Der Direktor einer nichtstaatlichen Entwicklungsorganisation (NGO) in Honduras musste vor zwei Jahren fluchtartig das Land verlassen. Er hatte wiederholt anonyme Drohungen erhalten. Bis heute kann er nicht in seine Heimat zurückkehren. Das ist nur einer von mehreren Vorfällen in jüngster Zeit, die unter den NGOs Befürchtungen nähren, ihr Handlungsspielraum nehme weltweit ab. Ob das tatsächlich so ist, lässt sich schwer sagen. Viele von ihnen sehen sich jedenfalls gezwungen, den Freiraum für ihre Arbeit aktiv einzufordern.
Dennoch ist es weder analytisch noch strategisch sinnvoll, die anekdotenhaften Zwischenfälle in einen Topf zu werfen und von „dem“ Problem „der“ NGOs zu sprechen. Zum einen bestehen Unterschiede in der Art der Einschränkungen. Sie reichen von Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen über Kriminalisierung, bürokratische Hindernisse bis hin zur Stigmatisierung und zu Bestrebungen von Regierungen, NGOs für ihre Zwecke einzuspannen. Zum anderen ist die Art der zu erwartenden Schwierigkeiten von den politischen Umständen abhängig, in denen die Organisationen arbeiten.
Autoren
Chris van der Borgh
ist Assistenzprofessor am Zentrum für Konfliktforschung an der Universität Utrecht (Niederlande). Seine Forschungsschwerpunkte sind Konfliktanalysen und Friedensförderung.Carolijn Terwindt
arbeitet am Zentrum für Konfliktforschung. Sie ist Juristin und Anthropologin.Wir haben für das protestantische niederländische Hilfswerk ICCO im Rahmen einer Studie die Probleme untersucht, auf die seine Partner weltweit stoßen. Auf dieser Grundlage regen wir die Unterscheidung von drei idealtypischen politischen Umfeldern an: Autoritäre Staaten, die auf ihre Verantwortung für die Regulierung des expandierenden und aus dem Ausland finanzierten NGO-Sektors pochen; Regierungen in nur bedingt demokratischen Staaten, die den NGO-Sektor in mancherlei Hinsicht als Hemmschuh betrachten – vor allem wenn es um Menschenrechte und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen geht; und Kriegsgebiete, in denen NGOs Mühe haben, ihre Sicherheit und Neutralität zu wahren, da hier die staatliche Macht in ihren Grundfesten erschüttert ist.
Autoritäre Staaten bestehen auf der staatlichen Autorität und ihrer Verantwortung für die Koordinierung und Kontrolle des NGO-Sektors. Da sie beträchtliche Finanzmittel erhalten, werden NGOs von der Regierung als Konkurrenten wahrgenommen. Sie müssen sich registrieren lassen, brauchen staatliche Genehmigungen für ihre Finanzierungen oder die Mittel müssen direkt durch Regierungskanäle fließen. Darüber hinaus verlangt die Regierung Informationen über Mitarbeiter, Projekte und Geldgeber. Die NGOs sind gehalten, die Pläne der Regierung umzusetzen und zur Bereitstellung von Dienstleistungen beizutragen. Mitunter werden NGOs, die Mittel aus dem Ausland erhalten, als Marionetten der westlichen Geberländer dargestellt. Ein solches Bild schürt Misstrauen und kann in dem Vorwurf gipfeln, staatsfeindlich oder antipatriotisch zu sein.
So weit wie möglich stützen sich autoritäre Regime auf legale Mittel, um den NGO-Sektor zu regulieren. Kommt eine Organisation den Auflagen nicht nach, wird sie geschlossen. Neben diesen Gesetzen – oder wenn sich der gewünschte Effekt auf gesetzlichem Weg nicht erzielen lässt – werden Formen von Repression wie Einschüchterungen und außergerichtliche Tötungen angewendet. NGOs, die unter solchen Umständen emanzipatorische Arbeit leisten wollen, müssen sich zwangsläufig einer Selbstzensur unterwerfen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass nicht alle NGOs geeignete Mechanismen haben, um über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen. Koordinierung und Kontrolle sind deshalb möglicherweise in gewissem Umfang sinnvoll. Dafür müssen jedoch Grundsätze festgelegt werden, die diesen Rahmen abstecken.
