An die Hauswand gelehnt schaut Slivia von ihrer Bank drei Jungen in Schuluniform nach. Sie sind auf dem Weg zum Wasserholen und albern herum. Die gelben Kanister sind noch leer. Auch Slivia lächelt. Bald wird ihr Ältester von der Schule kommen. Sie streicht den beiden Jüngeren übers Haar, die gerade das Ferkel eingefangen haben. Drinnen beginnt im hinteren der drei Räume unter dem Wellblechdach das Baby zu schreien. Vier Söhne hat die 21-Jährige. Ihre Mutter zog noch acht Kinder groß.
Auch Slivia will wieder schwanger werden, ein letztes Mal. „Ich möchte so gern ein Mädchen“, sagt sie verschämt. Sie war selbst noch ein Schulmädchen, als ein junger Kerl sie ansprach. „Es war das erste Mal“, sagt sie, „wegen der Schwangerschaft musste ich die Schule verlassen.“ Jetzt noch Krankenschwester zu werden, würde sechs Jahre dauern. Unerreichbar. Was ihr Mann am Bau verdient, verschlingt die Privatschule des Erstgeborenen. „Auf dem Weg zur staatlichen Schule müsste er die Überlandstraße von Kamuli nach Jinja überqueren, das ist zu gefährlich.“
Slivia ist eine von 300.000 Müttern im Teenageralter, die in Uganda die Schule abbrechen mussten, weil die Familienplanung dem folgt, was von Bibeltreuen gepredigt wird: „ABC – abstain, be faithful, if that doesn’t work: use a condom.“ Zu Deutsch: Sei enthaltsam, glaube an Gott – und wenn das nicht hilft: benutze ein Kondom. Die Vorgaben der Kirche werden groß, Verhütung wird zu klein geschrieben, um das schnelle Bevölkerungswachstum aufzuhalten. Dabei zeigt Slivias Schicksal eine doppelt fatale Lage für das Land: Wenn Mütter weiter so jung so viele Kinder bekommen, wird Ugandas Bevölkerung sich bis 2040 auf 83 Millionen mehr als verdoppeln. Und solange weder Staat noch Wirtschaft stärker in Bildung investieren, wird das Land nie den Schatz der Jugend heben. Uganda ist dabei, die Chance zu verspielen.
„Wir sitzen auf einer tickenden Zeitbombe“
Eine „demographische Dividende“ versprechen Entwicklungsökonomen, wenn die Überzahl der Jugend zum Motor der Wirtschaft wird. Dann geht die Geburtenrate zurück, so dass viele arbeitsfähige junge Menschen wenige Kinder und Alte ernähren müssen. Südkorea und Malaysia haben das vorgemacht: Frauen bekamen dort in den 1960er Jahren rund sechs Kinder – so viele wie heute in Uganda, bei etwa gleichem Entwicklungsstand. Inzwischen sind es in den beiden asiatischen Tigerstaaten nur noch 1,3 beziehungsweise zwei Kinder. Nachhaltige Investitionen in Familienplanung, Bildung, Gesundheit und exportorientierte Reformen der Wirtschaft haben dort laut dem UN-Bevölkerungsfonds UNFPA für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gesorgt.
Ugandas Politiker sind alarmiert, dass der Kindersegen zum Fluch wird. „Wir sitzen auf einer tickenden Zeitbombe, die Jugend muss länger lernen und sich weniger vermehren“, seufzt der Oppositionspolitiker Bernard Atiku. Die Stimmung könnte umschlagen, wie in den Revolutionsländern Nordafrikas. Würde Atiku aber offen dafür werben, dass vier Kinder genug sind, wäre das politischer Selbstmord. Präsident Yoweri Museveni, der bald 30 Jahre regiert, propagiert inzwischen zwar vorsichtig ähnliches und verspricht der Jugend in wohlklingenden Programmen Perspektiven. Doch bei jungen Leuten wie Slivia kommt davon wenig an.
