Wie verlief Ihr „Coming-out“?
Meine sexuelle Orientierung habe ich vor rund 15 Jahren entdeckt. Von da an wusste ich, wer ich wirklich bin. Aber geoutet hab ich mich erst, als ich 2008 meinen heutigen Freund kennenlernte. Wir sprachen viel, wir gingen gemeinsam essen, wir schliefen miteinander. Und dann hab ich es ausgesprochen. Ja, ich bin „pédé“ - schwul. Das ist der gewöhnliche Ausdruck in unserer Kultur für homosexuell.
Was hat Ihre Familie gesagt?
Ich lebte damals nicht mehr bei meiner Familie. Die erste Person, der ich es erzählt habe, war meine Schwester. Sie hat mich verstanden und dann mit meiner Familie gesprochen. Die wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Meine Eltern haben lange gebraucht, es zu akzeptieren, erst nach zwei Jahren empfingen sich mich wieder. Heute haben sie aber kein Problem mehr damit.
Zu der Zeit arbeiteten Sie als Prediger in einer methodistischen Kirche in Ruanda. Wie hat Ihre Kirche darauf reagiert?
Sie wussten es zuerst nicht. Dann begann ein anderer Pfarrer zu fragen: Bist du schwul? Warum bist du immer noch Single, warum hast du keine Kinder? Ich sagte ihm, ich wolle zuerst mein Studium abschließen. Aber er fragte immer wieder und sagte, es wäre doch kein Problem, schwul zu sein. Aber als ich es zugab, begannen sie mich Schritt für Schritt aus der Kirche zu drängen. Ich durfte sonntags nicht mehr predigen und wenn ich in der Kirche saß, haben mich alle seltsam angestarrt. Dann beschloss ich, nicht mehr hinzugehen und zu Hause zu beten.
Hatten Sie Zweifel an Ihrer Religion und der Kirche?
Ich war der Überzeugung, dass die Bibel die Homosexuellen nicht verdammt. Ganz im Gegenteil. Deshalb dachte ich, dass ich schwul sein und trotzdem zu einer Kirche gehören kann. Ein Freund von mir war Pastor in der „Church of God“. Er nahm mich in seine Gemeinde auf, ohne zu wissen, wer ich wirklich bin. Aber das genügte mir nicht. Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis, ich musste ausbrechen. Ich sprach ihn auf die biblische Geschichte von Jonathan und David an und fragte, ob die vielleicht pédé gewesen wären. Er blockte das Thema einfach ab. Als ich ihn mit meiner wirklichen Identität konfrontierte, fragte er nur, ob ich mein Verhalten ändern könne. Ich sagte nein. Wie sollte ich? Ich bin weder Alkoholiker, noch bin ich eine Prostituierte. Er lud mich zum Essen ein und begann für mich zu beten. Die Leute denken, jemand der schwul ist, kann einfach gerade gebogen werden. Sie sehen es als psychische Störung, die behandelt werden muss.
Warum haben Sie das alles mitgemacht?
Wenn dich jemand verjagt, kannst du klein beigeben oder kämpfen. Ich habe einfach für das Recht gekämpft, meinen Glauben leben zu können. Ich bin Christ und ich will in einer Kirche beten.
Hatten Sie damit Erfolg?
Ja, irgendwann haben sie sogar gesagt, du bist ein guter Prediger, also darfst du wieder predigen. Aber erzähl unseren Kinder nicht, dass Homosexualität okay ist. Jetzt stehe ich sonntags manchmal wieder vor der Gemeinde und predige, aber eben nie über Homosexualität.
Gibt es andere Schwule und Lesben in der Gemeinde?
Es gibt eine kleine Gruppe. Wir treffen uns manchmal zum Beten und studieren die Bibel gemeinsam. Aber das passiert alles versteckt, nicht in der Öffentlichkeit. Wir müssen langsam vorgehen. Ich versuche mit anderen Kirchenmitgliedern ins Gespräch zu kommen. Gut wäre es, das Thema auf einer Synode zu diskutieren. Viele halten Homosexualität immer noch für absolut unchristlich.
