Es steht außer Frage, dass in Indien und in anderen Schwellenländern „grün“ gebaut werden muss. Die Bauwirtschaft trägt durch Baumaterial, den Verbrauch von Energie und Wasser sowie die die Abfallentsorgung zum Klimawandel und zur Zerstörung der Umwelt bei. Doch es gibt auch Grund zu hoffen: Der größte Teil der weltweit für die wachsende Bevölkerung benötigten Bauten existiert noch gar nicht – in Indien etwa sind mehr als zwei Drittel des Bedarfs noch nicht gedeckt. So gibt es hier im Unterschied zu den bereits entwickelten Ländern die Chance, anders zu bauen – effizient und nachhaltig.
„Grünes“ Bauen bedeutet, so weit wie möglich Materialien aus der Region zu verwenden und den Verbrauch an Energie, Wasser und anderen Ressourcen möglichst gering zu halten. In der traditionellen indischen Architektur war die Bauweise den natürlichen Umständen angepasst und die Rohstoffe wurden effizient eingesetzt. Jede Gegend hatte ihren eigenen Baustil, und diese kreative Vielfalt verdankte sich den unterschiedlichen Umweltbedingungen. In heißen und trockenen Regionen etwa wurden Luftströmungen mit Hilfe von Korridoren eingefangen, die für Kühlung sorgten. Diese kulturelle Überlieferung muss mit den Errungenschaften der modernen Architektur verknüpft werden – doch sie ist in Vergessenheit geraten.
Autorin
Sunita Narain
ist Direktorin des Zentrums für Wissenschaft und Umwelt in Neu-Delhi und Herausgeberin der indischen Zeitschrift „Down to Earth“.Die indische Regierung hat 2007 den Energy Conservation Building Code (ECBC) beschlossen, der Richtlinien zur Energieeinsparung in der Bauwirtschaft vorgibt. Dieser Katalog nennt Kriterien für energieeffizient gestaltete Fassaden. Baustoffe mit guten Dämmeigenschaften verringern den Wärmeverlust, und wenn genügend Tageslicht einfällt, wird weniger Energie verbraucht. Deshalb ist es wichtig, dass für die Außenhaut der Gebäude die richtigen Materialien verwendet werden.
Doch laut den Richtlinien dürfen knapp zwei Drittel der Fassade mit Glas bedeckt sein. Ein mit Glas verkleidetes Gebäude wird demnach als energieeffizient und „grün“ betrachtet. Außerdem legt der Kriterienkatalog fest, wie das Gebäude isoliert werden soll und welche energiesparenden Eigenschaften das zu verwendende Glas aufweisen muss. Wegen seiner wärmeregulierenden Eigenschaften wird aus zwei oder drei Scheiben bestehendes Isolierglas empfohlen. Damit wird der Eindruck erweckt, hochwertiges Glas sei in Ordnung, weil es verhindert, dass sich die Gebäude aufheizen. Mit ihren Richtlinien unterstützt die Regierung den massenhaften Einsatz von Glas. Zugleich wirbt sie für wertvolles und teures Isolierglas, das nur wenige Unternehmen für zahlungskräftige Kunden herstellen.
Glashäuser schwitzen in Indiens Hitze
Selbst dies könnte noch angehen, wenn die Vorschriften eingehalten würden. Doch erstens scheuen viele Bauherren die Investition in teures Isolierglas, und weil normales Glas die Hitze speichert, müssen mehr Klimaanlagen eingebaut werden. Dadurch steigt der Energieverbrauch. Zweitens hält offenbar auch eine Doppel- und Dreifachverglasung die extreme Hitze in Indien nicht ausreichend ab. Laut Untersuchungen des indischen Institutes für Technologie von Gebäuden in Jodhpur, Neu-Delhi und Chennai nahm der Energiebedarf proportional zu der Menge der verglasten Flächen zu – unabhängig davon, welche Art Glas verwendet wurde. Mit Fassaden aus teurem Isolierglas wurde nicht mehr Energie eingespart als mit einfachem Glas.
In Indien scheint zudem die Sonne viel greller als in vielen westlichen Ländern, in denen große Fenster den Energieaufwand für eine künstliche Beleuchtung reduzieren. Im Prinzip ist es sinnvoll, das Tageslicht mit Hilfe von Glas möglichst gut zu nutzen, doch kommt es darauf an, wo, wie und in welchem Umfang es verwendet wird. An Süd- und Westfassaden heizt jede Art von Glas die Innenräume auf. Und selbst getöntes Glas, das 50 Prozent der Sonnenhitze abhält, lässt immer noch einen großen Teil des grellen Tageslichts durch. Deshalb braucht man Jalousien und wieder mehr künstliches Licht; die Energiekosten steigen. Es wäre vorteilhafter, eine direkte Sonneneinstrahlung von vorneherein zu verhindern. Genau das taten die Architekten früher – mit Fensterläden. Die sind aber inzwischen verpönt, weil sie nicht zum Image moderner, westlich geprägter Bauten passen.###Seite2###
Dass wir für eine grüne Zukunft anders bauen müssen, liegt auf der Hand. Doch ohne ausreichendes Wissen darüber, was ökologisch sinnvoll ist, und ohne Vorschriften, die zu Ressourcen schonendem Bauen anhalten, können alle Bemühungen zu den falschen Ergebnissen führen. Das geschieht derzeit in Indien. Zwar soll mit Hilfe der ECBC-Richtlinien die Energiebilanz der Gebäude um 40 bis 60 Prozent verbessert werden. Doch sie erweisen sich bislang zumeist als kontraproduktiv – wie ausgeführt – oder zumindest wirkungslos. Selbst wenn sie bei der Planung berücksichtigt werden, haben sie keine direkte Auswirkung darauf, wie viel Energie die Gebäude de facto verbrauchen.
