„Der Papst fordert Respekt vor der Natur“

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Mit der jüngsten Enzyklika bezieht der Vatikan nachholend Stellung zur Ökologie. Papst Franziskus hat Mitte Juni in seiner Enzyklika „Laudato si“ die Begrenztheit des Planeten betont und Respekt für die Natur angemahnt. Damit rennt er bei europäischen Katholiken offene Türen ein, nicht aber in den USA, erklärt der Wirtschafts- und Sozialethiker Bernhard Emunds.

Die Enzyklika wurde vor ihrer Veröffentlichung Medien zugespielt, offenbar weil sie an der Spitze der Kirche umstritten war. Worin liegt das Anstößige?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Was in der Enzyklika gesagt wird, ist in den Kirchen in Deutschland mit einigen Abstrichen Konsens. Anstößig ist es für einige sehr konservative Gruppen in den USA.

Die dominieren in den USA die katholische Kirche?
Die Amtskirche. In den 1980er Jahren stand sie teilweise sozialpolitischen Kreisen der Demokratischen Partei nahe. Mittlerweile ist das Gros der Bischöfe sehr nahe an den ultrakonservativen Strömungen der Republikaner bis hin zur Tea Party. Das hat zum einen mit den Bischöfen zu tun, die Johannes Paul II. in seinem Ponitifikat (1978-2005) ernannt hat, und zum anderen mit der immer stärkeren Polarisierung in den USA zwischen Konservativen und Liberalen. Für konservative Katholiken ist, wer von Sozialpolitik spricht, schon Sozialist. Auch der Papst soll sich aus der Politik heraushalten. Vor allem soll er den Klimawandel nicht als menschengemacht bezeichnet und eine ökologische Transformation fordern. Über Jahrzehnte haben diese Kreise Druck auf den Vatikan gemacht, um das zu verhindern – auch mit sehr viel Geld. Das ist jetzt gescheitert. Mit der Enzyklika kommt es zu einer nachholenden Ökologisierung des Vatikans.

Ist ihr Ton des heiligen Zorns für manche im Klerus starker Tobak?
Über weite Strecken ist die Enzyklika einfach ein starker Text! Franziskus formuliert wortgewaltig. Zum Teil ist der Stil für päpstliche Verlautbarungen erfrischend unprätentiös. Aber inhaltlich, mit seiner umweltpolitischen Positionierung rennt der Papst offene Türen ein, in Europa und auch weltweit. Er deutet die Umweltkrise als eine Krise des Verhältnisses der Gesellschaft zur Natur, mit der viele Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen verbunden sind. Laudato Si ist eine öko-soziale Enzyklika.

Zeichnet sich damit ein neues katholisches Naturverständnis ab?
Nicht im Grundsatz. Der berühmte Imperativ „Macht Euch die Erde untertan“ aus der Genesis, dem ersten Buch Mose, wurde lange so missverstanden, dass wir die Natur beherrschen sollen und ganz für unsere Zwecke ausbeuten können. Seit Jahrzehnten ist stattdessen in der Theologie von einem Auftrag die Rede, die Erde zu hüten und zu bewahren. Papst Franziskus geht in der Enzyklika allerdings einen Schritt weiter: Er betont sehr stark den Respekt vor dem Eigenwert der Natur und kommt so zu einer grundlegenden Kritik der Beherrschens und der gewinngetriebenen Aneignung von Natur – zum Beispiel der Privatisierung von Boden und Wasser.

Ist das in der Bibel begründet oder eher in einem romantischen Naturbegriff?
Die Enzyklika nutzt einzelne Begriffe und Passagen aus der Bibel, um Naturverbundenheit auszudrücken und stellenweise sogar eine Natur-Mystik zu entwerfen. Letzteres ist sicher nicht allen zugänglich. Angesichts eines weiten Gebirges oder eines schattigen Tales an Gott zu denken und zu sagen „Das ist mein Geliebter für mich!“, fällt mir persönlich eher schwer. Eine Schwäche des Textes liegt meiner Meinung nach in dem sehr harmonischen Bild der Natur, der wir uns verbunden wissen sollen. Ihre Gewalt, ihre Zerstörungskraft, ein manchmal brutaler Überlebenskampf zwischen Tieren – all das wird ausgeblendet. Zerstörerisch wirkt anscheinend nur der Mensch, der in die Natur eingreift. Überzeugend und entscheidend ist aber die Aussage: Wir müssen uns auf das Tempo natürlicher Prozesse einlassen. Man darf die Natur nicht ausreizen bis zum Letzten. Wir müssen uns die Zeit nehmen, pflegend mit ihr umzugehen.

