Armes reiches Land

Trotz seiner Bodenschätze zählt Papua-Neuguinea zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Profite aus ihrem Abbau sichern sich ausländische Konzerne und die Regierung, die lokalen Gemeinschaften gehen meist leer aus. Doch zunehmend wehren sie sich, weil sie nicht beteiligt werden. Zum Beispiel in der Provinzhauptstadt Madang: Dort soll eine Freihandels­zone für die Verarbeitung von Thunfisch entstehen.

Noch liegt das Gelände brach. Bulldozer roden die letzten Palmen, ein hellblauer Metallzaun zieht die Grenze zur Straße und zu den benachbarten Dörfern. Eine unscheinbare Hinweistafel verrät, was hier, an der Nordküste von Papua-NeuGuinea in der Provinzhauptstadt Madang, entsteht: ein Industriegebiet mit zehn neuen Fabriken zur Verarbeitung von Thunfisch. Die Regierung hat auf 216 Hektar eine Freihandelszone für die Ansiedlung ausländischer Investoren ausgewiesen, die Pacific Marine Industrial Zone. Sie verspricht sich davon ein gutes Geschäft: Mehrere hundert Millionen Euro soll das Projekt jährlich in die Staatskasse spülen, wenn es fertig gestellt ist.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Auch die lokale Bevölkerung soll profitieren: Insgesamt 30.000 Arbeitsplätze sollen in den neuen Fabriken entstehen. Frank Don ist trotzdem alles andere als begeistert. Wenige Kilometer von dem blauen Zaun entfernt steht der stämmige junge Mann im orangefarbenen T-Shirt auf dem Dorfplatz von Rempi und redet sich seinen Ärger von der Seele. „Dieses Projekt bringt uns überhaupt nichts. Die meisten von uns werden in den Fischfabriken keine guten Jobs bekommen, weil sie dafür nicht ausgebildet sind“, sagt der Sozialarbeiter, der die Proteste seiner Gemeinschaft mit gut 9000 Mitgliedern gegen die Pläne der Regierung und der ausländischen Fischindustrie anführt.

Die Erfahrungen mit der bislang einzigen am Ort ansässigen Thunfischfabrik RD Tuna, die zum philippinischen Konzern RD Corporations gehört, sind wenig ermutigend. Die Fabrik, die täglich 200 Tonnen Thunfisch verarbeitet, stand bereits wiederholt wegen Umweltverschmutzung und mangelnder Hygiene in der   Kritik. Ende Juli hat sie knapp 500 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen, die für eine Erhöhung ihrer Löhne auf den staatlich festgelegten Mindestlohn von 2,29 Kina (65 Eurocent) pro Stunde gestreikt hatten. Inzwischen wurde gut die Hälfte von ihnen – bei höherem Lohn – wieder eingestellt. Doch dafür müssen sie nun die Fahrt zum Arbeitsplatz selbst zahlen, der zuvor kostenlose Transport wurde abgeschafft.

Handels- und Industrieminister Gabriel Kapris sieht indessen laut einem Zeitungsbericht Papua- Neuguinea schon als weltgrößten Exporteur von Thunfisch. Der globale Handel mit dem Fisch, der für Sushi ebenso unverzichtbar ist wie für Nizza-Salat, bringt jährlich rund 5 Milliarden Euro ein. Kapris’ Hoffnung gründet sich vor allem auf das Interims-Freihandelsabkommen, das der Pazifiks taat im vergangenen Jahr mit der Europäischen Union (EU) abgeschlossen hat. Darin gestattet die EU unter anderem, dass alle Fischwaren, die in Papua-Neuguinea weiterverarbeitet werden, zollfrei nach Europa eingeführt werden dürfen, egal, wo oder unter welcher Flagge der Fisch gefangen wurde. Fischverarbeitende Firmen, die sich hier ansiedeln, haben einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten etwa in Thailand oder China, deren Thunfisch-Exporte in die EU mit Zöllen in Höhe von 24 Prozent belegt sind.

