Sozialisten im Kaufrausch

Sandra Weiss
Junge Kubaner auf dem Malecón, der berühmten Uferstraße von Havanna. Die Reformen eröffnen ihnen neue Chancen. Doch es bleibt auch Ungewissheit, wie es weitergehen wird.
Raúl Castro will sein kommunistisches Kuba mit
Wirtschaftsreformen retten. Die Kubaner folgen ihm, denn der Hunger auf Dollars ist groß. Die Rufe nach politischer Freiheit klingen dagegen noch verhalten.

Am Schalter der Fluglinie Cubana in Mexiko-Stadt türmen sich Autoreifen, Fahrradschläuche und Flachbildschirme. Kann es sein, dass all das den vier Kubanern an der Spitze der Schlange gehört? Ja, es kann. Seit Präsident Raúl Castro Reformen eingeläutet hat, brauchen Kubaner keine Ausreisegenehmigung mehr. Von der Reisefreiheit machen diejenigen Gebrauch, die es sich leisten können – weil sie über ihre Familie im Ausland an Devisen kommen oder weil sie zur neuen Schicht der Kleinunternehmer gehören. Eines der beliebtesten Ziele der kubanischen Händler ist Mexiko Dort gibt es alles, was sich auf der Insel gut verkaufen lässt: Elektrogeräte, Kleider, Ersatzteile und Hausrat aller Art.

Autorin

Sandra Weiss

ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.
Castro hat zwar nur ein kleines Fenster zum Kapitalismus geöffnet, doch das frische Lüftchen entwickelt eine erstaunliche Eigendynamik. Die Aufbruchstimmung ist auch in Kuba selbst zu spüren, übers ganze Land verstreut gibt es Großbaustellen. Im Hafen von Mariel, rund 40 Kilometer westlich von Havanna, errichtet der brasilianische Baukonzern Odebrecht mit Krediten der brasilianischen Entwicklungsbank ein modernes Freihandelszentrum. Raúl Castro und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff haben im Januar das erste Teilstück des Containerterminals eingeweiht.

Zu sehen gab es vier grüne Lastkräne im Hafenbecken, ein Frachtschiff mit Containern einer US-Reederei, dahinter neue Lagerhallen und Bürohäuser. Die Absicht sei klar, meint der kubanische Journalist Angel González: „Sobald das Embargo endgültig fällt, ist Mariel der ideale Hafen für den Handel mit den USA.“ Luftlinie liegt er keine 145 Kilometer entfernt vom US-Bundesstaat Florida. Kuba schielt aber auch auf den Asienhandel. Der Hafen wurde für die neuen Megatanker der Post-Panamax-Klasse ausgelegt, die ab 2015 durch den ausgebauten Panama-Kanal schippern sollen.

Schlaglöcher werden gestopft

Auch in Havanna wird gebaut, die Altstadt ist kaum wiederzuerkennen. Die Stromkabel wandern unter die Erde, die Schlaglöcher machen antik anmutenden Pflastersteinen Platz. Wo früher Gebäuderuinen standen, entstehen lauschige Parks, die salzzerfressenen Altbauten werden komplett restauriert und bunt gestrichen. Verstaubte, leere Staatsläden sind teuren Boutiquen, edlen Restaurants und Designerhotels gewichen. Hier feiern Luxusmarken wie Adidas, Ray-Ban und Chanel ihr Comeback. Auch einheimische Parfumeure oder Designer wie Jaqueline Fumero mischen mit. Bei ihr kostet das billigste T-Shirt 45 US-Dollar – mehr als das Doppelte des durchschnittlichen kubanischen Monatslohns.

Havanna, die alte Dame der Karibik, wird geliftet und soll an den Glanz der 1950er Jahre anknüpfen, als die Stadt Vergnügungsmeile der US-Amerikaner war. In der Gastronomie sind die Reformen besonders spürbar: Die Zeiten des obligatorischen Reis mit Bohnen und des pappigen Käse-Schinken-Sandwiches sind vorbei. Stattdessen kredenzen international ausgebildete Köche in privaten Restaurants edlen Fisch, fantasievolle Fusionen oder Spezialitäten wie Hirsch und Schildkröte.

Die treibende Kraft der Reformen ist Raúl Castro. Als er 2006 von seinem kranken Bruder Fidel die Amtsgeschäfte übernahm, fiel seine Diagnose verheerend aus: eine stagnierende, ineffiziente Mangelwirtschaft, die weder in der Lage war, den Sozialstaat aufrecht zu erhalten, noch die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern. Zwar hatte das vergünstigte Erdöl aus dem Bruderland Venezuela etwas Erleichterung gebracht, doch für Raúl führt der Weg in die Moderne nur über interne Reformen.

