Südafrikas Flirt mit Atomwaffen

In den 1970er Jahren baute der Apartheid-Staat an mehreren Atomsprengköpfen. Als das rassistische Regime zusammenbrach, wurde das Programm eingestellt. Aber die Schatten der nuklearen Vergangenheit wird das Land nicht los.

Sogar Nelson Mandela bekam nichts zu wissen: Bei seinem Amtsantritt als erster schwarzer Präsident der Republik Südafrika 1994 waren alle Unterlagen zum geheimen Atomwaffenprogramm des Apartheid-Regimes beseitigt und sämtliche Spuren sorgfältig verwischt worden. Auch die Wahrheitskommission zur Aufklärung der Verbrechen des rassistischen Staats fand keinen Ansatz, dieses dunkle Kapitel aufzuhellen.

Autor

Heimo Claasen

ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".

Nur wenige Eckdaten sind belegt oder können halbwegs verlässlich rekonstruiert werden: 1958 startete die südafrikanische Regierung mit tatkräftiger Hilfe der USA ein Atomforschungsprogramm; 1967 erklärte sie, man wolle mit „friedlichen nuklearen Explosionen“ Berge abräumen, um den Abbau von Mineralien zu erleichtern. Diese offizielle Begründung, die anderswo schlicht als haarsträubend angesehen wurde, entsprach der Logik der rassistischen Regierung: Von der freigesetzten Radioaktivität wären ja nur schwarze Bergleute betroffen gewesen.

1970 erklärte Präsident Balthazar Johannes Vorster, sein Land werde nicht dem Atomwaffensperrvertrag beitreten, der kurz zuvor in Kraft getreten war. Im selben Jahr begann Südafrika mit dem Bau einer Anlage zur Anreicherung von Uran, offiziell um Treibstoff für geplante Atomkraftwerke zu produzieren. Mitgeholfen beim Entwurf der Anlage hatte die westdeutsche Atomwirtschaft, die auch Material lieferte. Das Grundkonzept für die Isotopentrennung stammte aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe des Bundes, die Schlüsselrolle bei der Beschaffung spielten Maschinenbaufirmen wie STEAG, Degussa, NUKEM und MAN.

1971 entschied Vorsters Regierung, mit eigenem hoch angereichertem Uran Atombomben zu bauen. Zugleich suchte sich Südafrika einen neuen Partner für die geplanten Atomkraftwerke: Nicht mehr der US-Konzern Westinghouse, mit dem das Geschäft so gut wie beschlossen war, sondern Frankreichs Fram-atome sollte das erste südafrikanische AKW in Koeberg nahe Kapstadt errichten. Der Vertrag wurde 1972 besiegelt, aber erst viel später kamen die Gründe heraus, weshalb die erheblich teureren französischen Reaktoren den Zuschlag bekamen: Anders als Westinghouse verzichteten die Franzosen im Vertrag mit Südafrika auf die nach dem Atomwaffensperrvertrag verbindlichen Angaben zur Nutzung und zum Verbleib der Uranbrennstäbe.

Russische Aufklärungssatelliten entdeckten 1977 den Bau von zwei Schächten in der Kalahari-Wüste, die als Anlagen für unterirdische Atombombentests erkannt und von Russland bei den Vereinten Nationen angezeigt wurden. Erst viel später kam heraus, dass auch französische und US-amerikanische Erkenntnisse dazu vorlagen, die aber von Paris und Washington unter Verschluss gehalten wurden.

Im September 1979 verzeichneten US-Satelliten zwei Lichtblitze im Südatlantik, die charakteristisch für atomare Explosionen waren. Zwar dementierte Südafrika die Urheberschaft, aber die Fachwelt war sich weitgehend einig, dass es sich um Testexplosionen gehandelt haben musste. Die Frage war, ob Südafrika allein oder zusammen mit Israel Sprengsätze gezündet hatte. Oder hatte Pretoria lediglich das Gebiet für einen Test Israels zur Verfügung gestellt? Auch eine von US-Präsident Jimmy Carter eingesetzte Kommission fand keine eindeutige Antwort. Im Gegenteil: Die Zweifel blieben, dass es überhaupt ein Atomtest gewesen war.###Seite2###

Weil alle Beteiligten bis heute eisern schweigen, sind auch andere Fragen rund um das südafrikanische Atomwaffenprogramm ungeklärt. Zum Beispiel die, wie viele Bomben das Apartheid-Regime hergestellt hatte: Waren es sechs, wie der US-amerikanische Atomwissenschaftler und frühere UN-Waffeninspekteur David Albright meinte herausgefunden zu haben? Oder acht, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI erklärte? Oder waren es neun Bomben, von denen eine, wenn nicht gar zwei an Unbekannte weitergegeben wurden, wie eine Gruppe von britischen Atomwaffengegnern mit durchaus plausiblen Argumenten behauptete?

