Der Geliebten auf der Spur

Die Chinesin Zhang Yufen hilft betrogenen Ehefrauen,
Beweise zu sammeln und ihre Männer vor Gericht zu bringen. Manchmal hat sie Erfolg.

Als Zhang Yufens Ehemann seine Affäre gestand und sie verließ, seinen Besitz mitnahm und das gemeinsame Konto leerte, stürzte für sie der Himmel ein. Doch nach einer Woche, in der sie kaum essen und schlafen konnte, konzentrierte sich all ihr Ärger und ihr Schmerz nur noch auf eines: herauszufinden, wer seine Geliebte war, wo sie lebten und warum er sie nach 16 Ehejahren verlassen hatte. Und sie wollte ihn zwingen, sie und den gemeinsamen Sohn finanziell zu unterstützen.

Es gab nur einen Weg, das zu tun: traditionelle Detektivarbeit. Und nur eine Person, die dafür infrage kam: sie selbst. Auf der Suche nach ihrem Ehemann und seiner Geliebten sowie in ihrem langen juristischen Kampf mit ihnen begab sich Zhang auf eine Reise, an deren Ende sie Chinas einziges Detektivbüro in weiblicher Hand gründete. Ihre Auftraggeberinnen: betrogene Ehefrauen.

Die weitverbreitete Korruption in der Kommunistischen Partei Chinas führt dazu, dass sich viele Funktionäre eine „ernai“ (Zweitfrau) oder eine „xiao san“ (Geliebte)  halten. Sie haben gewöhnlich eine oder mehrere Freundinnen, die sie mit Luxusgeschenken überhäufen und mit schicken Appartements verwöhnen – alles aus Schmiergeldern finanziert. Laut einer Studie der Renmin-Universität von 2012 betrogen 95 Prozent der Beamten, gegen die wegen Korruption ermittelt wurde, ihre Frauen.

Die Ehefrauen werden oft zur Seite geschoben, vernachlässigt und vergessen. Scheidung stigmatisiert die Frau, nicht den Mann, und Scheidungsgesetze und Gerichtsverfahren sind oft zum Vorteil des Ehemannes gestaltet. Zhang versucht mit ihrem Detektivbüro, das Gleichgewicht wiederherzustellen. „Es gibt keinen Schutz für betrogene Ehefrauen“, sagt sie. „In den meisten Fällen werden sie ohne Geld und ohne Wohnung sitzengelassen.“

Zwei Aufnahmegeräte, Fernglas, billige Kamera und ein Notebook

Durch ihre eigene Erfahrung ermutigt, begann Zhang ab 1997, die Fälle anderer Frauen zu übernehmen. Das sprach sich schnell herum. Einmal wurde sie von einer älteren Frau angesprochen, deren Tochter Unkrautvernichtungsmittel getrunken hatte, weil ihr Mann sie betrog. „Ich habe sie gefragt, warum sie den Mann nicht vor Gericht brachten. Sie sagte, sie hätten keine Beweise“, erzählt Zhang. Um Beweise zusammenzutragen gründete Zhang 2003 mit neun Freunden die Agentur Phönix. Da sie sich jedoch nur ihre Auslagen erstatten ließen und kein Honorar nahmen, mussten sie aus Geldmangel bald wieder schließen. Heute arbeitet die 57-Jährige alleine von ihrer Wohnung außerhalb Pekings aus. Ihre „Allianz gegen Geliebte“ verbindet Detektivarbeit mit Beratung für betrogene Ehefrauen. Noch immer lässt sie sich lediglich ihre Auslagen bezahlen. Die lebhafte Frau trägt inzwischen den Spitznamen „Geliebten-Mörderin“.

In den vergangenen Jahren seien Tausende Frauen zu ihr gekommen auf der Suche nach Beweisen für den Betrug ihrer Ehemänner – und um sie zu Entschädigungszahlungen zu zwingen. Aber nicht alle möchten vor Gericht ziehen. Zhang versteht das. „In kleineren Orten tratschen die Leute. Sie lachen die Frau aus. Sie schämt sich und verliert ihr Gesicht. Der Mann dagegen kommt ungeschoren davon“, meint sie.

Zwei Aufnahmegeräte, ein Fernglas, eine billige Kamera und ein Notebook: Zhang arbeitet mit geringem technischem Aufwand und sehr sorgfältig. Sie versteckt sich hinter Bäumen und Strommasten, verfolgt ihre Beute zu Fuß oder im Taxi. Sie muss Ängste und Hürden überwinden. Bei ihren Ermittlungen gegen Beamte sei sie mit Gewalt und Arrest bedroht worden, erzählt sie. Ihre Beweismittel seien von Richtern abgelehnt worden, die mit den angezeigten Ehemännern sympathisierten.

