Noch scheut Guilherme Leal das Rampenlicht. Doch wenn alles nach Plan läuft, wird der 60-jährige Topmanager aus São Paulo im Juni zusammen mit der Grünen-Politikerin Marina Silva das schillerndste Gespann des brasilianischen Präsidentschaftswahlkampfs bilden. Die zierliche Politikerin, die es aus einer Gummizapferfamilie im tiefsten Amazonien bis zur Senatorin und international geachteten Umweltministerin gebracht hatte, will im Oktober Staatschefin werden. Weil sie in der wachstumsfixierten Regierung von Präsident Lula da Silva immer mehr an den Rand gedrängt wurde, trat sie Mitte 2008 zurück. Im vergangenen Jahr wechselte sie von Lulas Arbeiterpartei zu den Grünen.
Als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten hat sie Leal auserkoren, den Mitbegründer der Kosmetikfirma Natura und einen der 17 Brasilianer auf der Liste der Forbes-Milliardäre. Wegen seiner Anteile an dem Erfolgsmulti, der mittlerweile in acht lateinamerikanischen Ländern und in Frankreich präsent ist, wird Leals Vermögen auf 2,1 Milliarden Dollar geschätzt. Das hat sich der fünffache Vater durch eine Bilderbuchkarriere erarbeitet. Sein Studium der Betriebswirtschaft finanzierte sich der Beamtensohn durch Nebenjobs selbst, nach vier Jahren bei der Eisenbahngesellschaft von São Paulo gründete er eine kleine Kosmetikfirma. Schon bald organisierte er den Vertrieb durch ein Netzwerk von Direktverkäuferinnen in ganz Brasilien.
Autor
Gerhard Dilger
ist freier Journalist in Porto Alegre, Brasilien. Er ist Südamerika-Korrespondent unter anderem der taz und des epd.Die anstrengende Aufbauarbeit forderte ihren Tribut: Schon mit 37 Jahren erlitt Leal einen Herzinfarkt. Zu diesem Zeitpunkt wurde in zwei Fabriken bereits die ganze Bandbreite kosmetischer Produkte hergestellt: Seifen, Hautcremes und Shampoos, Schminke und Parfums. Nach einer Phase der Besinnung schlug Anfang der 1990er Jahre die Geburtsstunde der „modernen“ Natura, der Firma als „Akteur des sozialen Wandels“, wie Leal sagt. Etwas wolkig umschreibt er die Leitprinzipien: „Alles hängt miteinander zusammen. Man darf sich nicht nur um die Produkte, die Konsumenten und die Mitarbeiter kümmern. Wir müssen an das Ganze denken.“
Früher als ihre Kollegen aus anderen Großkonzernen schrieben sich die Natura-Manager Umwelt- und Sozialverträglichkeit auf ihre Fahnen. „Damals gab es für so etwas kein Handbuch, wir haben viel ausprobiert“, sagt der Firmengründer. In eine alternative Nische wollte man sich nicht zurückziehen: „Wir wollten eine starke, wettbewerbsfähige Marke aufbauen, die das ganze System beeinflusst und verändert.“ Um die Jahrtausendwende entwickelte die Firma für ihre kaufkräftige Klientel die „grüne“ Produktlinie Ekos - Kosmetika aus pflanzlichen Essenzen, die überwiegend aus dem Amazonasgebiet stammen. Während der Umsatz der anderen sechs Kosmetikriesen auf der Welt in den vergangenen Jahren stagnierte, habe Natura als einzige deutlich zugelegt, meint Leal stolz: „Unser Ansatz hat Zukunft.“ Das soll nicht nur für sein Unternehmen gelten, sondern auch für sein politisches Engagement. Er wolle den Wandel mit gestalten, nicht nur darauf reagieren, betont er.
1998 gründete er gemeinsam mit gleichgesinnten Unternehmern das Instituto Ethos. Mit ihren Kontakten trugen sie maßgeblich zur Entstehung und Finanzierung des Weltsozialforums bei. Um mehr Zeit für die Politik zu haben, wechselte Leal in seiner Firma in den Aufsichtsrat. Die neue Natura-Stiftung Arapyaú – in der Ureinwohner-Sprache Tupi-Guaraní bedeutet der Name Erneuerung – widmet sich ebenfalls Bildungs- und Umweltprojekten. „Leal ist eine sehr authentische Persönlichkeit“, lobt der Grüne Bundesabgeordnete Luciano Zica, „er ist gradlinig und transparent“. Als „sehr angenehm, selbstsicher, aber alles andere als wichtigtuerisch“ hat ihn Daniela Chiaretti vom Wirtschaftsblatt „Valor“ auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen erlebt.