Franziskus kritisiert auch die moderne Technik: Sie habe wichtige Errungenschaften gebracht, sei aber auf Beherrschung der Natur und auf Macht ausgerichtet. Woher kommt diese Kritik?
Von dem deutschen Theologen Romano Guardini. Über ihn wollte Pater Bergoglio promovieren. Dazu war er in den 1980er Jahre auch hier in Sankt Georgen. Laut Guardini hat die enorme Steigerung der technischen Möglichkeiten im 20. Jahrhundert zu einer grundlegenden Veränderung im Naturverhältnis des Menschen geführt. Die Natur ist dem Menschen zum formlosen Stoff geworden, den er völlig frei nutzen und gestalten kann. Da gibt es keine ethischen Grenzen mehr – und keine Einbindung in das Maß der Natur. Das ist ein entscheidender Gedanke in der Enzyklika. Aber diese ideengeschichtliche Sicht verbindet der Papst mit der Kritik, dass eine Wirtschaft, die sich der politischen Steuerung entzogen hat, immer neue technische Mittel einsetzt, um im Gewinninteresse die Natur auszunutzen. Für Papst Franziskus wird damit eine Maschinerie angeworfen, die immerfort die Gewinne, den Konsum und den Abfall steigert – der Planet wird bis zum letzten ausgebeutet und zugemüllt. Diese Maschinerie muss gestoppt werden. Deshalb fordert der Papst einen Primat der Politik über die Wirtschaft.

Die Gentechnik beurteilt Franziksus dann aber zurückhaltend: Er kritisiert nicht den Eingriff in das Genom oder seine Umweltrisiken, sondern die sozialen Auswirkungen.
Richtig. Das passt eigentlich nicht zu dem, was er vorher entwickelt hat. Meine vielleicht etwas einfache Erklärung dafür ist: Er musste den konservativen katholischen Kreisen in den USA auch irgendwo entgegenkommen. Denen hat die sehr harsche Kritik seines Vorgängers Papst Benedikt XVI. an der Gentechnik nicht gefallen.

Ist seine harte Kritik am Gewinnstreben in der Kirche konsensfähig – zumindest außerhalb der USA?
Nein, obwohl eine Privatwirtschaft, die sich ausschließlich am Gewinn orientiert, schon lange von den Päpsten kritisiert wird. Papst Franziskus spitzt das gerne zu. Mit harscher Kritik an „dieser“ Wirtschaft hat er schon vorher Widerwillen hervorgerufen, etwa mit dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ von 2013, nicht zuletzt in den Wirtschaftsredaktionen der großen deutschen Zeitungen.

Und ist diese Kritik nicht ein bisschen grobschlächtig – etwa wenn der Papst beklagt, dass das Finanzwesen die Herrschaft ergriffen hat?
Zum Teil. Der Begriff Finanzen kommt in der Enzyklika nur negativ vor. Es fehlt ein Verständnis, dafür, was die Finanzwirtschaft für die Realwirtschaftet leistet oder leisten kann. Nun ist Laudato si aber keine Enzyklika über finanzethischen Themen. So bleibt das Bild hier etwas holzschnittartig. Das gilt auch für einen zweiten wichtigen Aspekt: In der Enzyklika ist immer wieder von Macht die Rede, auch im Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Aber die Strukturen dahinter werden nicht beleuchtet. Was der Papst damit meint, bleibt unklar: Wer sind die Machthaber und wie funktioniert es, dass sie Macht ausüben und behalten?

Markiert die Enzyklika ein neues Verhältnis der Kirche zur Wissenschaft? Sie ist ja stark wissenschaftlich beeinflusst.
Ja, der Konsens der Umweltwissenschaften über die ökologischen Probleme wird sorgfältig aufgegriffen.

Aber der Papst kritisiert zugleich die „Zersplitterung des Wissens“, sozusagen die Fachidiotie der akademischen Disziplinen.
Diese Kritik finden Sie auch bei seinem Vorgänger, Papst Benedikt XVI: Wir fragen nach immer mehr Details, aber nicht nach der Gesamtausrichtung. Das ist eine überzeugende Perspektive! Doch Franziskus beschreitet auch hier neue Wege: Für Papst Benedikt war die Kirche im Besitz der überwölbenden Wahrheit, während andere durch die Sünde abgelenkt wurden, die Wahrheit zu erkennen. Die Theologie von Papst Franziskus ist dagegen nicht apologetisch und missionierend, sondern eine Einladung zum Dialog. Er sagt ausdrücklich, dass es verschiedene Ansätze gibt, die Wirklichkeit zu verstehen: Ich bringe mit der Theologie eine Perspektive ein. Ich erhebe nicht den Anspruch, die Wahrheit des Ganzen zu sagen, sondern lade alle ein, ihre eigene Perspektive einzubringen. Die Aufgabe der ökologischen Transformation und des Wandels im Naturverhältnis ist so groß, dass es möglichst vieler Stimmen und Sichtweisen bedarf. Das ist ein ganz anderes Selbstverständnis als der Anspruch: In Details lernen wir gerne von den Wissenschaften, aber worum es in der aktuellen Krise im Kern geht, das wissen nur wir.

