Makoko in Lagos ist zweifellos der eindrucksvollste Slum in Nigeria: Er wird auch „Afrikas Venedig“ genannt. Seine Einwohner leben wie in der italienischen Stadt auf dem Wasser, in der Lagune von Lagos, die sich in den Atlantik erstreckt. Doch während Venedig schön und reich ist, sind in Makoko die Armen zu Hause. Sie leben in kleinen Holzhäusern, die sich auf Pfählen knapp über den Wasserspiegel erheben. Es gibt keine Straßen, keine Autos, keine Fahrräder. Die Menschen bewegen sich in Kanus über die Wasserwege – Kinder fahren damit zur Schule, Händler betreiben darauf ihre Geschäfte, in denen sie ihre Waren verkaufen. Zu manchen Zeiten gleicht Makoko einer schwimmenden Stadt aus Booten.
Die meisten Einwohner verdienen ihr Einkommen mit Fischfang, und dafür ist die Nähe zum Ozean ideal. Seit mehr als 100 Jahren geht das Leben hier seinen gewohnten Gang; doch in jüngster Zeit ist die Gemeinschaft mehr und mehr bedroht. So wird die Küstenstadt Lagos wegen heftigen Regenfällen und dem steigenden Meeresspiegel immer häufiger überflutet. Makoko ist niedrig gelegen und deshalb besonders gefährdet. Das Meteorologische Institut von Nigeria macht dafür den Klimawandel verantwortlich.
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Die wachsende Bevölkerung von Lagos, das als Geschäfts- und Handelsmetropole viele Menschen anzieht, erhöht den Druck, mehr Wohnraum zu schaffen. Laut offiziellen Angaben liegt die Einwohnerzahl zurzeit bei 21 Millionen, bis 2020 soll sie auf 25 Millionen wachsen. Doch der verfügbare Grund und Boden ist begrenzt, und so versucht die Stadtverwaltung, an der Küste gelegenes Land wieder zurückzugewinnen. Das größte dieser Projekte soll für 400.000 Menschen Arbeitsplätze und Unterkünfte bieten. Umweltschützer kritisieren jedoch, die Rückgewinnung von Küstenland habe den Druck des Meeres auf das Land verändert. Die Wellen seien stärker und höher geworden und gefährdeten die Gemeinschaften, die an der Küste leben.
In der Vision von einer "Mega-Stadt" ist kein Platz für Slums
Und sie sind noch von einer anderen Seite bedroht: In den vergangenen Jahren sind einige Slums zerstört worden, weil die Stadtverwaltung Lagos in das Modell einer „Mega-Stadt“ verwandeln will. Viertel wie Makoko haben darin keinen Platz. „Wir müssen die Slums aufwerten oder die Menschen umsiedeln“, sagt Bosun Jeje, der Beauftragte für Wohnungsbau. In der Praxis halten die Behörden diese Versprechen allerdings nicht. Meistens wird das Land an Wohlhabende oder Investoren verkauft – vor allem wenn es sich am Meeresufer in der Nachbarschaft reicher Viertel wie Ikoyi und Victoria Island befindet.
Ein solches Schicksal befürchten auch die Einwohner von Makoko. Schon im Juni 2012 sollte der Slum geräumt werden. Doch einer der Führer der Gemeinschaft kam dabei gewaltsam zu Tode. Das zog lautstarke öffentliche Kritik nach sich, und so gab die Regierung ihren Versuch auf. In Makoko wehren sich die Menschen außerdem stärker als andere Slumbewohner von Lagos gegen ihre Vertreibung. Die meisten von ihnen sind Fischer und könnten nirgends anders leben. Viele sind hier geboren, manche stammen von Zuwanderern aus Benin und Togo ab, haben aber keine Verbindung mehr zu diesen Ländern. „Unsere Familie lebt hier seit Jahrzehnten“, sagt etwa Comfort Paul. „Sie sagen, wir sollen verschwinden, aber wo sollen wir denn hingehen?“
Obwohl Makoko bereits so lange existiert, hat die Regierung die Infrastruktur vernachlässigt – weil sie sagt, die Einwohner hätten keine offiziellen Landtitel. „Sie sollten gar nicht hier sein“, sagt Prince Adedegun Oniro von der Infrastrukturbehörde. „In diesem Gebiet hat niemand eine feste Adresse.“ Die fehlende Abwasserentsorgung ist das größte Problem. „Die Häuser haben keine Toiletten, die Menschen erleichtern sich direkt in das Wasser unter ihrem Fußboden“, berichtet Anwohner Joseph Blabo.
Mit Holz und Bambus das Viertel in ein afrikanisches Venedig verwandeln
Das Wasser sieht aus wie schwarze Tinte. Die Verschmutzung ist für die Behörden ein guter Grund, den Slum räumen zu lassen. Die Einwohner halten dagegen. Die Stadtverwaltung solle sich lieber darum kümmern, Makoko zu einem lebenswerten Ort zu machen, fordern sie. „Sie sollten uns sagen, welche Art Häuser wir bauen sollen, damit sie in ihren Mega-City-Plan passen“, erklärt Lucky Usa. „Wir werden uns an die Vorgaben halten.“
Kunlé Adeyemi, gebürtiger Nigerianer und Gründer der Architektur- und Designfirma NLE in den Niederlanden, weiß, wie solche Häuser aussehen könnten. Ihr Fundament ruht auf Plastikfässern, sie können auf dem Wasser treiben und sich so dem steigenden Meeresspiegel anpassen – im Gegensatz zu den bisherigen Pfahlbauten, die eine feste Höhe haben und von Überflutungen bedroht sind, wenn sich der Wasserstand erhöht. Für den Bau könnten lokale Materialien und Kräfte genutzt werden, betont der 38-Jährige. Als erstes Gebäude dieser Art ist in Makoko mit Hilfe des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) und der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung eine Grundschule entstanden – weithin bekannt als die schwimmende Schule von Makoko. Und Adeyemi träumt von mehr. „Als nächstes würden wir gerne ein Gemeinschaftszentrum bauen, ein paar neue Klassenzimmer, eine Klinik, einen Markt und Häuser – alles schwimmend.“ Die schönen Gebäude aus Holz und Bambus sollen das Viertel in ein wirkliches afrikanisches Venedig verwandeln. „In nur anderthalb Jahren könnten all die hässlichen Fassaden ersetzt werden“, sagt der Architekt.
Doch damit er seine Pläne verwirklichen kann, müsste ihn die Stadtverwaltung von Lagos unterstützen. Die hat bislang wenig Begeisterung für das Modell gezeigt – weder in Makoko noch in anderen Vierteln, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind.
Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.
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