2007 stellten die Ethos-Gründer die „Bewegung unser São Paulo: Eine andere Stadt“ auf die Beine, in der sich vorzugsweise Angehörige der Mittel- und Oberschicht in der Megametropole engagieren. Leal ist überzeugt: „Ohne eine gut organisierte Zivilgesellschaft kann es keine guten Regierungen geben.“ Die fast ausschließliche Förderung des Individualverkehrs in Brasilien findet er irrational. „Was gibt es daran zu feiern, dass in São Paulo jeden Monat hunderttausend neue Autos hinzukommen? Können wir uns nichts Schlaueres einfallen lassen als qualmende Blechdosen, die uns in immer größeren Staus gefangenhalten?“
Doch anders als die meisten seiner Landsleute lässt es Leal nicht beim Stoßseufzer. Klimawandel und Weltfinanzkrise haben ihn in seiner Überzeugung bestätigt, dass ein neuer, kohlenstoffarmer Entwicklungsweg angestrebt werden muss. Mit seinem Ressourcenpotenzial habe Brasilien dabei das Zeug zum Vorreiter, meint er. Doch zunächst müsse im Lande selbst die Wende hin zu einer „grünen Wirtschaft“ vollzogen werden, findet er und kommt in Fahrt: „Wollen wir ein Brasilien, das den Regenwald für eine drittklassige Rinderzucht mit Sklavenarbeit zerstört und nur Soja ohne irgendwelchen Mehrwert exportiert? Wollen wir ein Erdölland werden, das seine Investionen in die alte Technologie steckt und dessen Energiemix schlechter statt besser wird?“
„Statt in eine Infrastruktur, die die Umwelt zerstört und in Wärmekraftwerke oder Stahlwerke sollten wir lieber in Biokraftstoffe der neuen Generation, in Bildung, in Tourismus oder Fußball investieren“, meint er. Anstatt 14-jährige Jungs zu exportieren, müsste Brasilien eine Fußball-Liga von Weltniveau aufbauen, schwärmt Leal, ganz Unternehmer: „Das Business könnten wir hier machen.“ Das gilt auch für den Tourismus: Die besonders artenreiche Region südlich von Salvador da Bahia, in der zwei Ökosysteme des atlantischen Regenwaldes aufeinandertreffen, sei besonders geeignet für Tourismus der Edelklasse. „In Afrika zahlt man an solchen Orten 1500 Dollar pro Zimmer“, erklärt Leal. „Aber stattdessen planen sie einen Hafen für den Export von Mineralien. Man buddelt ein Loch, beutet die Mine zwanzig Jahre lang aus, baut mit einer Unmenge öffentlicher Mittel eine dreifach überteuerte Eisenbahn und zerstört ein Naturschutzgebiet“, empört er sich.
Ein „Paradigmenwechsel“ sei nötig, findet der grüne Milliardär, durchaus unter kapitalistischem Vorzeichen, doch mit einem starken und vor allem effizienten Staat. Auch hier ist er sich einig mit Marina Silva, die sich in ihren fünfeinhalb Jahren als Ministerin pragmatisch für eine „nachhaltige“ Erschließung Amazoniens stark gemacht hatte. „Marina sieht die Umweltfrage als Chance für das Wirtschaftswachstum, Lula als Hindernis“, sagt der frischgebackene Politiker, der erst vor Monaten in die kleine Grüne Partei eingetreten ist. Als Wunschnachfolgerin hat Lula im Alleingang seine Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff zur Kandidatin gekürt, ausgerechnet Silvas entschiedene Gegenspielerin im Kabinett.
Mit dem Regierungsapparat im Rücken macht das Gespann Lula und Rousseff schon seit Jahren Wahlkampf, ihr größtes Kapital sind Lulas umfangreiche Sozialprogramme. Chancen auf den Sieg hat aber auch José Serra, der Gouverneur des Bundesstaates São Paulo. Dass Marina Silva und Guillerme Leal den Sprung in die Stichwahl schaffen werden, ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich – trotz der 800.000 brasilianischen Natura-Direktverkäuferinnen. Doch schon jetzt ist es den beiden gelungen, die brasilianische Wahlkampfagenda ergrünen zu lassen.