Auf Aberglaube hat die evangelische Theologie im Grunde nur eine Antwort: Aufklärung durch Predigt und Bildungsarbeit. Entsprechend groß war das Unverständnis der deutschen Vertreter der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), als ihre afrikanischen und asiatischen Kollegen forderten, dem Thema Hexen und Dämonen theologisch nachzugehen. Doch anders als in Europa ist in afrikanischen und asiatischen Gesellschaften der Glaube an böse Mächte weit verbreitet. Und wenn die Menschen bei evangelischen Pfarrern keine verständliche Antwort auf ihre Probleme bekommen, gehen sie eben zu Fetischpriestern oder in Pfingstkirchen.
Als im Mai 2010 auf der indonesischen Insel Sumatra eine der Hexerei verdächtigte Familie gelyncht wurde und sich an dem Mord auch Kirchenälteste aus drei lutherischen VEM-Kirchen beteiligten, wurde auch den Skeptikern endgültig klar, dass das Thema nicht länger ignoriert werden kann.
Die VEM organisierte zwei theologische Konsultationen, eine für Afrika und eine für Asien, um einen evangelischen Zugang zu Magie, Hexerei und Dämonenglauben zu finden. Die deutschen Vertreter hätten dabei vor allem zugehört und gelegentlich kritische Fragen gestellt, sagt Claudia Währisch-Oblau, die bei der VEM die Abteilung Evangelisation leitet. „Wir haben bewusst keine Debatten darüber geführt, ob es Dämonen wirklich gibt, sondern uns vor allem auf die realen Konsequenzen des Dämonenglaubens konzentriert und uns gefragt, wie wir als Pfarrer damit umgehen können.“
Die Teilnehmenden der Konsultationen verständigten sich auf zwei Dokumente, die laut Währisch-Oblau Grundzüge einer theologischen Basis und pastorale Richtlinien für eine protestantische Befreiung von Dämonen enthalten. „Wir sind uns einig, dass man nicht an Dämonen glauben muss, um sie auszutreiben.“
Kirchen bieten ihren Pfarrern Trainings für Exorzismus an
Die Diskussion in der VEM hat in den afrikanischen und asiatischen Mitgliedskirchen Dämme gebrochen. Einige Kirchen bieten jetzt ihren Pfarrern und Evangelisten Trainings für Dämonenaustreibung an, andere veranstalten Workshops und Seminare für Ortsgemeinden. Die Baptistische Gemeinschaft in Zentralafrika hat ein Video über Besessenheit und Befreiungsdienst produziert. Die Evangelisationsabteilung der VEM fördert diese Programme.
Die Evangelische Kirche von Kamerun (EEC), ebenfalls Mitglied der VEM, ist noch einen Schritt weitergegangen: Sie hat Dämonenaustreibung offiziell legitimiert. „Bisher wussten unsere Pfarrer nicht, was sie tun sollten, wenn Menschen wegen paranormaler Phänomene zu ihnen kamen“, sagt Nghane Ngouaba von der EEC. „Sie mussten sie entweder wegschicken oder aber Sanktionen der eigenen Kirche fürchten, wenn sie einen Exorzismus durchführten.“ Das Dokument, das Dämonenaustreibung als ein pastorales Amt bezeichnet, habe nun endlich Klarheit geschaffen.
Nach den neuen EEC-Regularien dürfen entsprechend fortgebildete Pfarrer nach vorgegebenen Regeln Menschen von bösen Mächten befreien. Unterstützung bekommt der Pfarrer von Gebetsgruppen und Laien; die Befreiungsliturgie ist ganz auf die Bibel und das Gebet ausgerichtet, ein Dialog mit Dämonen und Geistern ist ausdrücklich verboten. Sollte keine Heilung eintreten, ist der Pfarrer angehalten, andere Wege zu finden, wie den Menschen geholfen werden kann, zum Beispiel zusammen mit Ärzten, Psychiatern oder Psychologen. Die EEC hat außerdem festgelegt, dass die jeweils höhere Kircheninstanz das Vorgehen vor Ort kontrollieren muss. Wer sich nicht an diese Regeln hält, muss mit Disziplinarmaßnahmen rechnen.
Kritiker sagen, es bestehe „theologischer Klärungsbedarf“
Währisch-Oblau bezeichnet das Papier aus Kamerun als „weltweit einmalig“. Es biete einen eindeutig evangelischen Blick auf das schwierige Thema; Heilung und Dämonenaustreibung würden als Teil eines ganzheitlichen Seelsorgekonzepts gesehen.
Außerhalb der VEM stößt das Vorgehen des Kirchenverbunds allerdings auf Kritik. Für die Evangelische Zentrale für Weltanschauungsfragen (EZW) ist die Forderung der beiden VEM-Konsultationen, protestantische Angebote der Dämonenbefreiung zu installieren, „aus europäischer Sicht unvorstellbar“. Es bestehe „theologischer Klärungsbedarf“, heißt es von Seiten der EZW.
Dem hält Währisch-Oblau entgegen, es gehe nicht darum, „ob wir an Dämonen glauben oder nicht. Es geht darum, wie wir Menschen helfen können“. Auch in Westeuropa gebe es Psychiatrie-Patienten, die glauben, von Dämonen besessen zu sein. Sie bekomme immer wieder Anfragen von Pfarrern aus evangelischen Landeskirchen, die von Gemeindegliedern mit dem Thema konfrontiert würden. „Westliche Seelsorgepraxis kann hier möglicherweise etwas von den Kirchen in Afrika lernen. Schließlich glauben auch im säkularen Westen mehr Menschen an Geister und Dämonen, als evangelische Pfarrer meinen“, sagt Währisch-Oblau.
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