„Einfach mal zuhören“

Was bringen Freiwilligendienste und wem helfen sie wirklich? Darüber wird in Deutschland oft diskutiert. Die Doku „Blickwechsel“ hat eingefangen, wie die Gastgeber in Afrika über junge Freiwillige aus dem Norden denken. Christian Weinert, Bildungsreferent und Co-Regisseur, erklärt, warum sich bei den Begegnungen Missverständnisse und Enttäuschungen nicht vermeiden lassen.

Was steckt hinter der Idee, eine Doku über die Menschen zu drehen, die in Afrika mit deutschen Freiwilligen zu tun haben?

Ich reise selbst viel und habe mich immer wieder gefragt, wie die Einheimischen über mich denken. Teilweise ist es also einfach die Neugierde. Es ging aber auch darum, die Stimmen von dort zu Wort zu kommen lassen. Das passiert bei der Berichterstattung  über afrikanische Länder und insbesondere über  Freiwilligendienste viel zu selten. Wir haben einfach den Leuten dort zugehört, die tagtäglich mit deutschen Freiwilligen zu tun haben.

Sie haben Organisationen in Gambia, Ghana und Südafrika besucht. Wird dort ähnlich kritisch über die Freiwilligendienste diskutiert wie hier?

Ja, es gibt kritische Bemerkungen, aber es geht häufig um andere Aspekte als in den oft akademisch geprägten Diskursen bei uns. Kritisch sehen einige zum Beispiel das Freizeitverhalten der Freiwilligen. Die wollen das Land kennenlernen, Reisen, abends Feiern gehen und Spaß haben. Das entspricht nicht unbedingt den Erwartungen der Projektstellen vor Ort.

Was erwarten die Gastgeber denn von den Freiwilligen?

Über die Freiwilligen können sie beispielsweise  an Geldgeber und Spenden  gelangen. Auch längerfristig, wenn die wieder zurück in ihren Heimatländern sind. Zum anderen erhoffen sich viele Organisationen qualifizierte Unterstützung aus dem Ausland. Sie wundern sich dann natürlich, wenn unerfahrene, junge Leute in Schulen oder Krankenstationen arbeiten wollen, ohne dafür ausgebildet zu sein. Oft treffen sehr unterschiedliche Erwartungen aufeinander, die zwangsläufig zu Enttäuschungen führen.

Das zeigt sich auch bei einigen der im Film interviewten Kinder, die den Freiwilligen nachtrauern, die längst wieder zurück in Deutschland sind. Sollte man nicht gerade bei der Arbeit mit Kindern zweimal über einen Einsatz nachdenken?

Die Dokumentation "Blickwechsel - Sichtweisen auf deutsche Freiwillige" tourt derzeit durch ausgewählte Kinos. Alle Termine und weitere Infos: www.facebook.com/blickwechsel.film

Das ist schwierig zu sagen. Immerhin haben schätzungsweise mehr als die Hälfte aller Freiwilligenstellen in der einen oder anderen Form mit der Kinderbetreuung zu tun. Da gibt es vor allem eine große Nachfrage unter den jungen Leuten in Deutschland. Aufpassen muss man auf jeden Fall, wenn sie in Schulen als vollwertige Lehrer eingesetzt werden. Es gibt aber auch Projekte, bei denen sich die Freiwilligen sinnvoll einbringen und das pädagogische Angebot der Einrichtung wirklich erweitern können. Das hängt eben von den Rahmenbedingungen ab. Pauschale Antworten gibt es nicht. Wir wollen mit dem Film aber auch nicht analysieren oder bewerten, sondern zum Nachdenken anregen.

Worüber denn?

Über die verschiedenen Perspektiven auf Begegnung im Globalen Süden und über die Wirkungen, die solche Begegnungen auslösen können. Zum Beispiel beschweren sich viele Freiwillige, dass sie als „reiche Besucher“ aus dem Norden in Afrika ausgenommen werden und immer für alles zu viel zahlen müssen. Im Film wird deutlich, dass der materielle Unterschied auch für die Gastgeber selbst ein Problem werden kann, weil sie plötzlich selbst als privilegiert und reich in der Nachbarschaft gelten, wenn ein Europäer bei ihnen wohnt oder arbeitet. Das war mir vorher nicht so bewusst.

Also sollten alle Beteiligten mehr miteinander reden?

Zuerst müssen wir vor allem mehr zuhören und andere Perspektiven wahrnehmen wollen ohne sie gleich zu be- oder sogar zu verurteilen. Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Sozialisierungen und Möglichkeiten sind meist komplex, herausfordernd und widersprüchlich. Das kann aber auch spannend und für beide Seiten bereichernd sein. Das möchte der Film zeigen.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher

                                     

Permalink

Danke für diese sensible Betrachtungsweise, die einmal nicht das übliche "Freiwilligen-Bashing" ist. Begegnung im Süden und im Norden kann ganz viel positive Aspekte und Anstöße bieten, wenn ... die Vorbereitung gut ist, die Erwartungen reflektiert sind, wenn man offen miteinander spricht ...
Jeder bringt halt seine Sozialisation mit und kann sie nicht sofort ablegen und hinterfragen. Ich erlebe mit unseren Freiwilligen, dass das Lernen auf beiden Seiten möglich ist - und ich freu mich auf's reverse!

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 6 / 2015: Indien: Großmacht im Wartestand
Dies ist keine Paywall.
Aber Geld brauchen wir schon:
Unseren Journalismus, der vernachlässigte Themen und Sichtweisen aus dem globalen Süden aufgreift, gibt es nicht für lau. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung – schon 3 Euro im Monat helfen!
Ja, ich unterstütze die Arbeit von welt-sichten mit einem freiwilligen Beitrag.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!