Riskantes Großprojekt

Der Staudamm Gibe III in Äthiopien gefährdet empfindliche Ökosysteme

Wenn die jungen Männer im Omo-Delta sich zum Donga treffen, fließt Blut. Und doch können es die meisten nicht erwarten, bei dem vermutlich Jahrhunderte alten Ritual ihre Kräfte zu messen. Dutzende Männer von den Stämmen der Surma und der Mursi gehen mit Holzstangen aufeinander los. Das Gefecht erinnert mehr an asiatische Kampfkunst als an Schwertkämpfe. Schnelligkeit und Stärke machen die Stangen zu gefährlichen Waffen: Ein Treffer am Kopf öffnet mit Sicherheit eine klaffende Wunde. Doch während das Blut am nackten, allenfalls mit furchteinflößenden Körperbemalungen geschmückten Körper herunter läuft, kämpfen die meisten Männer weiter bis zur totalen Erschöpfung.

Autor

Marc Engelhardt

ist freier UN-Korrespondent mit Sitz in Genf.

An kaum einem Ort in Afrika sind Traditionen noch so lebendig wie im Omo-Delta im Süden Äthiopiens. Weite Teile des von Bauern- und Hirtenvölkern bewohnten Landstrichs sind nur zu Fuß zugänglich. Das Leben geht seit Jahrhunderten den gleichen Gang, Äthiopien ist für die meisten Menschen hier ein weit entferntes Land. Doch all das wird sich vermutlich ändern: Im kommenden Jahr soll nach den Plänen der äthiopischen Regierung der dritte Damm am Omo-Fluss fertig gestellt sein – der zweitgrößte seiner Art in Afrika. „Den Völkern im Omo-Delta wird das die Lebensgrundlage nehmen“, befürchtet Elizabeth Hunter von der Menschenrechtsorganisation Survival International. Bislang warten sie jedes Jahr, bis sich nach der Regenzeit zwischen Juni und September der angeschwollene Fluss zurückzieht. Auf dem fruchtbaren Schlamm, der in den Überschwemmungsgebieten zurückbleibt, werden dann Sorgum und Bananen angebaut. Wenn der Staudamm fertig ist, wird es keine Überflutungen mehr geben. „Sie sind dann nicht länger Selbstversorger, sondern werden vermutlich auf Nahrungshilfe angewiesen sein“, meint Hunter.

Gibe III, seit 2006 im Bau, ist ein gigantischer Staudamm: Die Staumauer soll 240 Meter hoch sein, der Stausee 151 Kilometer lang und 11,75 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen. Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis ihn der Omo, der während des ganzen Jahres Wasser führt, aufgefüllt hat. Selbst die äthiopische Regierung, die jede Kritik an dem Projekt zurückweist, räumt ein, dass den Anrainern flussabwärts für diesen Zeitraum Notrationen zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Mammutdamm soll 1870 Megawatt Strom liefern – das ist etwa so viel, wie Äthiopien derzeit bereits aus anderen Quellen erzeugt. Die Hälfte des Stroms soll ins Ausland exportiert werden, etwa nach Kenia. Allerdings reicht Äthiopiens Stromnetz noch nicht bis in diese entlegene Ecke des Omo-Deltas. Jenseits der Grenze in Kenia ist die nächste Hochspannungsleitung mehr als 700 Kilometer entfernt, so dass derzeit noch nicht klar ist, wie der von Gibe III produzierte Strom eigentlich ins Nachbarland transportiert werden soll.

