"Sie haben uns ausgelacht"

Zum Thema
Nothilfe in Konfliktgebieten
Afrikanische Hilfsorganisation
Gift of the Givers ist die größte Hilfsorganisation Afrikas und weltweit in Krisengebieten im Einsatz. Ihr Gründer Imtiaz Sooliman erzählt, was ihn motiviert und warum er auch mit Terroristen verhandelt.

Sie haben 2004 als erste internationale Hilfsorganisation auf die Tsunami-Katastrophe in Sri Lanka reagiert und waren 2010 unter den ersten fünf Organisationen bei der Jahrhundertflut in Pakistan. Wie können Sie so schnell sein?
Wir haben keine aufgeblähte Verwaltung. Ich treffe die Entscheidungen, und das kann innerhalb von fünf Sekunden geschehen. Nach mehr als 20 Jahren Erfahrung im humanitären Geschäft sind unsere Ärzte und Krisenhelfer ständig in Bereitschaft. Zudem stocken wir permanent unsere Vorräte an Lebensmitteln, Bergungsgeräten, Zelten und medizinischem Equipment auf. In unseren Depots lagern Medikamente im Wert von drei Millionen Euro. Wir haben Verträge mit Pharmaunternehmen und Fluggesellschaften. Wenn wir morgens Medikamente bestellen, können wir sie am Nachmittag ausfliegen. Ein Reisebüro ist 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche für uns erreichbar. Innerhalb einer Stunde sind alle Helfer mobilisiert und innerhalb von fünf Stunden befinden wir uns auf dem Weg in das Krisengebiet.

Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind Südafrikaner, wie viele kommen aus dem Einsatzland?
Die meisten unserer Angestellten stammen aus Südafrika. Es ist mit fünf Büros, 30 Fahrzeugen und einem Logistikzentrum unser Hauptstandort. Daneben haben wir Büros in Somalia, Malawi, Mauretanien, Syrien, Senegal, Gaza, Simbabwe und Jemen. In den vergangenen Jahren bekamen wir viele Anfragen von Ärzten und Medizinstudenten etwa aus Dänemark, Australien oder den USA, die uns unterstützen wollten. Wir haben außerdem weitere Standorte im Blick, etwa in Kuba. Von dort aus könnten wir Krisenherde in ganz Lateinamerika und der Karibik erreichen. Die Teams vor Ort könnten unseren eigenen Helfern vorauseilen. Denn Südafrika liegt am Rande der Welt und das verschlingt bei Hilfseinsätzen unnötig Zeit.

Sie helfen international. Braucht Südafrika keine Hilfe?
Doch, denn Hunger existiert hier nach wie vor – auch wenn niemand darüber spricht. Wir versuchen, die Not mit von der Regierung geförderten Hilfspaketen zu lindern. Zudem kochen unsere Mitarbeiter zweimal täglich für 2500 arme Studenten und für mehrere Krankenhäuser.

Sie sind der Erfinder von Sibusiso, einer Soja-Paste, die bei humanitären Katastrophen verteilt wird. Was nützt sie?
Wir stellen Sibusiso in Malawi her. Es ist eine Kombination aus Eiweiß und Kohlehydraten, versetzt mit Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien. Mehrere Universitäten haben die Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen. In Südafrika verteilen wir Sibusiso in etlichen Krankenhäusern, da es die richtigen Nährstoffe für HIV- und Tuberkulose-Patienten enthält, und gegen Unterernährung verteilen wir es unter anderem in Somalia. In Krisengebieten ist es genau das richtige – man öffnet den Becher und isst die Paste einfach. Sie ist fertig zubereitet. Mit Sibusiso können Menschen tagelang überleben, bis die richtige Nahrung eintrifft.

