Den Krieg malen

Kunstaktion im Libanon
Weiße Flüchtlingszelte sind ein Symbol für die Hilflosigkeit ihrer Bewohner. Beim Projekt der deutschen Aktionskünstler Hermann Josef Hack und Andreas Pohlmann im Libanon werden die Zeltplanen bunt – und die Flüchtlinge zu Menschen.

Morgens um neun Uhr in der nordlibanesischen Stadt Tripoli. Nahe am Meer befindet sich eine Parkanlage, nicht groß, aber schattig und gepflegt. Auf den Gehwegen stehen Eimer mit frisch gemischten Siebdruckfarben, daneben liegen Pinsel und große weiße Planen aus Kunststoff. Für den elfjährigen Ibrahim sind die blauen Gummihandschuhe reichlich groß, doch er hantiert energisch mit Pinsel und Farbe. „So sah meine Schule in Syrien aus, bevor der Krieg kam“, sagt er zeigt auf sein Bild: Ein lehmbrauner rechteckiger Kasten mit vielen Fenstern und einer großen Palme daneben.  

Ibrahims größter Wunsch ist, endlich wieder zur Schule zu gehen. Doch in der Barackensiedlung, in der er mit seinen Eltern und fünf Geschwistern Zuflucht gefunden hat, gibt es keinen Unterricht. Die nächste Schule ist weit entfernt und das Busticket kann die Familie nicht bezahlen. „Als ich neun war, konnte ich schon lesen und schreiben. Jetzt habe ich alles vergessen“, sagt der Junge. Und sein Vater fügt hinzu: „Nehmen Sie diese Bilder mit nach Deutschland und sagen Sie den Menschen dort, dass unsere Kinder Schulen brauchen.“

Tripoli, Saida, Beirut: Die Malworkshops, die Anfang Mai in Kooperation mit der Hilfsorganisation CARE International in mehreren Städten im Libanon stattfanden, sind ein Teil des sogenannten „Global Brainstorming Project“. Mit dieser Aktion wollen die beiden rheinländischen Künstler Hermann Josef Hack und Andreas Pohlmann Flüchtlinge in Katastrophen- und Kriegsgebieten unterstützen – und zugleich die weltweite Solidarität mit ihnen stärken.

In seinem Atelier in Siegburg bei Bonn arbeitet der Beuys-Schüler Hermann Josef Hack seit vielen Jahren bevorzugt mit Zeltplanen aus Tarpaulin. „Die Tarps findet man überall – in Zirkuszelten, auf Lastwagen, in Flüchtlingslagern. Das ist keine Leinwand, die man mit Samthandschuhen von der Galerie ins Museum trägt, sondern ein Material der Straße, zum Anfassen“, erklärt Hack.

Einen Teil der bemalten Planen schenkt Hack den Flüchtlingen, damit sie ihre einfachen Behausungen verstärken oder verschönern können. Aus den übrigen baut er phantasievolle Flüchtlingszelte in allen Größen, Formen und Farben. Die stellt er an öffentlichen Orten auf – in Deutschland unter anderem in Kölner Kirchen, am Frankfurter Flughafen und am Brandenburger Tor in Berlin; weltweit in Peru, Sri Lanka und nun auch im Nahen Osten. Die Ergebnisse der Aktion im Libanon wurden Anfang Mai im Goethe-Institut in Beirut präsentiert.

Dass Kreativworkshops am Elend der fast vier Millionen syrischen Flüchtlinge im Nahen Osten nicht unmittelbar etwas ändern können, liegt auf der Hand. Doch die Beteiligten sehen die Malaktion nicht als Beschäftigungstherapie, sondern als Chance. Ein junger Student aus Aleppo glaubt, dass solche Projekte den Zusammenhalt stärken. Die syrischen Flüchtlinge wohnten zwar oft Tür an Tür, aber sie wüssten nichts voneinander. Das Misstrauen sei groß, meint er: „Solche Aktionen können Vertrauen schaffen.“

Den Schlüssel zum verlorenen Haus

Andere sind froh, dass sie nicht als Hilfeempfänger wahrgenommen werden, sondern als Menschen. Fatma Al Khatib, Juristin und Mutter von vier Kindern, erzählt, sie fühle sich seit ihrer Flucht nicht nur beruflich, sondern auch kulturell abgeschnitten. In Damaskus habe sie eine gute Stelle gehabt und sei jede Woche in Konzerte oder ins Theater gegangen. Hier im Libanon lebten sie zu sechst in einem alten Lagerschuppen und das Geld reiche kaum für das Essen. Sie sei dankbar für den persönlichen Austausch mit den Künstlern: „Zum ersten Mal seit der Flucht in den Libanon habe ich das Gefühl, dass jemand uns als Menschen wahrnimmt, die nicht nur wohnen und essen müssen, sondern die auch kulturelle Bedürfnisse haben. Dass jemand fragt, wer wir sind, woher wir kommen“.

Fatma Al Khatib hat einen großen Schlüssel gemalt – den Schlüssel zum verlorenen Haus in der verlorenen Heimat. Dieses Bild und viele andere haben mittlerweile den Weg nach Deutschland gefunden: Anfang Juni hat Hermann Josef Hack die Planen der syrischen Flüchtlinge vor dem Kölner Hauptbahnhof präsentiert. Weitere Aktionen sollen folgen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2015: Den Frieden fördern, nicht den Krieg
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