Weniger Menschen, schönere Schweiz?

In der Schweiz wird voraussichtlich im Herbst erneut über eine umstrittene Initiative abgestimmt. Die Umweltvereinigung Ecopop fordert einen „Stopp der Überbevölkerung“. Unter anderem sollen zehn Prozent der Schweizer Entwicklungshilfe in die Familienplanung in armen Ländern fließen.

Eine neokolonialistische Forderung aus der Mottenkiste? Die Vereinigung Umwelt und Bevölkerung, kurz Ecopop, wehrt sich heftig gegen ein solches Etikett. Die Vereinten Nationen hätten freiwillige Familienplanung  1968 als grundlegendes Menschenrecht definiert, betont Ecopop – und bezeichnet es als „beschämend“, dass die Entwicklungszusammenarbeit dieses Recht „auch heute noch vernachlässigt“.

Die Initianten stützen sich auf UN-Zahlen, nach denen rund 220 Millionen Frauen weltweit nicht verhüten können, was pro Jahr zu geschätzten 80 Millionen ungewollten Schwangerschaften führe. Eine Stärkung der Familienplanung wirke deshalb nicht nur gegen die Überbevölkerung, sondern helfe auch, Armut zu bekämpfen, argumentiert Ecopop.

Natürlich müssten auch die reichen Länder den Ressourcenverbrauch reduzieren. Trotzdem sieht die Umweltvereinigung Handlungsbedarf im Süden: Der globale ökologische Fußabdruck der Menschheit werde zunehmend von Entwicklungs- und Schwellenländern bestimmt.

Am Ziel vorbei

Für Alliance Sud, die Arbeitsgemeinschaft von sechs großen Schweizer Hilfswerken, schießt Ecopop jedoch „klar am Ziel vorbei“. Die globale Umweltbelastung sei in erster Linie vom Überkonsum der Industrieländer verursacht und nicht vom Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern. Der durchschnittliche Ressourcenverbrauch dieser Länder sei verschwindend gering. So beträgt etwa der jährliche CO2-Ausstoß in Niger pro Kopf gerade einmal 0,1 Tonnen, also 54 Mal weniger als in der Schweiz.

Alliance Sud stimmt zu, dass viele junge Frauen in Entwicklungsländern ungewollt schwanger werden. Es sei aber falsch zu glauben, dass Aufklärung und ein besserer Zugang zu Verhütungsmitteln Abhilfe schafften. Umfragen der Weltbank zeigten, dass die Betroffenen in der Regel wissen, wie Verhütung funktioniert. Die Familienplanung scheitere eher am Widerstand der Männer, dem sozialen Druck der Familien oder an kulturellen Überzeugungen.

Die Schweizer Regierung orientiert sich bei ihrem Engagement am Aktionsplan der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo. Der Zugang zu Verhütungsmitteln helfe zwar bei der Reduktion des Bevölkerungswachstums, „ist jedoch nicht der wichtigste Faktor“, schreibt der Bundesrat.

Bevölkerungspolitische Maßnahmen seien dann wirksam, wenn sie in breite Ansätze zur Armutsbekämpfung und zur Förderung von Frauen eingebettet seien. Heute fließen knapp 70 Millionen Schweizer Franken in die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Die von Ecopop geforderten zehn Prozent würden jährlich rund 150 Millionen Franken ausmachen.
Die Initiative gelangt voraussichtlich im November zur Volksabstimmung. Umstritten ist vor allem die Forderung nach einer rigorosen Beschränkung der Zuwanderung in die Schweiz. Sie geht noch weiter als die jüngste Initiative gegen „Masseneinwanderung“.

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Dass die AllianceSud-Mitglieder nicht einmal 10 % vom DEZA-Budget für freiwillige Familienplanung einsetzen wollen, zeigt auf, wie kaltherzig die Beamten sich gegen dieses Menschenrecht wehren. Es ist nicht so, dass ecopop die 10-%-Forderung erfunden hat: Die oberste Hebamme, Ständerätin Liliane Maury Pasquier, aber auch Yvonne Gilli und Bastien Girod haben 2009 10 % für reproduktive Gesundheit und Bildung isolieren wollen. Dass sich die DEZA-Leute zu wenig um Frauen kümmern, die jedes Jahr wegen mangelnder Verfügbarkeit von Familienplanung millionenfach ungewollte Kinder gebären müssen, ist also nicht nur ecopop aufgefallen. Im 2013 hat auch Doris Fiala in ihrem Vorstoß bereichsübergreifendes Handeln der DEZA gefordert, um sexuell ansteckbare Krankheiten und Abtreibungen zu reduzieren. 71 Politikerinnen haben mit unterzeichnet - und nun wollen sie offenbar nichts mehr davon wissen.
AllianceSud beruft sich auf die neokoloniale Weltbank, um für die 220 Millionen Frauen, die keinen Zugriff zu Verhütung erhalten, weiterhin möglichst nichts machen zu müssen. Offenbar ist wirtschaftliches Wachstum für diese Funktionäre wichtiger als Prävention von unnötigem Leiden: Was für ein geistiges Armutszeugnis!

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erschienen in Ausgabe 4 / 2014: Indonesien: Von Islam und Demokratie
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