"Auch Christen kämpfen gegen Christen"

Eine fünfköpfige Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist Mitte Juni zu einem Pastoralbesuch in Sudan und Südsudan gewesen. „Die Kirchen genießen in der Gesellschaft ein tiefes Vertrauen“, sagt EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber im Interview. Vor allem im Südsudan werde ihnen als einziger Institution noch zugetraut, die Konfliktparteien miteinander zu versöhnen.

Wie beurteilen Sie die Situation in beiden Ländern?
Bei der Staatsteilung vor drei Jahren in einen mehrheitlich muslimischen Sudan und einen mehrheitlich christlichen Südsudan war die Hoffnung groß, dass sich endlich Frieden einstellen würde. Dass es so schnell wieder blutige Auseinandersetzungen gibt, hat viele schockiert. In den ethnischen Konflikten im Südsudan werden Religion und Konfessionen instrumentalisiert. Da kämpfen auch Christen gegen Christen. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Es gibt Tausende von Toten. Menschen, die noch von den Grausamkeiten des Bürgerkriegs traumatisiert sind, erleben erneut Schreckliches.

Sieht es im Sudan besser aus?
Nein, auch hier ist die Entwicklung außerordentlich dramatisch. Die Islamisierung und Arabisierung der Gesellschaft schreitet immer weiter voran. Schwarzafrikaner, Christen, Religionslose und auch oppositionelle Muslime werden an den Rand gedrängt und diskriminiert. Christen werden als Eindringlinge aus dem Ausland beschimpft. Dabei gibt es seit dem vierten Jahrhundert Christen im Land. Eine internationale Aufmerksamkeit gibt es kaum noch, weil sich viele Hilfsorganisationen und westliche Firmen aus dem Sudan zurückgezogen haben. Die Menschen in beiden Ländern fühlen sich von der Welt verlassen.

Welchen Beitrag können die Kirchen zum Frieden im Südsudan leisten?
Die Kirchen genießen in der Gesellschaft ein tiefes Vertrauen. Ihnen wird vor allem im Südsudan als einziger Institution noch zugetraut, dass sie heilen und versöhnen können. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass christliche Missionare im 19. Jahrhundert gegen den Sklavenhandel gekämpft haben, von dem ein Teil der muslimischen Gesellschaft damals lebte. Die Kirchen stehen im kollektiven Gedächtnis für Freiheit und Frieden.

Allerdings leiden auch viele Mitarbeitende in den Kirchen noch unter den Traumata der Bürgerkriegsjahre. Die Last, sich jetzt um erneut traumatisierte Menschen kümmern zu müssen, ist ungemein groß und die Ressourcen sind knapp. Dabei ist genau das die dringendste gesellschaftliche Aufgabe, die es zu bewältigen gibt. Kirchen sind nach wie vor die Orte, wo entscheidende diakonische Arbeit geleistet wird. Sie sind wichtige Verteilstellen für humanitäre Hilfe und sie spielen spirituell eine wichtige Rolle. In den Kirchen werden Gottesdienste gefeiert, wo gebetet, gefleht und oft auch geweint wird.  

Was kann eine Kirchendelegation aus dem westlichen Ausland in einer solchen Situation bewirken?
Wir sind bewusst nur mit einer kleinen Delegation gereist. Es ging weniger um die Frage, wie die deutschen Kirchen die Menschen in beiden Ländern finanziell unterstützen können. Es ging vielmehr darum, den Partnern zuzuhören, gemeinsam mit ihnen das Leid zu beklagen und Solidarität zu zeigen.

Wie schwer ist es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die in einer scheinbar hoffnungslosen Situation sind, wenn man selbst aus dem privilegierten Norden kommt und in Freiheit, Frieden und Wohlstand lebt?
Die Verbindung zwischen den Kirchen im Sudan, im Südsudan und der EKD besteht seit vielen Jahren. Wir wollten den Partnern mit unserem Besuch zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen, auch wenn es schwierig wird. Natürlich wollen wir auch internationale Öffentlichkeit herstellen. Wenn mir aber vor allem Frauen von dem unfassbaren Leid erzählt haben, das ihnen zugestoßen ist, dann kam ich mir oft ohnmächtig vor. Angesichts der Größe der Aufgabe, die vor den Menschen im Sudan und im Südsudan liegt, fühlt man sich tatsächlich hilflos.

Was haben Sie auf Ihrer Reise als hoffnungsvoll erlebt?
Es ist bewundernswert, wie Menschen trotz allem immer wieder nach Möglichkeiten suchen, wie sie zu Frieden und Versöhnung in ihrem jeweiligen Umfeld beitragen können. Da können wir noch viel lernen. Auf Kirchenleitungsebene waren unsere Ansprechpartner vor allem Männer. Wir haben bewusst darauf bestanden, auch Frauen zu treffen und von ihnen zu hören, wie es ihnen geht und wie sie die Dinge sehen. Frauen tragen in beiden Ländern die allergrößte Last der Auseinandersetzungen, vielfach sind sie selbst Opfer geworden. Gleichzeitig sehen diese sich aber vor allem als Frauen des Sudan oder des Südsudan, orientieren sich nicht an ihrer ethnischen oder konfessionellen Zugehörigkeit. Das ist ungemein wichtig im Nationbuilding-Prozess.

Gibt es Pläne für ein stärkeres Engagement der EKD im Sudan und im Südsudan?
Der Rat der EKD hat nur wenige Tage nach unserer Reise beschlossen, dass wir die Kirchen im Sudan und im Südsudan verstärkt unterstützen wollen, insbesondere die Arbeit der kirchlichen Frauenverbände. Besonders die Flüchtlingshilfe bleibt ein Thema, für das wir uns mit den Fachleuten von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe gerade auch stark machen, da sich die internationale Gemeinschaft aus dem Sudan fast völlig zurückgezogen hat.

Die Fragen stellte Katja Dorothea Buck.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2014: Gesichter der Karibik
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