Das hält Äthiopiens Regierung aber nicht davon ab, das Projekt als wichtigen Entwicklungsschritt für eines der ärmsten Länder der Welt zu feiern. „Wir brauchen den Gibe III-Damm, um unseren Strombedarf zu decken“, behauptet der äthiopische UN-Botschafter Yoseph Kassaye. Und selbst Tewolde Egziabher, Chef der äthiopischen Umweltbehörde, erklärt: „Die Vorteile für unser Land, die lokale Bevölkerung und unsere Nachbarstaaten überwiegen bei weitem die kleinen Problemchen, die kurzzeitig auftreten werden.“

Umweltschützer, die das Milliardenprojekt trotz Geheimhaltung seitens der äthiopischen Regierung untersucht haben, kommen allerdings zu einem völlig anderen Ergebnis. „Die Eindämmung des Omo-Flusses setzt ohnehin sehr empfindliche Ökosysteme zusätzlich unter Stress“, warnt der Direktor der Umweltschutzorganisation International Rivers, Peter Bosshard. Das Omo-Delta, Naturschutzgebiet und UNESCO-Welterbe, würde schwer in Mitleidenschaft gezogen. „Der Damm wird nicht nur Hunger verursachen, sondern auch die Ressourcenkonflikte unter den rund 500.000 Bewohnern der Region verschärfen.“ Außer gut 100.000 Bauern sind im Omo-Tal etwa ebenso viele nomadische Viehhirten vom Wasser das Flusses abhängig sowie in Nordkenia die Menschen am Turkanasee, in den der Omo mündet. Wenn der Flusspegel sinkt und Wasser knapp wird, könnten Unruhen aufflammen. Wenn Surma und Mursi nicht ihre traditionellen Kämpfe mit Stöcken zelebrieren, ziehen sie schwer bewaffnet umher. Fast jeder Nomade trägt, festgeschnallt an einem Lederband, eine Kalaschnikow auf dem Rücken.

Dass der Damm überhaupt gebaut wird, verdankt Äthiopiens Regierung vor allem China. Ein Kredit der staatlichen Industrial and Commercial Bank of China deckt etwa ein Viertel der auf 1,6 Milliarden Euro geschätzten Kosten. Neben der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Afrikanischen Entwicklungsbank erwägt derzeit auch Italiens Regierung den Einstieg in das Projekt. Kritiker halten ihr vor, Teil eines Korruptionsnetzwerkes zu sein, das den Dammbau umgibt. Ebenso wie die Vorgänger Gibe I und Gibe II wurde auch der Bau des aktuellen Megadamms Gibe III ohne Ausschreibung an das italienische Unternehmen Salini Costruttori vergeben. Das ist laut äthiopischer Gesetzgebung illegal. Im Fall von Gibe II hatte Italien erst 367 Millionen Euro äthiopischer Staatsschulden gestrichen und dann über die staatliche Entwicklungsagentur einen neuen Kredit vergeben. Diesmal soll Italien erwägen, 250 Millionen Euro zuzuschießen. Die Finanzierung halten Gegner des Damms für die Achillesferse des Projekts. Mehr als die Hälfte der erforderlichen Mittel, so ihre Schätzung, sind bislang noch nicht vorhanden. Ohne externe Zuschüsse wäre Äthiopien vermutlich nicht in der Lage, den Damm fertig zu stellen.

Gideon Lepalo würde sich darüber freuen. Er gehört zu den 300.000 Bewohnern im Umkreis des Turkanasees im Norden Kenias, die direkt von dem Dammprojekt betroffen wären. Der jadegrüne See ist der größte Wüstensee der Welt; gespeist wird er zu mehr als neunzig Prozent vom Omo. Laut einer Umweltverträglichkeitsprüfung der Africa Resources Working Group wird Gibe III den Wasserspiegel um zehn bis zwölf Meter sinken lassen. Für den an der tiefsten Stelle gerade einmal 31 Meter tiefen See wäre das eine Katastrophe – auch deshalb, weil die Konzen-tration der im Wasser gelösten Salze steigen und das zu einem Fischsterben führen würde. „In Kalokol am Westufer des Sees sehen wir schon länger die Auswirkung der beiden anderen Dämme am Omo“, berichtet Lepalo, der die Bürgerbewegung „Rettet den Turkanasee“ anführt. „Früher lag Kalokol direkt am See, inzwischen hat das Wasser sich drei Kilometer zurückgezogen.“ Auf der anderen Seite des Sees leide das Fischervolk der El Molo, oft als Kenias kleinste Ethnie bezeichnet, bereits unter dem gleichen Phänomen.

