Dranbleiben!

Protest gegen TTIP
Der Widerstand gegen das Handelsabkommen mit den USA zeigt Wirkung. Er muss fortgesetzt werden – denn es geht um nicht weniger als um eine Vision für einen gerechteren Welthandel.


Soviel Widerstand war selten: Mehr als 3,3 Millionen Menschen haben sich bislang an der Unterschriftenkampagne „Stop TTIP“ gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA beteiligt. Mitte Oktober gingen laut Veranstaltern rund 250.000 Menschen in Berlin auf die Straße, um gegen TTIP und das bereits fertig verhandelte Abkommen mit Kanada (CETA) zu protestieren. Und selten war eine Bewegung so breit: Mehr als 170 Organisationen hatten zu der Demonstration für einen gerechten Welthandel aufgerufen. Gewerkschaften waren ebenso dabei wie Kirchen, Globalisierungskritiker, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, der Deutsche Kulturrat und der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Sie alle eint die Befürchtung, dass mit TTIP ökologische und soziale Standards, der Verbraucherschutz und die kulturelle Vielfalt preisgegeben werden. Sie haben Angst, dass Konzerne durch die geplanten internationalen Schiedsgerichte an den Parlamenten vorbei zu viele Einflussmöglichkeiten erhalten. Und sie kritisieren, dass ärmere Länder aus Afrika, Asien und Lateinamerika nicht mitreden dürfen. Denn die könnten künftig mit ihren Produkten auf dem europäischen Markt das Nachsehen haben.

Befürworter des Abkommens, das seit Juni 2013 in der nun elften Runde verhandelt wird, erhoffen sich hingegen durch den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Immerhin würde damit die größte Freihandelszone der Welt entstehen – und das sei nötig, damit das alte Europa nicht von den boomenden asiatischen Volkswirtschaften abgehängt wird. Die soeben besiegelte Transpazifische Partnerschaft (TPP) zwischen den USA und elf weiteren Pazifikanrainern wie Japan und  Malaysia gilt ihnen als wichtiges Argument, nicht länger zu zögern.

Widerstand alleine genügt nicht

Ob die Ängste der Gegner oder die Hoffnungen der Befürworter berechtigt sind, kann derzeit niemand seriös vorhersagen. Sicher ist: TTIP mobilisiert – und das ist gut so. Die Kritiker gehen nicht nur auf die Straße. Sie machen geheime Dokumente öffentlich, hinterfragen die vollmundigen Versprechen, entlarven irreführende Darstellungen und rücken Politikern auf den Leib – namentlich denen von der CDU. Sie vereinfachen auch, und sie polemisieren. Doch sie werden gehört: TTIP hat seinen Weg aus den Hinterzimmern der Verhandler in die breite Öffentlichkeit und in die Medien gefunden. Die Zivilgesellschaft will die Geheimhaltung nicht länger dulden und fordert ihre Beteiligung. Und sie zeigt neue Wege auf: Ein Bündnis von rund 50 Organisationen wirbt bei EU-Parlamentariern für ein Alternatives Handelsmandat, das auf dem Schutz der Menschenrechte und der Umwelt gründet.

Die TTIP-Gegner können Erfolge vorweisen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström musste auf den öffentlichen Druck hin Reformvorschläge für den Investorenschutz vorlegen. Inzwischen wird über die Einrichtung eines ständigen Gerichtshofes diskutiert, der für alle Streitfälle aus Handelsabkommen zuständig ist. Ferner hat die EU-Kommission Mitte Oktober eine „verantwortungsbewusstere“ Handels- und Investitionspolitik vorgestellt, in der sie mehr Transparenz verspricht und sich verpflichtet, Abkommen als „Hebel“ zu nutzen, um weltweit europäische Werte wie eine nachhaltige Entwicklung, die Einhaltung der Menschenrechte sowie einen fairen und ethischen Handel zu fördern.

Die Gegner haben Zeit gewonnen

Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ will die Europäische Union außerdem den USA in der nächsten Verhandlungsrunde Ende Oktober höhere Sozial- und Umweltstandards abtrotzen – und sie unter anderem auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO verpflichten. Bislang hat Washington nur zwei von acht Verträgen ratifiziert. Und die Gegner haben Zeit gewonnen: Experten gehen davon aus, dass der erste Entwurf für das Abkommen erst Ende 2016 stehen wird.

TTIP zu stoppen, scheint angesichts der mächtigen Wirtschaftsinteressen unrealistisch. Auch US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben beim G7-Gipfel in Elmau klar gemacht, dass sie es so schnell wie möglich unter Dach und Fach bringen wollen. Zugleich ist der Weg zur Ratifizierung noch weit – und es müssen schließlich EU- und nationale Abgeordnete zustimmen. Auch angesichts der vollmundigen Versprechen der EU-Kommission in ihrer neuen Handelsstrategie ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft dranbleibt und den Verhandlungspartnern auf die Finger schaut. Selbst falls sich TTIP nicht verhindern lässt – mit Hilfe von Widerstand und Visionen können seine Inhalte für Mensch und Umwelt nur besser werden.

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