Kampagne für Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien
In Kolumbien werden Aktivisten, die sich für Umweltschutz, Frauenrechte, Kleinbauern oder Indigene einsetzen, zunehmend bedroht und ...
In Ländern wie Ruanda und Eritrea tritt zum Beispiel immer deutlicher zutage, dass kritische NGOs dort gar nicht tätig sein können. In Eritrea mussten sich alle NGOs registrieren lassen und am Ende blieb nur eine Handvoll übrig. Das Eintreten für die Menschenrechte etwa ist undenkbar geworden. Hilfsgelder aus dem Ausland würden einfach in den Händen der Regierung landen. Das stellt ausländische Hilfsorganisationen vor ein großes Dilemma: Sollen sie bleiben, auch wenn die Regierung die Aktivitäten vorschreibt, oder das Land verlassen, obwohl die Bevölkerung die Hilfe braucht? Manche Hilfswerke verlegen sich unter diesen Umständen lieber auf Lobby- und Advocacyarbeit in Europa. In Ruanda dürfen einige NGOs wie Mikrofinanzgruppen ihre Arbeit fortsetzen, während andere staatlichen Restriktionen ausgesetzt sind. Darüber hinaus werden die Organisationen gegeneinander ausgespielt.
Ein anderer Fall sind frei gewählte Regierungen in Ländern mit großer Ungleichheit. Sie haben oft die schwierige Aufgabe, für Fortschritt und Teilhabe an der globalen Wirtschaft zu sorgen. Eine Vielzahl von Parteien streitet um Vermögenswerte wie Grundbesitz, Holz und Mineralien. NGOs, die sich in diesem Bereich engagieren, arbeiten oft mit einheimischen Gruppen zusammen. Sie stehen großen Wirtschaftsprojekten wie Megastaudämmen und den Interessen mächtiger gesellschaftlicher Gruppen kritisch gegenüber und fordern eine Rechenschaftspflicht. Regierungen und Konzerne nehmen diese NGOs möglicherweise als ein Hindernis auf dem Weg zu Fortschritt und wirtschaftlicher Entwicklung wahr. Sie diffamieren ihre Herausforderer als Kriminelle oder Terroristen und rücken ausschließlich illegale oder gewaltsame Vorfälle ins Blickfeld. Sie lenken ab vom Kampf um Eigentumsrechte und um den Schutz von Ressourcen. Oder sie behaupten, dass die gesellschaftlichen Bewegungen dem Fortschritt oder der Entwicklung im Weg stehen.
Einschüchterungen, anonyme Drohungen oder außergerichtliche Tötungen sind in diesem Umfeld eher selten. Dass es aber es im Einzelfall doch dazu kommt, erzeugt einen Abschreckungseffekt, ein Klima der Angst und Formen der Selbstzensur. Diese Art der Bedrohung lässt sich auch nicht immer eindeutig auf den Staat zurückführen. Stattdessen stecken möglicherweise Wirtschaftslobbyisten, (ehemalige) Polizeibeamte, Militärs oder lokale Unternehmer dahinter.
In Lateinamerika zum Beispiel hat das wiedererwachte Interesse am Bergbau eine Reihe von Protestaktionen hervorgerufen. So sah sich die peruanische Regierung im Mai 2009 Protesten im Amazonasgebiet gegenüber. Stein des Anstoßes waren mehrere Entscheidungen über den Ressourcenabbau. Der indigenen Bevölkerung war das Recht versagt worden, über die Investitionen und die Ausbeutung der regionalen Naturschätze mitzuentscheiden.