Dabei gibt es durchaus Alternativen. Wenn es nach den Plänen von Carlo van Wageningen geht, dann soll die Turkana-Region bald nicht nur selbst über Strom verfügen, sondern ganz Kenia mit Energie versorgen. Der Holländer will mit seiner Firma „Lake Turkana Wind Power“ den größten Windpark Afrikas errichten. Nicht weit vom See entfernt sollen 365 im grellen Sonnenlicht gleißende Rotoren insgesamt 300 Megawatt in Kenias Stromnetz einspeisen. In Kenia werden derzeit theoretisch 1200 Megawatt Strom erzeugt, doch meistens wird diese Leistung bei weitem nicht erreicht.

„Kaum eine andere Region in der Welt ist so gut für einen Windpark geeignet wie das Ufer des Turkanasees“, erklärt van Wageningen, der seit gut zwanzig Jahren in Kenia lebt und das Mammutprojekt seit mehr als fünf Jahren plant. Die ganzjährig und rund um die Uhr wehenden Starkwinde, erzeugt durch das konstante Druckgefälle zwischen dem Indischen Ozean im Südosten und der Sahara im Nordwesten, werden von Bergflanken in einer Art Tunneleffekt zusätzlich verstärkt. Das führt zu konstanten Windgeschwindigkeiten von bis zu 14 Metern pro Sekunde, was sich als leichter Sturm einstufen lässt. Im Rahmen seines Projektes plant van Wageningen ferner den Bau einer Straße für den Transport der Windräder sowie von Hochspannungsmasten für die Stromleitung.

Wenn sein Plan aufgeht, dann sollen schon Mitte kommenden Jahres die ersten 50 Megawatt eingespeist werden, ein gutes Jahr später der Rest. Hochrechnungen zufolge könnten am Turkanasee sogar bis zu 2000 Megawatt Strom erzeugt werden – so viel wie von Gibe III. Damit würde Kenia, nicht Äthiopien, zum größten Energieexporteur der Region. Der Regierung in Nairobi ist die alternative Energieerzeugung dennoch nicht ganz geheuer. Aus Vorsicht hat Präsident Mwai Kibaki bereits 500 Megawatt Strom aus Gibe III eingekauft unter der Voraussetzung, dass für den Staudamm eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. Die von Äthiopiens Regierung erst Jahre nach Baubeginn vorgenommene Prüfung gilt Kritikern als Gefälligkeitsgutachten.

Die Unterstützung der lokalen Bevölkerung ist van Wageningen hingegen sicher. Sie feiert sein Projekt als Gegenmodell zu Gibe III. Auch van Wageningen lehnt den Damm ab, doch er könnte von dessen Bau profitieren. Wenn jemals Strom von Gibe III nach Kenia exportiert werden soll, kann er nur über sein Netz von Hochspannungsleitungen eingespeist werden. Turkana-Aktivist Gideon Lepalo hofft, dass es dazu nie kommen wird. „Die Regierung in Nairobi soll die Finger von dem Damm lassen und stattdessen den weiteren Ausbau des Windparks bezuschussen.“ Andernfalls prophezeit er eine düstere Zukunft: „Schon jetzt kämpfen die Stämme im Grenzgebiet von Kenia, Äthiopien und dem Südsudan in jeder Trockenzeit miteinander – wenn der Turkanasee als Lebensader versiegt, wird das einen ausgewachsenen Krieg über die Grenzen hinweg auslösen.“

 

Millenniums-Entwicklungsziel 7:

Umweltschutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen

Vertreter von 189 Staaten haben im September 2000 die so genannten Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) beschlossen. Sie machen Vorgaben für die Verringerung von Armut, Hunger und Analphabetismus, der Geschlechterdiskriminierung, von Krankheiten und der Umweltverschmutzung und sehen eine Entwicklungspartnerschaft zwischen Nord und Süd vor. Bis 2015 sollen die acht MDGs erreicht sein. Im September 2010 werden die Vereinten Nationen über den Stand der Fortschritte beraten. Bis dahin berichtet „welt-sichten“ in einer Serie über Erfahrungen mit jedem der acht Ziele.