Franziskus ruft zu einem gemeinsamen Suchprozess auf?
Genau. Und das löst er insofern ein, als er an verschiedenen Stellen die Ortskirchen und die verschiedenen Bischofskonferenzen zitiert. Es mag Protestanten überraschen, aber das ist in einer Enzyklika etwas Neues. Darüber hinaus zitiert er einen orthodoxen Patriarchen und einen islamischen Sufi-Theologen. Damit zeigt er selbst die dialogische Haltung, die er einfordert.

Franziskus erhebt einige klare Forderungen wie nach einer Kreislaufwirtschaft und dem Abschied vom Wachstum. Was halten Sie davon?
Diese Forderungen kommen nicht unvermittelt, sondern passen zu den grundsätzlichen Aussagen. Natürlich haben sie nicht den gleichen Geltungsanspruch – wer dem Papst hier in welchen Punkten folgen mag, ist eine offene Frage. Hinter der Forderung nach einer Kreislaufwirtschaft stehe ich zum Beispiel voll. Schwieriger finde ich die Passage, in der der Papst sagt, dass die Wirtschaft in den Industrieländern schrumpfen muss, damit arme Länder Raum zum Wachsen haben. Ich würde sagen, wir brauchen eine ökologische Transformation, in der bestimmte Bereiche schrumpfen, aber andere wachsen müssen – etwa die Reparatur von Geräten oder die Bereitstellung neuer umweltschonender Technologien. Ob im Ergebnis die Wirtschaft insgesamt wächst oder schrumpft, ist aus ökologischer Sicht nicht so wichtig. Aber auch wenn ich dem Papst hier nicht folge, finde ich es doch gut, dass er sich so klar und unmissverständlich äußert. Er legt den Finger auf die wunden Punkte – auch wenn seine Lösungsideen nicht jeden überzeugen werden.

Zahlreiche Umweltverbände sind von der Enzyklika begeistert. Haben Sie auch kritische Stimmen gehört?
Ja, aus wirtschaftsliberalen Kreisen. Die sagen, dass die harsche Kritik an der kapitalistischen Wirtschaft völlig außer Acht lässt, welche großen Fortschritte sie im Kampf gegen die Armut gebracht hat, zum Beispiel in China und Indien. Man kann sich natürlich auch über den Aufruf zu Verhaltensänderungen der Einzelnen lustig machen – etwa, das Auto einmal stehen zu lassen. Im Grunde ist das der Vorwurf des Anti-Modernismus: Der Papst lasse sich auf eine moderne Wirtschaft nicht ein.

Trifft das zu?
Man erkennt schon eine Distanz zu bestimmten Zügen der Gegenwart westlicher Gesellschaften, besonders zu Komfort und Konsum und zu einer globalen Wirtschaft, die sich die Politik untertan macht. Zugleich setzt die Enzyklika aber auf kreative Reaktionen der Menschen. Die Hoffnung, dass wir uns dagegen aufbäumen und das Problem doch in den Griff bekommen, schwingt im Text mit. Die ist natürlich selbst ein Kind der Moderne. Man kann nicht sagen, der Papst vertritt anti-modernistische Positionen.

Ist die Enzyklika stark von einer Süd-Perspektive geprägt?
Ja. Wenn wir uns von den Details lösen, sind die zentralen Anliegen klar: Die Enzyklika hat eine öko-soziale Stoßrichtung und ist eine theologische Einladung zum Dialog. Und dann ist der Text eminent politisch. Der Papst will vor der Pariser Klimakonferenz erstens ganz klar sagen, dass die Politiker jetzt handeln und die Verringerung der globalen Treibhausgas-Emissionen beschließen müssen. Zweitens: Die Beschlüsse, die jetzt nötig sind, um den ökologischen Strukturwandel voranzubringen und den Klimawandel abzubremsen, dürfen auf keinen Fall die Entwicklungsländer weiter belasten. Die reichen Industrieländer müssen die Lasten tragen. Diese Botschaft ist natürlich von der Perspektive des Südens auf ökologische Fragen geprägt.

Hat das damit zu tun, dass Franziskus der erste Papst aus einem Land des Südens ist?
Nein. Seit Johannes XXIII. haben die Päpste immer wieder die Perspektive der Entwicklungsländer aufgegriffen. In der Enzyklika „Populorum progressio“ hat sich Paul VI. 1967 für eine neue Weltwirtschaftsordnung stark gemacht. Papst Franziskus überträgt diese Tradition nun auf das Umwelt-Thema. Es wäre eine billige Kritik, zu sagen, dass hier jemand aus einer provinziellen Perspektive heraus schreibt.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2015: Demokratie: Die bessere Wahl
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