2013 wurde der südafrikanische Entwicklungshelfer Pierre Korkie von al-Qaida-Rebellen im Jemen entführt, im vergangenen Jahr wurde er getötet. Sie hatten mit den Terroristen über eine Lösung verhandelt. Recht ungewöhnlich für eine Hilfsorganisation.
Für uns ist ein Leben wichtiger als Politik. Es ist einfach zu sagen „Wir verhandeln nicht mit Terroristen“. Doch wenn zum Beispiel die Kinder eines Ministers in Deutschland entführt werden – wird er nicht verhandeln? Es ist egal, wer die entführte Person ist. Das ist eine humanitäre Angelegenheit. Wir haben ein Büro im Jemen und sind dort durch unsere soziale Arbeit gut etabliert. Unserem Landesdirektor ist es gelungen, die Freilassung von Korkies Frau zu erwirken. Auch Pierre Korkie wäre wenig später befreit worden, hätte ihn ein US-Luftschlag nicht getötet. Ich selbst habe zwei Mal mit den Terroristen telefoniert und sie gefragt, ob ihre Religion die Entführung und Tötung von Menschen zulässt. Darauf haben sie nicht geantwortet. 

Sie sind Muslim. Inwieweit beeinflusst Ihre Religion Ihre Arbeit?
Der Islam hat mich gelehrt, keine Vorurteile gegen andere Religionen zu hegen. Die muslimische Welt wird weitgehend missverstanden, daran sind wir teilweise selbst schuld. Ein Sufi-Lehrer aus der Türkei hat mir einmal gesagt: „Wir sind von demselben Gott, wofür kämpfen wir eigentlich?“ Der Sufismus hat mich dazu gebracht, den Menschen Gutes zu tun.

Gemeinsam mit Ihrer Frau haben Sie 1997 eine Telefon-Hotline ins Leben gerufen, die jeden Monat 400 Ratsuchende betreut. Ist psychologische Hilfe genauso wichtig wie Katastrophenhilfe?
Vermutlich sogar noch viel wichtiger. Denn wenn dein Körper verletzt ist, kannst du weiter funktionieren und leben. Nicht jedoch mit einer verletzten Psyche. Mit der Hotline helfen wir manchmal innerhalb einer halben Stunde Menschen, deren Leben in den vergangenen 15 Jahren ein einziger Kampf war. Wir lösen ihre Probleme nicht, wir vermitteln ihnen die Techniken, das selbst zu tun.

Wie hilft Ihre Organisation den Menschen auf lange Sicht?
Wir haben Dutzende Projekte für nachhaltige Entwicklung. In Malawi etwa unterstützen wir die Menschen durch Landwirtschaftsprogramme. Seit 1997 bieten wir Stipendien an und vor kurzem haben wir „Jumpstart“ gegründet. Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sollen ihr eigenes Unternehmen starten. Wir helfen ihnen, ihre Marke zu etablieren mit einer Website, Briefpaper, einem Diensthandy und natürlich dem nötigen Know-how. Einige der bislang 450 Teilnehmer haben es nicht geschafft, aber andere haben großen Erfolg und können bereits ihre Familie ernähren.

Sie waren bisher in 42 Ländern im Einsatz. Was verrät Ihr Erfolg über Südafrika als Nation?
Südafrika ist aufgrund seiner Geschichte eine sehr mitfühlende Nation, die meisten Einwohner haben selbst unter der Apartheid gelitten und das spornt sie an. Südafrika steht solidarisch hinter den Leidenden. Unsere Freiwilligen sind Ärzte, die ihre Praxen schließen, ihre Villen und Autos aufgeben und uns in ein Bürgerkriegsland begleiten, um zu helfen.

Hat Ihre Organisation dazu beigetragen, das schlechte Image Afrikas aufzupolieren?
Wo immer wir hingehen und Leben retten, weht die südafrikanische Flagge. Wir zeigen der Welt, dass wir als afrikanisches Land wie jede andere Nation den Menschen in Not helfen können. Wir haben die Fähigkeiten, wir haben das medizinische Fachwissen. Zudem sieht die Welt, dass wir den Menschen unabhängig von Ethnie, Religion und Geschlecht helfen. Allerdings müssen wir erst überzeugen. Als wir 2010 in Pakistan landeten und den anderen Hilfsteams erzählten, woher wir kommen, lachte man uns aus. Man unterstellte uns, wir seien auf Spenden aus. Überzeugt waren die anderen Teams erst, als wir innerhalb von 24 Stunden ein leeres 400-Betten-Krankenhaus wieder zum Laufen brachten.

Das Gespräch führte Markus Schönherr.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2015: Nothilfe: Aus Trümmern Neues schaffen
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