Belegt ist immerhin die Furcht des Westens, die vermuteten Atombomben könnten mit dem absehbaren Ende des Apartheid-Regimes in die Hände einer Regierung der schwarzen Mehrheit geraten: Nelson Mandelas ANC galt in vielen westlichen Hauptstädten als kommunistisch, seine Regierung wurde zunächst misstrauisch beäugt.

De Klerk ließ alle Dokumente vernichten

Schon ab 1987 machte die US-Regierung verstärkt politisch und wirtschaftlich Druck, um die südafrikanische Regierung zur Aufgabe ihrer Atomrüstung zu drängen. Nur zögerlich folgte die Europäische Union, deren größte Mitgliedstaaten mehr Rüstungsgeschäfte mit Südafrika tätigten als die USA: Briten und Franzosen lieferten Militärflugzeuge und Panzer, die Deutschen Marineschiffe und den auch beim Militär beliebten Unimog sowie andere Fahrzeuge aus dem Hause Mercedes. Zudem lieferten europäische Hersteller Anlagen und Maschinen für Südafrikas „friedliches“ Atomenergieprogramm.

Nach seiner Wahl im September 1989 entschied der vorerst letzte weiße Präsident Südafrikas, Frederik Willem de Klerk, die Produktion von Atomwaffen einzustellen und alle Dokumente zu vernichten. Die eine der beiden Anreicherungsanlagen und die Werkstätten zum Bombenbau in Pelindaba bei Pretoria wurden geräumt und dekontaminiert, die andere Urananlage wurde abgeschaltet, kann aber jederzeit wieder in Betrieb genommen werden.

Im September 1991 unterzeichnete Südafrika den Atomwaffensperrvertrag, doch erst im März 1993 gab de Klerk vor dem Parlament in Kapstadt bekannt, dass Südafrika seine Atomrüstung eingestellt habe. Dies war zugleich die erste und einzige offizielle Bestätigung, dass es sie überhaupt gegeben hatte. Weder de Klerk noch die Regierungen seit 1994 haben jemals Einzelheiten dazu offen zugänglich gemacht.

Nukleare Infrastruktur besteht bis heute

Laut einem SIPRI-Bericht von 2006 hat Südafrika das Waffenprogramm tatsächlich beendet, doch die nukleare Infrastruktur sei weitgehend intakt geblieben. Das gilt etwa für die Zulieferfirmen im militärisch-industriellen Komplex wie die südafrikanische Filiale der deutschen NUKEM, die vor zwei Jahren vom russischen Staatskonzern ROSATOM übernommen wurde. Neue Firmen wie Klydon zählen für ihr leitendes Personal „500 Jahre Erfahrung“ aus einschlägigen Jobs etwa in der Isotopentrennung zusammen, die sie kaum irgendwo anders als in der Waffenentwicklung gesammelt haben können.

SIPRI veranschlagte die Zahl der in das südafrikanische Bombenprogramm eingeweihten Personen auf 100 bis 150, andere Schätzungen kamen auf 400 bis 1000 Beteiligte. Die regelrecht paranoide Geheimhaltung auch im neuen Südafrika von allem, was mit Atomkraft und dem früheren Rüstungsprogramm zu tun hatte, wurde jedoch zur politischen Falle. Als 2004 das Netzwerk des pakistanischen Atomwaffeningenieurs Abdul Kadir Khan aufflog, der das Atomwaffenprogramm des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi unterstützt hatte, geriet Südafrika noch einmal unvorbereitet an den internationalen Pranger. Khan hatte Gaddafi Zubehör und Baupläne aus Südafrika geliefert und dazu Geschäftemacher in Deutschland und der Schweiz eingespannt. Ausgerechnet das einzige Land, das bis dahin atomar abgerüstet hatte, zeigte sich nun als Hinterland neuer Atompiraten.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2014: Atomwaffen: Abrüstung nicht in Sicht
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