Bei der Errichtung der Sonderwirtschaftszone und der Formulierung der dafür geltenden Gesetze lässt sich Papua- Neuguineas Regierung vom privatwirtschaftlichen Arm der Weltbank, der International Finance Corporation, beraten. Zur Finanzierung des mit insgesamt 228 Millionen Euro veranschlagten Projektes hat sie sich Unterstützung in China geholt. Die Export-Import Bank der Volksrepublik gewährte ein Darlehen in Höhe von rund 55 Millionen Euro – unter der Bedingung, dass die Erschließung des Geländes von einer chinesischen Firma vorgenommen wird und 70 Prozent der folgenden Bauarbeiten ebenfalls in chinesischer Hand liegen. Das dürfte die ablehnende Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Chinesen im Land, die laut Experten weit verbreitet ist, noch verstärken.

Frank Don ist empört, dass alle Entscheidungen über die Industriezone über die Köpfe seiner Gemeinschaft hinweg getroffen worden sind. Er befürchtet Umweltprobleme und wachsende soziale Spannungen, weil sich immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit in der Gegend um Rempi angesiedelt und den bisherigen Einwohnern das ohnehin schon knappe Land streitig gemacht haben. Die Landfrage ist ein heikler Punkt in dem Konflikt. 97 Prozent des Landes befindet sich in Papua- Neuguinea in traditionellem Besitz, in der Regel gehört es lokalen Gemeinschaften. Laut Gesetz müssen sie zu allen Vorhaben konsultiert werden, die ihren Grund und Boden betreffen.

Das Gelände, auf dem das Industriegebiet entstehen soll, hat schon mehrfach den Besitzer gewechselt: 1905 ging es an die katholische Kirche, die es später an die Provinzregierung von Madang verkaufte. Es folgten weitere Verkäufe, der bislang letzte fand zwischen RD Tuna und der nationalen Regierung statt. Diese Geschichte wiegt schwer in der Erinnerung der Einwohner von Rempi und schürt neue Ängste, dass sie weiteres Land verlieren könnten. „Die katholische Kirche hatte versprochen, das Land zu entwickeln. Aber sie hat ihr Versprechen nicht gehalten“, klagt der Dorfchef von Rempi, Joseph Apa. „Eine Entschädigung haben wir nie bekommen.“

Das Misstrauen, vor allem gegenüber der Regierung, sitzt tief. „Sie kümmert sich nicht um unsere Bedürfnisse“, sagt Frank Don. „Wir fühlen uns vernachlässigt. Und deshalb lehnen wir das Projekt alle ab, oder?“ fragt er provozierend in die Runde und erntet allgemeine Zustimmung. Theresa Tivud pflichtet ihm bei. Die Prostitution werde zunehmen und damit die Ausbreitung von HIV/Aids, wenn die Zahl der Fangflotten und der Matrosen steigt, die den Fisch zur Verarbeitung heranschaffen. Das Meer werde leer gefischt, für die Einheimischen bleibe immer weniger übrig, meint die 47-Jährige, die für die Frauen im Dorf spricht. Aber vor allem kritisiert sie die mangelhafte Informationspolitik der Regierung. „Viele von uns verstehen gar nicht, was auf sie zukommt. Wir brauchen Aufklärung, mehr Informationen, damit wir Entscheidungen treffen können.“

Doch trotz aller Kritik und Empörung: Am Rand der Versammlung geben einige jüngere Leute dann doch zu, dass sie das geplante Industriegebiet mit seinen Möglichkeiten, Geld zu verdienen, reizvoll finden. Sie möchten das Dorf verlassen und wünschen sich eine andere Zukunft als ihre Eltern, die vom Verkauf von Kokos- und Betelnüssen leben und den Bedarf an Nahrungsmitteln vor allem aus dem eigenen Garten decken. Die jungen Leute stehen für den Umbruch von der Tradition zur Moderne, der sich in der Gesellschaft von Papua-Neuguinea unter dem Einfluss des Westens, Chinas und Australiens vollzieht. Oft verläuft die Trennlinie zwischen den Generationen. „Die zunehmende Ausbeutung der Bodenschätze beschleunigt diese Entwicklung“, sagt die Ethnologin Ulla ­Kroog. Die sozialen Folgen sind fatal: Traditionelle Organisationsformen lösen sich auf, vor allem junge Männer geraten in eine Identitätskrise, erläutert ­Kroog. Die entlade sich oft in Gewalt, meist gegen die eigenen Frauen und Kinder.