Von Slivias Haus in der Gemeinde Bupadhengo im Distrikt Kamuli nordöstlich von Kampala führt zwischen Mango- und Bananenbäumen ein Fußweg zum Garten einer Fraueninitiative. Fast täglich durchquert sie das schattige Wäldchen, um hier zusammen mit anderen Frauen einer neuen Beschäftigung nachzugehen: Auf einer mechanischen Strickmaschine, organisiert vom Frauenprojekt Woge der Stiftung Weltbevölkerung (DSW), fädeln ihre kleinen Hände moosgrüne Wolle ein, greifen nach dem Schlitten und schieben ihn bedächtig hin und her. „Ich schaffe vier Pullover in der Woche“, sagt sie. 4000 Schilling bekommt sie dafür, die in die Haushaltskasse fließen. „Mein Mann macht mit seinem Geld, was er will, also bezahle ich Kleidung und die Schule.“
Profit wirft das Gestrickte nicht ab, obwohl es billiger ist als Chinaware. Die Nachfrage wäre da, aber es gibt nicht genug Strickmaschinen für größere Stückzahlen. Slivia reicht das Verdiente, um ein Ferkel anzuschaffen. Das kleine Stück Land wirft mit Mais und Süßkartoffeln nicht viel ab. „Ich möchte noch mehr Schweine, dann verkaufe ich sie und schaffe eine Nähmaschine an“, sagt sie. „Damit könnte ich ein eigenes Geschäft mit Kleidern aufziehen.“ Die Arbeit hat sie dazu gebracht, an sich und in die Zukunft zu denken.
Eine Kaffeemaschine schafft 16 Jobs
Slivia tut eigentlich genau das, was der Staat von der Jugend erwartet. „Schafft euch Jobs, statt sie zu suchen“, halten Politiker Jugendlichen entgegen, wenn die wütend auf die Straße gehen. Nur etwa fünf Prozent der arbeitenden Bevölkerung Ugandas finden Arbeit in der formalen Wirtschaft. Die von der Regierung angebotene berufliche Bildung oder Start-up-Hilfen für Kleingewerbe laufen ins Leere, beklagen Arbeitsmarktexperten: am Bedarf vorbei und miserabel umgesetzt. Besonders die Landwirtschaft, die vier Fünftel der Bevölkerung ernährt, wird grob vernachlässigt. Folglich sieht kaum ein Jugendlicher darin eine Chance.
Anders Gerald Katabazi. Der 30-Jährige, Sohn eines Ruanders und einer Uganderin, ist überzeugt, dass Kaffee ein Schlüssel ist für die Zukunft der Jugend. Uganda ist der zweitgrößte Kaffeeproduzent des Kontinents, exportiert jedoch fast nur den Rohstoff – und damit auch Arbeitsplätze, sagt Katabazi bitter. Ein Grund dafür ist, dass Kaffee wenig geschätzt wird. Die Teetrinkernation kennt keine Kaffeekultur wie Afrikas Marktführer Äthiopien. Das will Gerald Katabazi ändern.
Zum Kaffee kam Katabazi, als er nach dem Studium zum Betriebswirt bei CafePap jobbte, einem der wenigen modernen Cafés, die in Kampalas Shoppingmalls regen Zulauf finden. Mit der Ausbildung zum Barista, zum professionellen Kaffeezubereiter, kam „die Leidenschaft“, wie er sagt. Der Städter gründete Coffeeshops in Ruanda und im UN-Flüchtlingscamp von Juba im Südsudan. In Uganda röstet und vertreibt er nun sein Label Volcano Café – in Eigenregie und in kleinen Mengen. Nur eine Handvoll Röstereien hat das Land, die Marke „Good African Coffee“ hat es sogar in britische Supermärkte geschafft. Geröstet, gemahlen und verpackt erzielt Kaffee das Fünffache. Das schwarze Gold hat also das Zeug, Landwirtschaft „wieder cool zu machen“, glaubt Katabazi.