Seine Vorbilder dabei sind China und Vietnam. Statt für „Sozialismus oder Tod“ lässt er die Kubaner neuerdings „für einen nachhaltigen und prosperierenden Sozialismus“ marschieren. Schon Anfang der 1990er Jahre schickte er die Militärs, denen er aufgrund ihrer Disziplin mehr vertraute als den Zivilisten, in Managementkurse ausländischer Berater. Unter Raúl Castro wuchs das Militär zum größten Unternehmen der Insel heran.###Seite2###

Die Militärs kontrollieren heute einen Großteil der Tourismusbranche – unter anderem die Reiseveranstalter Gaviota und Cubanacán, landwirtschaftliche Betriebe sowie große Handels-, Im­mobilien- und Telekomunternehmen. Die Militärschulen sind die Kaderschmieden des Landes. Wie auch immer der weitere Weg Kubas verlaufen wird – am Militär kommt keiner vorbei.

Kubas Reformen im Überblick

2008: Kubaner dürfen Fernseher, DVD-Player und Handys legal erwerben, Autos mieten und Hotelzimmer buchen. Die Landwirtschaft, das Bauwesen und der Frachtverkehr werden ...

Bereits jetzt zeichnen sich Gewinner und Verlierer der Reformen ab. Als die Plaza Vieja in Havannas Altstadt restauriert wurde, mussten viele Anwohner weichen – Gentrifizierung ist auf Kuba längst Realität. Ausländische Investoren und Exilkubaner, die seit drei Jahren Immobilien erwerben können, picken sich die architektonischen Sahnestücke in bester Lage heraus. Das ist eines der vielen sozialistischen Tabus, die im Zuge der Reformen gefallen sind: Jeder Kubaner darf nun Häuser und Autos kaufen. Doch die Preise sind astronomisch. Ein neuer Peugeot 508 kostet in Havanna umgerechnet 193.000 Euro – sieben Mal mehr als in Europa.

In den ersten sechs Monaten seit der Marktöffnung wurden nur 50 Autos verkauft. Trotzdem hat der Fuhrpark zugenommen. Vor allem Musiker, die in den ausländischen Exilgemeinden Geld verdienen, und privilegierte Parteifunktionäre importieren Fahrzeuge. „Der Audi ist das Statussymbol der Neureichen“, sagt der Schriftsteller Hugo Luis Sánchez, während er mit seinem klapprigen Lada durch die Stadt kurvt und den vielen Baustellen ausweicht.

Die soziale Schere geht weiter auseinander, denn abseits der Hauptstadt und der Touristenhochburgen herrscht noch der sozialistische Alltag. Zwar sieht man inzwischen am Straßenrand Stände, an denen Bauern Obst und Gemüse verkaufen, doch der Landwirtschaft mangelt es trotz Privatisierung an Dünger, Technologie, Großmärkten und Transportmöglichkeiten.

„Tomaten? Haben wir seit Wochen nicht mehr“, sagt ein Bauer auf dem Markt von Santiago de Cuba. Die zweitgrößte Stadt des Landes leidet noch immer unter den Folgen des Wirbelsturms Sandy, der 2012 über die Insel zog. In Santiago wurde wenig investiert, auf den verwahrlosten Plätzen versuchen Dutzende Kubaner den Touristen für ein paar Dollar Zigarren, Rum oder eine Stadtführung anzudrehen. Der Devisen-Rausch hat alle erfasst: Die Chemikerin Lybia vermietet Zimmer in Holguín, weil sie so das Zehnfache des staatlichen Durchschnittslohns verdient. Hotelmanager Iván aus Guardalavaca repariert in seiner Freizeit alte Handys, die ihm Freunde aus dem Ausland mitbringen, und verkauft sie gewinnbringend. Sein ganzer Stolz ist das eigene iPhone.

Die Korruption ist ein großes Problem. Staatsangestellte panschen Rum, verkaufen gefälschte Zigarren oder bedienen sich in staatlichen Depots, in denen es von Lebensmitteln über Baumaterialien bis hin zu Maschinen und Medikamenten fast alles zu holen gibt. In Havanna wurde kürzlich ein Chirurg festgenommen, weil er privat Schönheitsoperationen durchgeführt hatte.