Trotz des Reichtums an natürlichen Ressourcen zählt Papua-Neuguinea mit seinen 6,3 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Erde. 87 Prozent der Bevölkerung lebt noch auf dem Land von Subsistenzwirtschaft. In die Hochlandregionen führen nur wenige Straßen, viele Dörfer sind lediglich zu Fuß oder mit dem Flugzeug erreichbar. 40 Prozent der über 15-Jährigen können nicht lesen und schreiben, oft scheitert ein Schulbesuch daran, dass die Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können oder zu wenig Schulen vorhanden sind. Sie sind schlecht vorbereitet auf Verhandlungen mit ausländischen Konzernen, die, mit Billigung der Regierung, Gold, Nickel oder Erdgas fördern, die Regenwälder abholzen oder sich an den Fischgründen bedienen wollen.

Es fehle eine Vision, wie die Entwicklung des Landes so gestaltet werden kann, dass die Mehrheit der Bevölkerung davon profitiert, kritisiert Ulla Kroog, die das Regionalbüro Pazifik des Evangelischen Entwicklungsdienstes und von „Brot für die Welt“ leitet. Politiker wie der Gouverneur von Madang, Arnold Amet, sehen zur Industrialisierung dennoch keine Alternative. „Wir können nicht in der Steinzeit verharren, während alle anderen Länder sich entwickeln“, sagt er. Für die Sorgen der Leute von Rempi äußert er Verständnis und betont, die Regierung wolle stärker auf die Führer der Gemeinschaften zugehen, um sie besser zu informieren. Wünschenswert wären auch Ausbildungsprogramme für die Arbeit in der Fischindustrie. Aber dafür, räumt Gourverneur Amet ein, habe die Provinzverwaltung nicht genug Geld.

Die Unzufriedenheit mit der Regierung des langjährigen Premierministers Michael Somare ist nicht nur in Rempi groß. Auch anderswo nimmt die noch junge Zivilgesellschaft – das Land wurde erst 1975 von Australien unabhängig – zunehmend den Kampf für ihre Rechte auf. In den vergangenen Jahren hat sich eine Reihe nichtstaatlicher Organisationen gegründet, die sich vor allem gegen die schonungslose Ausbeutung von Rohstoffen wehren und für eine behutsame Nutzung des Regenwaldes und der Natur eintreten. Dazu zählt die Bismarck Ramu Group, die sich dafür einsetzt, dass die Gemeinden die Entwicklung ihres Landes selbst in die Hand nehmen. Mit ihrer Hilfe hat Frank Don Mitte August gegen die Einrichtung der Sonderwirtschaftszone von Madang einen Prozess vor dem nationalen Gerichtshof angestrengt.

„Wir hoffen, dass wir damit das Projekt zumindest etwas verzögern können“, sagt John Chitoa von der Bismarck Ramu Group. „Wir brauchen mehr Zeit, um die Menschen besser auf die Zukunft vorzubereiten.“ Bei einem ebenfalls umstrittenen Bergbauprojekt, der Ramu-Nickel-Mine im südlichen Hochland von Papua-Neuguinea, hat die Organisation einen ersten Erfolg erzielt. Per Gerichtsurteil wurde die geplante Entsorgung von giftigem Abraum in das Korallenmeer vorerst gestoppt.

Unterstützung erhält der Widerstand gegen Eingriffe in die natürlichen Ressourcen auch von einer Organisation, die sich das modernste Mittel für Kampagnen aller Art zunutze macht: das Internet. „Act Now“ versammelt auf seiner Webseite Informationen und Proteste und ruft seine Landsleute dazu auf, der Regierung mehr auf die Finger zu schauen. „Die Menschen sollten sich nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die Regierung etwas tut“, erklärt Effrey Dademo, Anwältin und Gründerin von „Act Now“. „In diesem Land ist die öffentliche Meinung nichts wert. Das wollen wir ändern.“

Als die Regierung Ende Mai die strengen Auflagen im Umweltgesetz lockerte, um die darin vorgeschriebene Beteiligung der Landbesitzer an Verhandlungen mit Bergbau- und Öl-Unternehmen zu umgehen, riefen Dademo und ihre Mitstreiter über Facebook die Internet-Community zu Hilfe. Mehrere hundert Protest-E-Mails legten daraufhin das elektronische Postfach der Pressesprecherin von Premierminister Somare lahm. Der öffentliche Druck zeigte Wirkung: Die Regierung habe versprochen, die Rücknahme der Änderungen zu überprüfen, sagt Dademo zufrieden. „Act Now“ werde genau beobachten, was weiter passiert.

erschienen in Ausgabe 10 / 2010: Artenvielfalt: Vom Wert der Natur
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