„Jugendliche fühlen sich bestraft, wenn sie in der Landwirtschaft arbeiten“, sagt er und braut einen starken Arabica-Kaffee an seiner Espressomaschine. Das Aroma zieht von der Garage auf dem Hof des Bauernverbands nach draußen ins Regierungsviertel. Ein Tisch, acht Stühle, ein Regal mit Kaffeepackungen. Katabazi improvisiert, weil keine Bank ihm Kredit für ein Start-up gewährt. Staatliche Anschubfinanzierung bekommt nur, wer schon drei Monate ein Gewerbe führt. So ist die Garage die Keimzelle der Kaffee-Akademie, die Katabazi aufziehen will, um Jugendliche anzulernen. „Die meisten Kids haben nie eine Kaffeemaschine gesehen“, sagt er. „Aber sie beschäftigt zwei Jugendliche vormittags, zwei nachmittags, acht Bedienungen, zwei Chefs, einen Buchhalter und einen Kassierer.“
Katabazi scheint den richtigen Riecher zu haben. 80 Cafés sollen sich inzwischen landesweit etabliert haben, zehnmal mehr als noch 2004. Ansatzweise erkennt auch die Regierung, dass die Kaffeewirtschaft attraktiver werden muss. 20 Millionen Setzlinge hat sie gratis vergeben, um die Produktion zu steigern. Einer der Jungfarmer verdient damit schon richtig Geld: Er zieht sie hoch und verkauft sie weiter – ein Erfolgsmodell zum Weitersagen. Wenn die Regierung nun auch die Einfuhr von Ertrag steigernden Verarbeitungsmaschinen für die Bohnen verbilligen würde, wäre viel gewonnen.
Steuergeschenke gehen indes eher an ausländische Großinvestoren wie chinesische Öl- und Baufirmen, die ihre Arbeitskräfte mitbringen. Oder an solche mit guten Beziehungen zum Präsidenten. Vor drei Monaten eröffnete Museveni die Textilfabrik Fine Spinners Ltd. – als Signal dafür, dass er jobintensiven industriellen Mehrwert ins Land holt. „Ein Kilogramm exportierte Baumwolle bringt einen US-Dollar“, sagte er. „Wenn das gleiche Kilo zu Kleidung verarbeitet wird, bringt es 15 Dollar. Deshalb blutet Afrika immer noch aus.“ Ugandas Baumwollernte stagniert, aber das Interesse am Anbau steigt.
Für den Nischenmarkt der Biobaumwolle ist das Land neuntgrößter Lieferant.
Der Staat stellte dem kenianischen Textilunternehmer Jas Bedi für seine Investition von 40 Millionen Dollar das Grundstück und vergünstigte Stromkosten. Bedi hatte zuvor ugandische Baumwolle in Kenia verarbeitet, aber 30 Prozent beim Transport als Ausschuss verloren. Also verlegte er die Fabrik nach Kampala und geht nun als erster im Land den kompletten Weg vom Baumwollfeld zum Bügel. 70 Prozent der Ernte in Uganda will die Fabrik künftig aufnehmen und so eine Abnahmegarantie geben. 5400 westugandische Bauern sind derzeit eingebunden, bis zu 2000 Arbeitsplätze für Spinnen, Färben und Nähen geplant.
In der Lagerhalle drängen sich mit 16 Tonnen fluffiger Baumwolle gefüllte Säcke. In der Maschinenstraße wird die Faser zu Flocken gepustet und gleichmäßig vermischt, in dicke Stränge gekämmt und Schritt für Schritt zu Garn versponnen. Drei Tonnen stehen zum Färben bereit. Von einer Strickmaschine läuft das Band eines Polokragens. In der nächsten Halle stehen einige hundert Reihen von Nähmaschinen. Sie sind verwaist. Es ist Feierabend in der Industriezone Bugolobi. Aber wie wettbewerbsfähig sind Textilien „Made in Uganda“? Für unerfüllte Weltmarktchancen steht ein verlassener protziger Hochbau nur einen Steinwurf von Fine Spinners entfernt. Einst erbaut als staatliche Handelszentrale, gilt er als Symbol des Aufbruchs zum Start der zollfreien Ausfuhren in die USA. Doch die erhoffte Blüte blieb aus. Auch Jas Bedis Firma fährt mit 420 Mann erst ein Drittel der Kapazität. Doch sie setzt auf niedrige Kosten, weil der weite Weg der Kleidungsstücke über das Spinnen in Kenia, das Weben in Singapur und die Konfektion in Indien entfällt.
Autorin
Marina Zapf
ist Berlin-Korrespondentin von „welt-sichten“.
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