Die nationale Gesetzgebung ist an das Freihandelsabkommen mit den USA gebunden, das Peru zwingt, Zugang zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Amazonasgebiet zu gewähren. Andererseits räumt das ILO-Übereinkommen über die Rechte indigener Völker, das Peru 1993 ratifiziert hat, diesen ein Mitspracherecht ein. Der Forderung nach Dialog und Konsultation folgten verschiedene direkte Aktionen wie die Blockade einer Überlandstraße und die Besetzung einer Ölförderanlage. Die Regierung ging mit harter Hand gegen die Proteste vor. Sie setzte das Militär ein, es gab Tote. Die Demonstranten wurden als Kriminelle, Terroristen und Fortschrittsgegner abgestempelt. Alberto Pizarigo, der Präsident von AIDESEP, einer Interessensvertretung der indigenen Bevölkerung, wurde wegen Rebellion, Volksverhetzung und Verschwörung angeklagt.
Länder im Kriegszustand – der dritte idealtypische Fall – können NGOs nicht einmal die grundlegende Sicherheit bieten, die sie für ihre Arbeit brauchen. Das geht alle NGOs an, ob national oder international und unabhängig von der Art ihrer Arbeit. Die Mitarbeiter sind durch Gewalt gefährdet. Bedrohungen gibt es von allen Seiten: Wer als Handlanger des Westens gilt, ist möglicherweise Angriffen von Rebellengruppen ausgesetzt. Auch Kriminelle beeinträchtigen die Sicherheit. Unter solchen Umständen tun sich internationale Hilfsorganisationen schwer, die Wirkung ihrer Projekte zu überprüfen.
Da sich das Militär und die Organisationen der Vereinten Nationen besser schützen, wird der NGO-Sektor zum „weichen Ziel“. Damit haben es die NGOs schwerer, ihre Strategie der Akzeptanz zu verfolgen, die enge Kontakte zur lokalen Bevölkerung voraussetzt. Oft haben sie nur die Wahl zwischen strengeren Sicherheitsmaßnahmen und dem Verlassen der Region. Regierungen sehen Kontakte zu Rebellengruppen meist kritisch, das bereitet den NGOs Probleme, die sich um einen Dialog zwischen allen Akteuren bemühen. Auch die Sorge, dass Spenden möglicherweise Terroristen in die Hände fallen könnten, erfordert zusätzliche Kontrollen. So wird es am Ende kompliziert, überhaupt Geld ins Land zu schicken.
In Afghanistan etwa schafft es kaum eine NGO, als neutral zu gelten. Jeder noch so kleine Raum wird politisiert; entweder sind sie Verbündete oder Gegner. So ist es für afghanische NGOs sehr schwierig, an der Graswurzelebene zu arbeiten. Für internationale Hilfswerke ist es besonders kompliziert, wenn sie ihren Hauptsitz in Ländern haben, die Soldaten nach Afghanistan entsendet haben. Verschärfend kommt hinzu, dass Entwicklungshilfe zunehmend unter sicherheitspolitischen Aspekten betrachtet wird.
Weltweit erfahren NGOs Einschränkungen in ihrem Handlungsspielraum. Sie können versuchen, einzelne Personen zu schützen oder internationale Organisationen um Unterstützung bitten. Doch selbst wenn internationale Organisationen das Recht von Menschenrechtsaktivisten auf Schutz anerkennen, ist es für weniger bekannte Personen und Gruppen schwierig, diesen Schutz tatsächlich zu erhalten. So hat etwa ein prominenter Menschenrechtler, der in einer Stadt lebt, größere Aussichten auf internationale Hilfe als die Führung einer Graswurzelorganisation vor Ort. NGOs können aber auch koordinierte Anstrengungen unternehmen, um Versuche der Einschränkung ihres Handlungsspielraums genau zu beobachten und sich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Lösungen und Strategien werden je nach Land unterschiedlich sein. Sie sind abhängig vom lokalem Kontext, den Kapazitäten vor Ort sowie dem Interesse und der Unterstützung der Weltöffentlichkeit.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.