Ständig wird irgendwo gewählt. Kaum hat eine Partei eine Wahl gewonnen, bereitet sie sich schon auf die nächste vor. In Afrika gilt dieser Kreislauf auch für die westlichen Geldgeber. Sie schütten regelmäßig Hunderte Millionen Dollar aus, um in irgendeinem Land die Demokratisierung zu unterstützen. Kürzlich kam ich mit einem jungen Diplomaten in Nairobi über die Vorbereitungen zu der für 2017 angesetzten Wahl in Kenia ins Gespräch. Als er all die wohlbekannten Phrasen wiederholte – wir brauchen eine Kampagne zur Wählerregistrierung; es ist wichtig, eine unbestechliche Wahlkommission zu haben; man muss die Entscheidungsträger ins Boot holen –, fühlte ich mich auf einmal alt und erschöpft. Und ich wurde wütend.
Ich habe das alles schon zur Genüge gehört – und die Wähler in Kenia natürlich auch. Ich habe über vier Wahlen in dem afrikanischen Land berichtet, und jedes Mal sprachen die westlichen Diplomaten und Vertreter von Hilfsorganisationen vorher mit großem Ernst über Wählerregistrierung und Entscheidungsträger, Transparenz und Gestaltungsmöglichkeiten. Jedes Mal zeigten sie unerschütterliches Vertrauen in die gerade eingesetzte Wahlkommission. Und die Ergebnisse waren jedes Mal, nun ja, „gemischt“ ist der freundlichste Ausdruck, der mir dazu einfällt.
In den Jahren 2007 und 2008 waren die Manipulationen so schamlos, dass sie Kenia an den Rand eines Bürgerkriegs brachten. Mehr als tausend Menschen starben, am Ende griff die Armee ein. Auf den rauchenden Ruinen dessen, was einst als afrikanische Vorzeigedemokratie gegolten hatte, wurde in aller Eile eine Übergangsregierung errichtet. Der in Verruf geratene Leiter der Wahlkommission, Samuel Kivuitu, räumte später ein, er hätte nicht sagen können, wer gewonnen hatte.
2013 entschieden die Organisatoren, dass ein ordnungsgemäßer Wahlverlauf nur mit modernster Technik zu sichern sei: Wahlregister auf Laptops, biometrische Wähleridentifikation mit Fingerabdrucksensoren und Übermittlung der Auszählungsergebnisse per SMS. Doch die kaum getestete und schlecht auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnittene Ausrüstung versagte am Wahltag auf breiter Front. Die gedemütigten Organisatoren sahen sich gezwungen, die Stimmen wie gehabt per Hand auszuzählen.
Einige Mitglieder der Wahlkommission mussten sich seitdem vor britischen Gerichten gegen den Vorwurf verteidigen, bei der Auftragsvergabe für „die teuerste Wahl der Welt“, wie sie bald genannt wurde, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Bis heute befasst sich ein Untersuchungsausschuss des kenianischen Parlaments mit der Angelegenheit. Doch Gewaltausbrüche blieben weitgehend aus. Die westlichen Geldgeber, die ein gutes Drittel der Wahlkosten in Höhe von 293 Millionen US-Dollar übernommen hatten, feierten trotz aller Fragezeichen, die Uhuru Kenyattas Wahlsieg im ersten Durchgang hinterließ, den Urnengang insgesamt als Erfolg.
Der Wahlausgang steht mehr oder weniger fest
Der Westen hilft auf diese Weise auch vielen anderen Ländern. Für die nächsten Jahre steht in Ostafrika eine Reihe von Wahlen an, bei etlichen ist nahezu ebenso sicher mit Gewalt und Repressalien zu rechnen, wie ihr Ausgang schon mehr oder weniger feststeht. Die meisten dieser Wahlen werden mit erheblichen Summen unterstützt.
