Was Flüchtlingen wirklich helfen würde

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Herausgeberkolumne
Von der Bekämpfung der Fluchtursachen reden gegenwärtig alle Politiker. Gemeint ist allerdings meistens: Flüchtlingsabwehr. Wer Flüchtlinge unterstützen will, darf sich nicht vor politischen Änderungen drücken.


Flüchtlinge sollen nicht mehr europäischen Boden betreten. Zumindest nicht die, die einer düsteren wirtschaftlichen Perspektive entfliehen. Was übrigens nichts mit Flucht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu tun hat, sondern mit Migration. Weil aber echte Ursachenbekämpfung länger dauert als eine Wahlperiode, lautet das nächste Stichwort: Auslagerung von Flucht- und Migrationskontrolle.

Mit Ursachenbekämpfung hat das nichts zu tun – im Gegenteil: Eine unter anderem von Brot für die Welt herausgegebene Studie über den entwicklungspolitischen Einfluss der europäischen Migrationspolitik belegt, dass der Versuch, Flüchtlinge schon in den Herkunftsländern abzufangen, Entwicklungspotentiale in den Mittelmeeranrainerstaaten eher zerstört und neues Konfliktpotential schafft.

Dann also mehr Entwicklungspolitik – dafür allerdings treten schon weniger Politiker ein. Weder auf der UN-Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung im Juli in Addis Abeba noch beim Gipfel zu den UN-Nachhaltigkeitszielen in New York hat die Bundesregierung erklärt, bis wann sie ihre Entwicklungshilfe auf die zugesagten 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erhöhen will. Stattdessen gab es lautes Nachdenken, welche Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr man denn noch aus der Entwicklungshilfe finanzieren und so die Mittel für die langfristige Arbeit an Fluchtursachen weiter reduzieren könnte. Oder soll Entwicklungshilfe künftig nur im Gegenzug zu Maßnahmen zur Flucht- und Migrationskontrolle geleistet werden? Wie soll das gehen? Zaun drum und keiner darf raus wie in der DDR?

Die Länder, aus denen Flüchtlinge und Migranten kommen, brauchen mehr Hilfe. Das steht fest. Aber zur Bekämpfung der Fluchtursachen reicht das nicht. Entwicklung kann nicht stattfinden, solange einem Land von außen permanent die wirtschaftliche Basis entzogen wird. Deutschland verschärft mit seiner Agrar-, Außenwirtschafts-, Handels-, Rohstoff-, Energie- und Klimapolitik sowie mit seinen Waffenexporten Flucht- und Migrationsursachen.

Waffenexporte stoppen wäre ein guter Anfang

Dabei könnte Deutschland wirksam dazu beitragen, dass weniger Menschen ihre Heimat unfreiwillig verlassen müssen: indem es eine faire Wirtschafts- und Handelspolitik betreibt und auf europäischer Ebene fördert, die Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltstandards achtet; indem es sich an der internationalen Entwicklungs- und Klimafinanzierung beteiligt, so wie es seiner Wirtschaftskraft und dem Verursacherprinzip angemessen ist; indem es auf der Klimakonferenz im Dezember in Paris entschieden für ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen und für die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen, aber auch für die Kompensation von Verlusten und Schäden eintritt; und indem es seine Waffenexporte, vor allem Kleinwaffenexporte, strikt reduziert und eine aktive Friedenspolitik betreibt.

Wer Flucht- und Migrationsursachen bekämpfen will, muss dagegen protestieren, dass das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP sich um Menschenrechts- und Entwicklungsverträglichkeit keinen Deut schert. Er oder sie müsste fragen, wann die Bundesregierung endlich einen nationalen Umsetzungsplan für die UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten oder zum Recht auf Nahrung vorlegt. Oder was Deutschland zur globalen Regelung internationaler Finanzströme unternimmt, die der Finanzierung gewaltsamer Konflikte dienen. Oder ob es sich für die Zertifizierung der Lieferketten von Rohstoffen aus Konfliktregionen einsetzt. Und wie steht es eigentlich um die Verdoppelung der Ressourcen für „Krisenprävention und Friedenskonsolidierung“, so wie es das neue UN-Nachhaltigkeitsziel Nummer 16 fordert?

So könnte der „Wirtschaftsflucht“ wirksam begegnet werden. Denn wovor fliehen die Menschen? Vor den fatalen Auswirkungen der eigensüchtigen Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen mächtigerer Länder oder global agierender Konzerne in Entwicklungsländern. Das zu ändern aber würde eine Abkehr vom rein marktliberalen Wirtschaftsparadigma erfordern. Ob das allerdings gewollt ist, werden die Diskussionen über die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele zeigen. Die Ziele kommen genau zur rechten Zeit, denn unsere heutigen politischen Entscheidungen stellen die Weichen für die Flüchtlingsbewegungen der Zukunft.

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Wie regelmässig bei weltsichten zu lesen kommt auch diese Kolumne aus dem Elfenbeinturm. Fluchtursachen kann man nicht in den Zielländern der Wirtschaftsflüchtlinge bekämpfen. Wenn Sie die Gründe für Migration bei deutscher oder europäischer Politik sehen, dann darf man doch fragen, ob Sie nicht selbst diese Parteien oder Politiker gewählt haben. Es ist auch reichlich öde, immer nur Forderungen an die "Politik" zu richten, ohne selbst tätig zu werden. Viele Menschen in Deutschland handeln schon entsprechend, sind in den unterentwickelten Regionen der Welt selbst aktiv und geben ihr Können und Wissen dort weiter. Das verstehe ich unter Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort. Dazu gehört auch zwingend, den Wirtschaftsflüchtlingen zu verdeutlichen, ein Leben Deutschland ist nicht unbedingt ein Leben in Würde. Wenn Sie auch nur einen von der Flucht abhalten können, haben Sie mehr geleistet, als wenn Sie bedrucktes Papier produzieren.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2015: Blauhelme: Abmarsch ins Ungewisse
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