Die Energieeffizienz wird zudem für verschiedene Klimazonen unterschiedlich berechnet. So dürfen in den Trockengebieten im Westen Indiens pro Quadratmeter 180 Kilowattstunden Strom jährlich verbraucht werden, in Regionen mit feuchtwarmem Klima dagegen 200 Kilowattstunden. Außerdem bietet die Regierung ein freiwilliges Rating-System für vier Kategorien von Zweckbauten an: Krankenhäuser, Einkaufszentren, Büros, die nur tagsüber genutzt werden, und Firmenräume von IT- und Outsourcing-Unternehmen, die für ihre internationalen Auftraggeber rund um die Uhr arbeiten. Doch dieses System ist nicht mit den ECBC-Richtlinien verlinkt, und deshalb gibt es keine Informationen darüber, wie sich die Baupläne in der Praxis bewähren, und kein Feedback, das aufgrund der praktischen Erfahrung dazu beitragen könnte, die Planung zu verbessern.
Zwei weitere Institutionen bewerten in Indien die Gebäude nach ihrer Umweltfreundlichkeit. Der Indian Green Building Council (IGBC) ist aus einer amerikanischen Initiative hervorgegangen, doch ist er inzwischen zu einer rein indischen Institution geworden, die von einer Unternehmervereinigung getragen wird. Der IGBC bewertet Neubauten nach unterschiedlichen Kriterien und vergibt die Gütesiegel „Platin“, „Gold“ oder „Silber“. Das Energy and Resources Institute (TERI) in Delhi zertifiziert nach einem Bewertungssystem namens Green Rating for Integrated Habitat Assessment (GRIHA). In vielen indischen Bundesstaaten gibt es Steuervergünstigungen, wenn man solche Zertifizierungen vorlegt, und man darf Grundstücke kompakter bebauen.
Einzelne Gebäude können nur so grün sein wie die Städte insgesamt
Doch diese Bewertungen werden vorgenommen ohne den konkreten Nachweis, dass die fertigen Gebäude ihrem Anspruch gerecht werden. Bis vor kurzem wurden keine Angaben über die tatsächliche Energiebilanz der „grünen“ Bauten veröffentlicht. Und nach den Daten, die nun vorliegen, wird die Behauptung der Ranking-Agenturen, die Gebäude würden 30 bis 50 Prozent Energie einsparen und 20 bis 30 Prozent weniger Wasser verbrauchen, nicht bestätigt. Nach einer aktuellen Untersuchung des Zentrums für Wissenschaft und Umwelt verschlangen viele Gebäude mit Spitzenbewertungen in Wirklichkeit große Mengen an Energie und Wasser.
„Grünes Bauen“ ist nur möglich, wenn allen Bauherren verbindliche Maßstäbe gesetzt werden und der Energieverbrauch pro bebautem Quadratmeter streng begrenzt wird. Architekten und Immobilien-entwickler werden anders vorgehen und von Anfang an effizient bauen, wenn sie andernfalls investieren müssten, um die Objekte nachträglich umweltgerechter zu machen. Dann werden sie sich auch wieder an die traditionellen Methoden erinnern, wie man passive Energie und das Tageslicht am besten nutzt, wie man die Luftzirkulation fördert und die Hitze fernhält.
Außerdem müssen Richtlinien für den Wasserverbrauch und das Abfallmanagement in den ECBC-Katalog aufgenommen werde, damit weniger Wasser durch die Toiletten fließt und alle Institutionen und großen Wohnanlagen zum Recycling ihrer Abwässer gezwungen werden. Doch zuallererst muss Indien die Mülltrennung einführen, so dass kompostierfähige, wiederverwendbare und nicht mehr verwendbare Abfälle separat eingesammelt werden.
All dies ist aber nur der Anfang: Die einzelnen Gebäude können nur so grün sein wie die Städte insgesamt. Wenn die Wohnungen nicht an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen werden, müssen wir weiter in einer braunen und schmutzigen Umwelt leben, auch wenn wir grün bauen. Und der Einsatz energiesparender Technologien darf die Baukosten nicht derart hochtreiben, dass die neuen Wohnungen für die meisten Inder unbezahlbar werden. In Ländern wie Indien müssen die Baurichtlinien vernünftiges und kostensparendes Bauen gewährleisten. „Grüne“ Architektur darf die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern und muss allen zugute- kommen.
Aus dem Englischen von Anna Latz.
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