In Tansania hat die bereits seit vier Jahrzehnten herrschende Chama Cha Mapinduzi, die „Partei der Revolution“, Ende Oktober trotz wachsender Unbeliebtheit den Sieg davongetragen. Ihr Kandidat, John Pombe Magufuli, wurde Anfang November als neuer Präsident vereidigt. An der Zeremonie nahmen zahlreiche afrikanische Staatsoberhäupter teil – die Opposition jedoch blieb fern, weil sie den Sieg Magufulis für manipuliert hält. In Uganda, wo nächstes Jahr Wahlen anstehen, kann sich Präsident Yoweri Museveni, bereits seit drei Jahrzehnten an der Spitze seines Landes, seiner Wiederwahl so gut wie sicher sein. In Ruanda geht Präsident Paul Kagame davon aus, dass er 2017 seine dritte fünfjährige Amtszeit antreten wird. Die Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker kann sich vorerst auf ihren Lorbeeren ausruhen – sie hat im Mai, so unglaubwürdig es klingt, sämtliche Parlamentssitze errungen.
Das Ende des Kalten Krieges brachte auch einige der großen Männer Afrikas zu Fall. Doch rasch wurden sie durch eine neue Generation von Regierungsparteien und Präsidenten ersetzt, die mit wachsendem Geschick den Demokratisierungsprozess zur Etablierung von Dauerherrschaften nutzten. Präsidenten in dritter Amtszeit wurden geradezu Mode auf dem Kontinent. „In Ländern wie Tansania und Kenia zeigen die Wahlen tatsächlich stärkeren Wettbewerbscharakter, wenn auch die Opposition immer noch regelmäßig verliert, während in Staaten wie Uganda und Ruanda die Demokratie stagniert“, sagt Nic Cheeseman, Professor an der Oxford University und Autor des Buches „Democracy in Africa“. „Von einem allgemeinen demokratischen Fortschritt kann keine Rede sein.“
Nicht gerade gut für die Glaubwürdigkeit
Eigentlich müssten die westlichen Geldgeber doch einsehen, dass ihre innige Verbindung mit zweifelhaften Wahlergebnissen ihre Glaubwürdigkeit zu Hause und unter ihren Verbündeten nicht gerade fördert. Warum sind Länder, deren Budgets für Entwicklungshilfe unter starkem Druck stehen – was sich durch die Flüchtlingskrise in Europa nur verschärfen kann –, bereit, weiter umstrittene Wahlen in anderen Staaten zu finanzieren?
Ein Grund liegt in der Länge der Amtszeiten. Nicht in der von Präsidenten oder Parlamenten, sondern in den viel zu kurzen Abstechern nach Afrika von Botschaftern und Gesandten diplomatischer Vertretungen, Sekretären oder Direktoren der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds – Arbeitsperioden, deren Kürze es verhindert, dass sich ein institutionelles Gedächtnis bilden kann.
Edward Clay, der frühere britische Hochkommissar in Nairobi, beschrieb einmal den Zyklus, den Diplomaten und Vertreter von Entwicklungsorganisationen nach ihrer Ankunft in Kenia durchlaufen. Im ersten Jahr sind sie voller Enthusiasmus und fest entschlossen, die Hilfe auszubauen. Im zweiten Jahr schleichen sich Zweifel ein. „Im dritten Jahr“, sagte er, „sind sie sämtlich durch den Wind, so desillusioniert, dass sie nicht mehr vernünftig reden oder denken können.“ Ein viertes Jahr halten die wenigsten durch. Das aber würde helfen, die Herausforderung einer Partnerschaft mit einem Land zu verstehen, das Transparency International unter die 30 korruptesten der Welt einreiht.
