Die Autoren des so genannten Kairos-Palästina-Papiers betonen, dass sie aufgrund ihres christlichen Glaubens an ein friedliches Ende der Besetzung glauben, und fordern Christen in aller Welt auf, sich stärker für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Land einzusetzen. Zu den Autoren gehören der frühere Lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Jerusalem, Theodosios Atallah Hanna, sowie der lutherische Pfarrer in Bethlehem, Mitri Raheb. Seit der Veröffentlichung haben mehr als 2000 Palästinenser das Papier unterzeichnet.
Innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sorgt das Papier für Diskussionen. „Auf der seinen Seite sind wir erfreut, dass sich der Aufruf zur Versöhnungsbereitschaft bekennt, zu Gewaltfreiheit und zum theologisch in der Liebe begründeten Verzicht auf jede Form von Rache und Vergeltung“, sagt Johannes Friedrich, der Bayerische Landesbischof und Vorsitzende der Evangelischen Mittelostkommission (EMOK), die den Rat der EKD in Fragen des Nahen Ostens berät. „Als Christen in Deutschland müssen wir andererseits aber ganz deutlich sagen: Die Besetzung durch Israel ist nicht die einzige Ursache für die Not des palästinensischen Volkes.“ Auch lägen die Wurzeln des Terrorismus nicht nur „in dem menschlichen Unrecht, das uns angetan wird, und in dem Übel der Besetzung“, wie es im Kairos-Palästina-Papier heißt. Die Forderung der Autoren, israelische Produkte aus den besetzten Gebieten zu boykottieren, weist Friedrich als „völlig undenkbar“ zurück. Neben den Anklängen an unselige Zeiten, die ein solcher Aufruf habe, werde seines Erachtens durch einen Boykott nichts verändert oder gar gebessert. „Eine solche Forderung kann unserer Meinung nach nicht unterstützt werden.“
Harsche Kritik am Ökumenischen Rat der Kirchen
In Kirchen anderer Länder stößt der Appell aus Palästina auf größere Zustimmung. „Während unseres Kampfes in Südafrika waren wir uns eurer Solidarität sicher. Jetzt stehen wir nicht nur in der Stunde des Leides sondern auch im Augenblick des Sieges an eurer Seite“, schreibt beispielsweise der anglikanische Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, an die palästinensischen Christen. Den Vergleich mit der Situation in Südafrika während der Apartheid zieht auch der ÖRK, was ihm von verschiedenen Seiten harsche Kritik eingebracht hat, unter anderem von den christlich-jüdischen Gesellschaften in Deutschland. Sie werfen dem Rat vor, die Dramatisierung der Verhältnisse in den Palästinensergebieten zu unterstützen, und bescheinigen ihm „Unkenntnis historischer Zusammenhänge“.
Auch Oberkirchenrat Jens Nieper, Referent für den Nahen Osten bei der EKD, findet den Vergleich mit Südafrika schwierig. „Die Situationen in Südafrika damals und Palästina heute müssen differenziert gesehen werden“, sagt er. Natürlich gestehe er den Südafrikanern einen anderen Blickwinkel auf die Lage in Palästina zu, als man ihn von Deutschland aus habe. „Aber wir, die wir zum allergrößten Teil nie unter einem Apartheidsregime und entsprechenden Ungerechtigkeiten gelebt haben, sollten uns diese Sichtweise nicht einfach zu Eigen machen“, meint Nieper.
Jedoch frage er sich nach zahlreichen Gesprächen mit den Verfassern des Kairos-Palästina-Papiers, ob man in Deutschland das Dokument nicht unter falschen Prämissen aufgenommen habe. Denn die Autoren riefen in erster Linie die Palästinenser selbst auf, die Hoffnung auf ein Ende der Besetzung nicht aufzugeben. „Nach einer langen Zeit der Sprachlosigkeit melden sich nun palästinensische Christen wieder zu Wort und das wird in breiten Kreisen der dortigen Gesellschaft als befreiend empfunden“, sagt Nieper. Das Papier werde in zahlreichen Schulen und Gruppen diskutiert.
„Kairos ist in Palästina eher eine Art Bewegung geworden“, sagt Nieper. Zwar könne man noch nicht deren Ausmaß fassen und auch noch nicht absehen, ob diese Bewegung Bestand haben werde. „Von dem Papier geht aber eine spürbare Motivation aus, es noch einmal auf friedlichem Wege zu versuchen“, sagt Nieper.