Aber sie verzeichnet auch Erfolge. 2009 untersuchte sie den Fall eines Eisenbahners, der eine Affäre mit einer Fernsehmoderatorin hatte. „Die Ehefrau ertappte die beiden im Bett. Sie nahm das Telefon ihres Mannes und fand Bilder und Telefonnummern zahlreicher anderer Frauen.“ In den Städten, in denen er arbeitete, hatte er 17 Geliebte. Er verschaffte seinen Verwandten Jobs bei der Bahn und strich für die Vermittlung von Bauverträgen hohe Summen ein. Seine Frau wurde geschieden, aber sein korruptes Verhalten kam nie vor Gericht. Auch seine Vorgesetzten interessierten sich nicht dafür.

Scheidungsrichter oft auf Seite der Männer

In einem anderen Fall half Zhang einer Frau aus Xi’an, deren Ehemann sich hatte scheiden lassen. Trotz seines Betrugs hatte ihm der Scheidungsrichter das Land der Familie zugesprochen. Die beiden Frauen brauchten zwei Jahre, bis sie herausfanden, wo er lebte. Sie brachen bei ihm ein und sammelten die Beweise für seine Untreue und Korruption. „Es war schwierig, denn er hatte ein Auto. Wir mussten uns zu Fuß und im Taxi fortbewegen“, erzählt die betrogene Ehefrau, die anonym bleiben will, weil sie fürchtet, ihre Äußerungen könnten als Kritik an der Partei aufgefasst werden. „Aber Zhang und die anderen betrogenen Frauen standen hinter mir. Sie folgten ihm – in tiefem Schnee, unter sengender Sonne. Sie gaben nie auf.“

Zhangs Anstrengungen, Korruption öffentlich anzuklagen, laufen oft ins Leere. Ein Gericht „verlor“ auf geheimnisvolle Weise ihre Beweismittel, ein anderes warnte den Ehemann, damit er noch schnell das Bankkonto leeren konnte. Manchmal legt sie ihre Unterlagen dem Chef eines Beamten vor, doch der will nicht zuhören – vielleicht, weil er selbst korrupt ist, wie sie vermutet.

Privatdetektive sind seit 1993 in China offiziell verboten, doch im Verborgenen blüht das Geschäft. Der Bürgerreporter Zhu Ruifeng, der eine Website über Korruption betreibt, sagt, viele Leute heuerten in Eheangelegenheiten Detektive an, in aller Regel Männer. In jüngster Zeit ist deren Arbeit gefährlicher geworden. Obwohl sich Präsident Xi Jinping den Kampf gegen Korruption unter Beamten auf die Fahnen geschrieben hat, geht die Regierung hart gegen Privatdetektive vor. „Das zeigt, dass Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne sehr selektiv ist und nur die aus dem Weg räumen soll, die nicht auf seiner Seite stehen“, sagt Zhu.

"In der Steuerbehörde hat jeder eine Geliebte"

In ihrem einfach möblierten Wohnzimmer erinnert sich Zhang Yufen an Mao Zedong (1893-1976) und seine Zeit. „Unter seiner Führung mussten wir unsere Türen nicht abschließen, und Beamte dienten dem Volk“, erklärt sie. „Heute musst du dich glücklich schätzen, wenn sie sich nicht gegen dich verschwören und dich ausnehmen. Es geht nur noch um Geld, und die Korruption ist allgegenwärtig.“

Autor

Simon Denyer

leitet das China-Büro der „Washington Post“.
Die Frau aus Xi’an jedoch hofft, dass Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne die Dinge zum besseren wendet. Beamte, die ihre Abende in Gesellschaft von Geschäftsfreunden und Prostituierten mit üppigem Essen und stundenlangen Trinkgelagen in Karaoke-Bars zu verbringen pflegten, müssten nun befürchten, bloßgestellt zu werden. „Viele Menschen sagen, Xi hat so manche Familie gerettet, weil die Beamten nun direkt nach der Arbeit nach Hause gehen müssen“, sagt sie.

Zhangs Ehemann arbeitete in der Steuerbehörde von Xi’an. Sie brachte fünf Jahre damit zu, ihn und seine Geliebte zu verfolgen – die sich dann als ihre beste Freundin herausstellte. Sie versuchte, ihn wegen Bigamie anzuklagen, vergeblich. Am Ende setzte sie die Scheidung durch und erhielt eine Abfindung. Irgendwann hat sie ihren Ex-Mann gefragt, warum er ihre Ehe aufs Spiel gesetzt habe. Er sagte: „In der Steuerbehörde hatte jeder eine Geliebte. Wenn ich keine gehabt hätte, hätte ich mein Gesicht verloren.“

Der Artikel erschien im Original in der Tageszeitung „Washington Post“.

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann

 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2015: Unternehmen: Fair bringt mehr
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