kommission und der Ministerrat sollten sich aktiv für die Anerkennung der Rechte der Menschen in der Westsahara einsetzen. Für die Polisario und ihre Regierung der Westsahara (SADR) ist das EuGH-Urteil ein Meilenstein in dem nun 40 Jahre dauernden Kampf um Unabhängigkeit.
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