Die beschränkte Macht der Online-Masse

Avaaz und Campact haben den Mitmachaktivismus im Netz professionalisiert. Aber Online-Petitionen allein bringen nichts.

Atomausstieg, Schutz der Orang-Utans, bessere Arbeitsbedingungen bei Discountern: Kaum eine politische Kampagne kommt heute ohne Online-Petition aus. Besonders effektiv sind dabei die Kampagnen-Netzwerke Avaaz und Campact. Via E-Mail mobilisieren sie blitzschnell Hunderttausende Menschen gegen das transatlantische Freihandelsabkommen oder für eine Lösung des Konflikts im Südsudan. Avaaz greift dabei auf weltweit 36 Millionen Adressen zurück, Campact erreicht über 1,3 Millionen Menschen, die meisten davon in Deutschland. Die Macher der Organisationen wollen der Bürgermeinung bei politischen Entscheidungen Gehör verschaffen – auch als Gegengewicht zu wirtschaftlichen Lobbygruppen.

Welche Themen dabei beackert werden, bestimmen die Unterstützer jedoch nur indirekt. Ideen für neue Kampagnen kommen meist von den hauptamtlichen Mitarbeitern oder von Fachorganisationen wie dem BUND, Attac oder Oxfam, erklärt Campact-Geschäftsführer Günter Metzges. Lanciert werden Kampagnen nur, wenn sie dem Weltbild der Organisation entsprechen – und Aussicht auf Erfolg haben. Dafür brauche es ein Aktionsfenster für politischen Wandel, zum Beispiel eine internationale Klimakonferenz. Anstoß könne auch ein kollektives Schockerlebnis bieten, wie die Reaktorkatastrophe in Fukushima: Campact sammelte daraufhin mehr als 300.000 Unterschriften für den Atomausstieg. „Wir müssen den Leuten klarmachen können, dass ihre Unterschrift gerade jetzt etwas bewirkt“, sagt Metzges.

Autor

Sebastian Drescher

ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".
Um sicherzustellen, dass eine Petition bei den Unterstützern gut ankommt, macht Campact den Test mit einigen Tausend seiner E-Mail-Empfänger. Ist das Anliegen nicht mehrheitsfähig, wird die Petition eingestampft.

Ähnlich professionell arbeitet das 2008 gegründete Netzwerk Avaaz, das wie Campact von privaten Kleinspendern getragen wird. 80 Mitarbeiter in 18 Ländern koordinieren die globalen Kampagnen, die jeweils in 17 Sprachen übersetzt werden. Der inhaltliche Feinschliff erfolge aber immer mit Hilfe von Fachleuten und spezialisierten NGOs, sagt Christoph Schott, einer der deutschen Avaaz-Mitarbeiter: „Wir wollen möglichst konkrete Forderungen stellen.“

Zwischen den Fachorganisationen und den Onlinespezialisten hat sich eine Aufgabenteilung entwickelt: Die einen leisten die langfristige Lobbyarbeit und steuern das Fachwissen bei, Avaaz und Campact wirken als Megafon und bringen zum richtigen Zeitpunkt die Massen in Bewegung. „Wir wollen nicht überzeugen, sondern Druck aufbauen“, sagt Metzges.

Spektakuläre Bilder sind wichtiger als die Inhalte

Auch bei der Übergabe der Petitionsschriften geht es weniger um den inhaltlichen Austausch mit den Spitzenpolitikern oder Wirtschaftsbossen als vielmehr darum, mit professionellen Protestaktionen für spektakuläre Bilder zu sorgen. Sie sollen den öffentlichen Druck erhöhen und den eigenen Unterstützern zeigen, dass sie etwas bewegen können.

Ob sich die Petitionen tatsächlich auf politische Verhältnisse auswirken, ist dagegen schwer nachvollziehbar. Avaaz verweist zwar auf eine Reihe von Entscheidungen, die im Sinne eigener Kampagnen ausgefallen seien. Dabei wird aber der Beitrag anderer Organisationen und sogar der eigenen Partner unterschlagen, die das Thema schon jahrelang bearbeiten. Sigrid Baringhorst, Politikwissenschaftlerin an der Uni Siegen, warnt deshalb, vor allem kleinere, spezialisierte NGOs könnten in der öffentlichen Wahrnehmung untergehen – und Nachteile beim Spendensammeln haben –, wenn sie mit Avaaz oder Campact zusammenarbeiten.

Zweifel gibt es auch am Gewicht der Online-Petitionen; Kritiker sprechen von „Klicktivismus“, weil eine Petition mit nur wenigen Klicks unterzeichnet werden kann. Das schmälert den Eindruck, den solche Petitionen auf Politiker machen. Zwar kann der Unterschied zwischen zehntausend und einer halben Million Unterschriften ein Stimmungsbild abgeben, doch Avaaz-Campaigner Schott weiß: „Politiker sind heute weniger beeindruckt von der Zahl der Unterschriften, Petitionen alleine haben meist nur eine geringe Wirkung.“ Avaaz ruft seine Anhänger deshalb zu mehr Engagement auf, wie bei der laufenden Kampagne für ein starkes Klimaabkommen 2015 in Paris: Protestler sollen in einer persönlichen Nachricht an Angela Merkel oder in einem Telefongespräch mit Europa-Abgeordneten mehr Klimaschutz fordern. Die nötigen Telefonnummern und schlagkräftige Argumente liefert Avaaz gleich mit.

Kaum Interaktion zwischen den Protestlern

Online und offline müsse sich ergänzen, findet auch Metzges. Campact sehe die Petitionen deshalb nur als Einstieg, den E-Mail-Verteiler nutzt die Organisation auch, um zu Demonstrationen oder Protestaktionen aufzurufen. Bei der aktuellen Kampagne gegen das transatlantische Freihandelsabkommen konnten über 20.000 Anhänger mobilisiert werden, die vor der EU-Wahl rund 6,5 Millionen Türhänger an deutsche Haushalte verteilten. Der Weg zurück auf die Straße ist für die Protestforscherin Baringhorst folgerichtig: „Online-Bewegungsorganisationen haben das Problem, dass sie kollektiven Willen sichtbar machen wollen, selbst aber kein Kollektiv sind, weil sie wenig Austausch ermöglichen.“

Das gilt auch für Avaaz. Auf der Plattform gibt es keine Möglichkeit, andere Protestler zu kontaktieren oder über die politischen Kampagnen zu diskutieren. Man denke aber darüber nach, in größeren Städten Bürgergruppen ins Leben zu rufen, sagt Schott. Und wenn im September UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Staatschefs zu einem Klimagipfel in New York empfängt, will Avaaz eine Million Menschen mobilisieren – nicht für eine Online-Aktion, sondern für einen gemeinsamen Protestmarsch.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2014: Lobbyarbeit: Für den Nächsten und sich selbst
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