Das siebte Millenniumsziel ist dem Umweltschutz gewidmet. Unterziele sind unter anderem, den Verlust an biologischer Vielfalt zu bremsen und bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte zu senken, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitären Einrichtungen haben. Das Trinkwasser-Ziel ist laut den Vereinten Nationen (UN) erreichbar. Wenn sich die bisherige Entwicklung fortsetze, könnten in fünf Jahren 86 Prozent der Bevölkerung in Entwicklungsländern einwandfreies Wasser trinken. Den größten Fortschritt zwischen 1990 und 2008 verzeichnet hier Ostasien, während sich die Lage auf den pazifischen Inseln (Ozeanien) eher noch verschlechtert hat: Die Hälfte der dortigen Bevölkerung muss ihren Durst mit schmutzigem Wasser stillen.

Wenig optimistisch äußern sich die UN zu dem  , mehr Menschen einen Zugang zu grundlegenden Sanitäreinrichtungen zu verschaffen. 2,6 Milliarden Menschen weltweit hatten 2008 keine sanitäre Grundversorgung mit Toiletten oder Latrinen, diese Zahl werde sich bis 2015 voraussichtlich auf 2,7 Milliarden erhöhen, heißt es im MDG-Bericht 2010. 1,1 Milliarden Menschen vor allem in ländlichen Gebieten müssen noch immer ihre Notdurft im Freien verrichten. Diese Praxis gefährdet die Gesundheit und stellt für Frauen und Mädchen ein hohes Sicherheitsrisiko dar, wenn sie abgelegene Orte aufsuchen.

(gwo)

 

MDG-Bericht 2010: Fortschritte sind möglich – und nötig

Eine gemischte Bilanz haben die Vereinten Nationen in ihrem neuesten Bericht zum Erreichen der Millenniumsziele (MDGs) vorgelegt. Fortschritten bei der Armuts- und Aids-Bekämpfung sowie bei der Grundschulbildung stehen krasse Defizite gegenüber – etwa bei der Müttersterblichkeit und der Sanitärversorgung.

Neben einigen Fortschritten bei der Eindämmung von Aids oder Malaria (MDG 6) und deutlich verbessertem Zugang zu Grundbildung besonders in Afrika (MDG 2) ist laut Bericht auch die Kindersterblichkeit (MDG 4) deutlich zurückgegangen – von 12,6 Millionen (1990) auf 8,8 Millionen. Doch wie bei anderen Zielen bleiben die Raten hinter den gesetzten Zielmarken weit zurück. Das gilt auch für MDG 1, das vorsieht, den Anteil der Armen und Hungernden bis 2015 zu halbieren. Die Zahl der Hungernden ist weltweit – infolge gestiegener Nahrungsmittelpreise (2008) und sinkender Einkommen durch die Weltwirtschaftskrise – um rund 50 Millionen auf jetzt mehr als eine Milliarde Menschen gestiegen. Die Sterblichkeit von Müttern geht zwar zurück, jedoch nur um ein Prozent jährlich. 5,5 Prozent wären laut Bericht nötig, um das Millenniumsziel 5 zu erreichen: eine Senkung um drei Viertel bis 2015. Während die Schulden der Entwicklungsländer (MDG 8) verringert werden konnten, sieht es bei der Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit  (MDG 7) düster aus: Die Waldvernichtung schreitet nahezu ungebremst fort, und die CO2-Emissionen haben sich gegenüber 1990 verdoppelt.  

Noch sind laut dem Bericht bis 2015 signifikante Verbesserungen möglich. Zugleich sieht man bei der UN mit Sorge, dass die internationalen Geber ihre Hilfe tendenziell reduzieren. Besonders große Lücken klafften beim Versprechen von 2005 (Glen­eagles), die Hilfe für Afrika zu verdoppeln. Der Dachverband deutscher entwicklungspolitischer Organisationen VENRO fordert von der Bundesregierung einen verbindlichen Aktionsplan zum Erreichen der MDGs.

(di)

 

erschienen in Ausgabe 8 / 2010: Metropolen: Magnet und Molloch
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