„Wenn ich nur mal die Botschafter nehme, bin ich jetzt schon bei meinem dritten Israeli, dem dritten Deutschen und demnächst auch beim dritten Inder“, erzählte mir ein Diplomat in der Bar des holzgetäfelten Muthaiga Country Club in Nairobi. Ein anderer, dem nur ein einziger europäischer Botschafter einfiel, der sowohl die Wahl 2013 als auch die 2017 in Kenia erleben wird, räumte ein: „Die hohe Fluktuationsrate ist ein großes Problem. Und die Fluktuation in Nairobi ist deshalb so hoch, weil die Leute hier einfach verschlissen werden.“
Die Eliten Afrikas kennen alle Tricks und Kniffe
Im Gegensatz dazu sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten Afrikas, mit denen es die Vertreter aus dem Westen zu tun haben, äußerst stabil. Sie haben ihre Netzwerke über Jahrzehnte geknüpft und Vergünstigungen gewährt, die sich nun auszahlen. Sie kennen Geheimnisse, die bares Geld wert sind. Mit Leichtigkeit manövrieren sie ihre weniger erfahrenen „Entwicklungspartner“ aus, und falls einer von ihnen doch einmal mehr Bereitschaft zur Konfrontation zeigen sollte, so warten sie einfach voller Geduld, bis er weg ist. Sie kennen alle Tricks und Kniffe, die sicherstellen, dass Wahlen in ihrem Sinne ausgehen.
Doch die westlichen Geldgeber sind nicht nur durch Naivität gehandicapt, es ist auch eigennütziger Pragmatismus im Spiel. „Die Geldgeber sagen sich: ‚Das verschafft uns Einfluss auf die Wahlkommission und die Regierung, und falls es schief geht, können wir vielleicht wenigstens verhindern, dass alles komplett den Bach runtergeht‘“, meint der britische Politologe Cheeseman. Das Problem ist nur, dass „Einfluss“ hier auch bedeutet, für das Ergebnis mitverantwortlich zu sein.
Diese Beziehung festigt sich – wie alle Hilfsbeziehungen – auf eine Weise, die die demokratischen Prinzipien aushöhlt, die sie eigentlich fördern soll. „Mit dieser Art von überfinanzierten Wahlen wird man Gefangener der Situation“, gab ein Botschafter zu. „Wenn man den Wahlprozess kritisiert, kritisiert man im Grunde sich selbst. Was soll man denn machen – ein Telegramm an die eigene Regierung schicken, in dem steht: ‚Ich habe ein paar Millionen Dollar vergeudet‘?“
Autorin
Michela Wrong
ist freie Journalistin und Autorin in London. Sie berichtet seit 20 Jahren über Afrika und hat mehrere Bücher verfasst, zuletzt den Roman „Borderlines“ (Fourth Estate, London 2015). Ihr Beitrag ist im Original in „Foreign Policy“ erschienen.Fünf Jahrzehnte, nachdem die afrikanischen Länder die Unabhängigkeit von ihren Kolonialherren erhalten haben, ist es so befremdlich wie besorgniserregend, dass souveräne Staaten sich regelmäßig an ausländische Geldgeber wenden, um die Wahlkämpfe zu finanzieren, mit denen sie ihre Herrschaft legitimieren. „Wir haben es zugelassen, dass die afrikanischen Staaten für ihre Wahlen vom Westen abhängig sind“, sagt Cheeseman. „Ich kann verstehen, dass das in einer Gesellschaft nötig ist, die gerade einen Bürgerkrieg hinter sich hat, so wie Mali. Aber in korrupten oder rohstoffreichen Ländern wie Kenia und Nigeria scheint das überflüssig.“
Nairobi wird es noch eine Weile dauern, bis die skandalgeschüttelte Wahlkommission sich einig ist, was sie sich das nächste Mal von den Geldgebern wünscht. Ich vermute allerdings, es wird noch mehr teure Computertechnik sein, die dann endlich die Probleme beseitigt, die die „fälschungssichere Wahl“ von 2013 plagten – mit allen Begleiterscheinungen einträglicher Beschaffungsverträge. An diesem Punkt kann ich nur beten, dass die Leiter der diplomatischen Missionen sagen: „Erst, wenn die Verantwortlichen für die Vorgänge bei der letzten Wahl mit Gefängnis und saftigen Bußgeldern bestraft worden sind.“ Aber damit rechne ich nicht.
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
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