Bessere Spielregeln für die Armen

Klimawandel, Finanzkrise oder Terrorismus: Globale Probleme verlangen nach globalen Lösungen. Davon ist die Welt weit entfernt – das wurde bei einer Tagung von Wissenschaftlern, Politkern und Vertretern nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) Anfang Juli in Thüringen deutlich.

Grundlage für die Diskussionen bildete die im Februar erschienene Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben“. Um weltweit eine nachhaltige Entwicklung auf der Basis der Menschenrechte zu gestalten, seien „völkerrechtlich verbindliche globale Regelungen“ nötig, die nur innerhalb des Systems der Vereinten Nationen (UN) geschaffen werden können, heißt es darin.

Um solche Regelungen festzulegen und ihre Einhaltung zu überwachen, fordern die Autoren einen „Weltrat für soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen“ bei den UN, analog dem Weltsicherheitsrat. Dafür könne der bestehende Weltwirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) aufgewertet werden mit dem Ziel, die Parallelstrukturen zwischen den UN und dem Regieren in Klubs von Industrie- und Schwellenländern im Rahmen von G8 oder G20 abzuschaffen.

Die Teilnehmer der Tagung von Brot für die Welt und der Evangelischen Akademie Hofgeismar waren sich einig, dass die Alternative zu den UN nur bessere UN sein könnten, wie es der Grünen-Bundestagsabgeordnete Frithjof Schmidt formulierte. Der Zug fahre allerdings gerade in eine „andere Richtung ab“, die G20 mit den aufstrebenden Mächten China, Indien und Brasilien gewännen immer mehr Einfluss, gab er zu bedenken.

Die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul äußerte sich optimistischer. „Eine entschlossene Gruppe aus Politikern und Zivilgesellschaft“ könne etwas tun, um die Spielregeln auf globaler Ebene mehr an Gerechtigkeit und Gemeinwohl zu orientieren. Dafür böten etwa die geplanten Ziele für nachhaltige Entwicklung eine „Riesenchance“, die den UN-Millenniumszielen zur Reduzierung von Armut und Hunger 2015 folgen und für alle Länder gelten sollen.

Staaten bremsen Industrie und Zivilgesellschaft aus

Der Philosophieprofessor Thomas Pogge betonte, derzeit seien die globalen Regeln „für die Reichen und gegen die Armen“ gemacht. Sie behinderten etwa die Teilnahme ärmerer Länder am Welthandel und machten es möglich, dass Konzerne ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. „Die Entwicklungsländer gehen leer aus“, sagte Pogge, der an der Yale-Universität lehrt. Die Privatwirtschaft nehme großen Einfluss auf die ökonomischen Spielregeln, weil sie Geld und gute Möglichkeiten habe, ihre Ziele koordiniert zu verfolgen.  

Die Industrieländer dürften sich nicht auf Entwicklungshilfe zurückziehen, um die Armut zu bekämpfen. Sie hätten die Pflicht, die „internationalen Regeln umzuformen, die den Armen so schlecht bekommen“, unterstrich Pogge. Und sie müssten ein eigenes Interesse daran haben, wie Inge Kaul von der Hertie School of Governance deutlich machte. Zum Schutz und zum Erhalt globaler öffentlicher Güter wie Klimastabilität, öffentlicher Sicherheit und natürlicher Ressourcen müssten die Staaten viel mehr als bislang zusammenarbeiten, sagte die Ökonomin. Kooperation werde jedoch vor allem als Verlust von Souveränität begriffen. „Die Staaten zögern“, kritisierte sie, während die Industrie und die Zivilgesellschaft viel eher zur internationalen Zusammenarbeit bereit seien.

In Deutschland kümmern sich 150 Referate um UN-Fragen 

Ein solches Zögern zeigt sich auch in Deutschland: „Es gibt keine deutsche UN-Politik“, kritisierte die Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Beate Wagner. Sie vermisst politische Initiativen etwa beim Klimaschutz sowie eine hochrangige Beteiligung an wichtigen Konferenzen. Zwar sei Deutschland der drittgrößte Zahler bei den verbindlichen UN-Beiträgen, aber das freiwillige finanzielle Engagement für UN-Unterorganisationen und -Programme sei „beschämend gering“. Rund 150 Referate in den deutschen Ministerien beschäftigten sich mit UN-Fragen, aber es gebe keine Kohärenz zwischen den Politikfeldern, sagte Wagner.

Angesichts der ernüchternden Bestandsaufnahme sieht Thilo Hoppe, Vorsitzender der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung und Mitautor der Studie, wenig Chancen „auf große Strukturveränderungen“ bei den UN. Die derzeit diskutierten Nachhaltigkeitsziele könnten jedoch ein Schritt in die richtige Richtung sein. Inge Kaul setzt auch auf öffentlichen Druck, um die Staaten zu mehr Kooperation zu bringen. „Unser Wohlergehen hängt viel stärker von öffentlichen als von privaten Gütern ab“, betonte sie. Darüber müsse die Öffentlichkeit aufgeklärt werden.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2014: Gesichter der Karibik
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