Zudem verzerrt der Geld-Dualismus die Wirtschaft und spaltet die Gesellschaft. Deshalb will die Regierung den Kubanischen Peso und den an den Dollar angelehnten Peso Convertible demnächst zusammenführen.
Eine weitere „heilige Kuh“ des Sozialismus, die staatliche Lebensmittelkarte, wurde bereits geopfert. Zu teuer kam sie den Staat, ebenso wie die aufgeblähte Bürokratie. Schon jetzt arbeiten knapp eine halbe Million Kubaner auf eigene Rechnung. Weitere 1,3 Millionen Staatsangestellte werden in den nächsten Jahren entlassen. Bis 2015, schätzen kubanische Ökonomen, wird über ein Drittel aller Kubaner privat arbeiten. Viele potenzielle Kleinkapitalisten, die der neuen Mittelschicht von Brasilien oder Mexiko zum Verwechseln ähneln: Adidas-Mützen, Lacoste-T-Shirts, Ray-Ban-Sonnenbrillen.###Seite3###

Zu den Aufsteigern zählen Unternehmer, Künstler und Musiker, aber auch ehemalige Funktionäre wie der frühere Außenminister Roberto Robaína, inzwischen Besitzer einer modernen Kneipe in Havanna. An der Wand hängen seine Gemälde zum Verkauf. Weil ihm die Führung eine geplante Ausstellung verbot, eröffnete er eben eine Kunst-Kneipe, erzählt der kleine, gedrungene Mann, der eine steile Karriere vom Jungkommunisten bis zum Minister hingelegt hatte und als enger Vertrauter Fidels galt. 1999 fiel er in Ungnade, vermutlich, weil er mit seiner unbürokratisch erfrischenden Art und seinem Hang zu westlichem Luxus seiner Zeit voraus war.

Der wirtschaftliche Umbruch wirkt sich bisher nur indirekt politisch aus. Noch stellen die neuen Unternehmer nicht die Machtfrage, aber sie kritisieren bürokratische Hürden. Noch herrscht Konsens, das Bildungssystem und die Gesundheitsversorgung als kostenlose staatliche Dienstleistungen beizubehalten – freilich in besserer Qualität. „Diesmal gibt es keinen Weg zurück“, sagt der kubanische Soziologe Haroldo Dilla. Doch die verknöcherte Parteibürokratie hemme weitere Reformen: „Der Apparat ist aufgeblasen und bremst. Ihn aufzulösen, wird schwer.“

Normalbürgern ist der Zugang zum Internet verwehrt

Bisher ist davon keine Rede, denn der Parteiapparat mit seinem Spitzelsystem kontrolliert die politischen Aktivitäten der Bevölkerung. Das ist ebenso wichtig für den Machterhalt wie die strikte Kontrolle des Zugangs zu Informationen. Internet ist mit Preisen von sechs bis zehn US-Dollar die Stunde ein Luxus – obwohl seit 2011 das venezolanische Glasfaserkabel einen technisch zuverlässigen Anschluss bietet. Zwar zirkulieren viele Informationen unter der Hand per USB-Stick, doch Normalbürger dürfen weiter keinen Internetanschluss besitzen. Ein Handicap für die wirtschaftliche Modernisierung.

Die junge Generation der Parteifunktionäre scheint sich dessen bewusst zu sein. „Wir können unserem Volk nicht weiter Informationen vorenthalten. Mit der Geheimniskrämerei muss Schluss sein“, erklärte der designierte Nachfolger der Castros, der stellvertretende Staatsratsvorsitzende Miguel Diaz-Canel vor Journalisten und Studenten im November 2013. Wenn er wie geplant 2018 die Macht von Raúl Castro übernimmt, wird er seit 1959 der erste Zivilist an der Staatsspitze sein – und der erste, der nach dem Sieg der Revolution geboren wurde. Doch der Apparat wacht und bremst. Miguel Diaz-Canels selbstkritische Worte fanden kaum Niederschlag in der heimischen Presse.

Proteste wie während des arabischen Frühlings in Nordafrika sind nach Auffassung des Schriftstellers Sánchez unwahrscheinlich. Selbst wenn Dissidenten inzwischen ins Ausland reisen dürfen, in Kuba sind ihnen politische Aktivitäten untersagt. „Wir haben auch keine starke Parteientradition, an die man anknüpfen könnte. Die Parteien vor der Revolution waren korrupt und ineffizient“, sagt Hugo Luis Sánchez. „Kapitalismus ja, aber unter Kontrolle eines autoritären Regimes“, beschreibt der Soziologe Haroldo Dilla das aktuelle Drehbuch der Führung – geschrieben noch ohne die Beteiligung der aufstrebenden Mittelschicht.

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Inzwischen gibt es zahlreiche WiFis - nicht nur in Havanna, sondern auch in der Provinz. Der Preis pro Stunde beträgt z. Zt. 1,50 CUC.

Die Lebensmittelkarten (libreta) gibt es immer noch! Ein Chirurg, der privat operiert ohne entsprechende Nutzungsentgelte an den Klinikträger abzuführen, macht sich auch hier strafbar.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2014: Gesichter der Karibik
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