Wie antworten Sie darauf?
Mit der Bibel. Manche Leute berufen sich auf die Geschichte von Sodom und Gomorra, die angeblich wegen der Homosexuellen zerstört wurden. Aber in der Bibel findet man dafür keine Belege. Also setze ich mich mit den Leuten hin und wir lesen die Bibel.
Sie leben direkt an der Grenze zwischen Ruanda und dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Wie ist die Situation dort für Homo- und Transsexuelle?
Es gibt viel alltägliche Diskriminierung. Wenn ich mit meinem Partner unterwegs bin, werden wir oft beleidigt. Im Osten des Kongos ist es noch schlimmer, dort kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Schwule. Mein Freund lebt direkt auf der anderen Seite der Grenze im Kongo und er wechselt oft seine Wohnung, weil er sich bedroht fühlt. Rechtlich ist die Lage natürlich viel besser als in den meisten afrikanischen Ländern. Die Regierung in Ruanda sagt, Homosexualität sei eine private Angelegenheit, für die niemand belangt werden könne. Trotzdem werden immer wieder LGBT-Aktivisten verhaftet und für ein, zwei Tage weggesperrt. Die Polizei behauptet einfach, sie wären betrunken gewesen.
2010 wurde in Ruanda ein Gesetz vorgeschlagen, nach dem homosexuelle Handlungen mit bis zu zehn Jahren Haft bestrafen werden sollten. Wer stand hinter dem Vorstoß?
Die Konservativen versuchen immer wieder Homosexualität zu kriminalisieren. Viele Leute aus der katholischen und der anglikanischen Kirche haben sich im Parlament für das Gesetz stark gemacht. Und die meisten Parlamentarier waren zuerst dafür. Aber wir haben uns gewehrt und das Gesetz wurde nicht verabschiedet. Der Protest kam nicht nur von LGBT-Aktivisten, sondern aus der Zivilgesellschaft insgesamt. Viele haben befürchtet, dass das Gesetz die Bürgerrechte einschränkt und benutzt wird, um kritische Stimmen zu unterdrücken. Das Gesetz hat auch Erinnerungen an die Verfolgung der Tutsi und den Völkermord geweckt. Wir können nicht einfach eine Bevölkerungsgruppe kriminalisieren, wir alle sind Ruander.
Wie groß ist der politische Einfluss der Kirchen in Ruanda?
Die Kirchen sind die mächtigsten Institutionen in Ruanda. Sie haben eine große aktive Anhängerschaft, auch unter den Politikern. Sie besitzen riesige Ländereien und haben viel Geld, das sie in das Gesundheitssystem und die Bildung stecken. Mehr als die Hälfte der weiterführenden Schulen in Ruanda sind katholisch. Ohne die Kirchen wäre der Staat aufgeschmissen.
Wofür setzen Sie sich als christlicher LGBT-Aktivist ein?
Mit den Organisationen „Other Sheep“ und „The United Coalition of Affirming Africans“ wollen wir erreichen, dass Schwule, Lesben und Transsexuelle wie andere Menschen behandelt werden. Wir wollen Teil der Gesellschaft sein. Und dazu gehört auch, dass wir Teil der Kirchen werden, denn ohne die Kirchen wird es keinen Wandel geben. Wenn ein Priester spricht, dann hören die Leute zu und verstehen. Und wenn ein Bischof spricht, dann hören sogar die Politiker zu.
Erwarten Sie, dass die westlichen Kirchen und Entwicklungsorganisationen Sie darin unterstützen?
Nein, die haben damit nichts zu tun. Die Europäer können nicht einfach kommen und die Homophobie bei uns beenden. Wir sind selbstständig genug. Wir müssen unseren eigenen Dialog führen, innerhalb der Kirchen und in der Gesellschaft. Vor einigen Jahren gab es großen Streit in der Anglikanischen Weltkirche. Die amerikanischen Anglikaner haben sich für Homosexuelle geöffnet, die Afrikaner sind bei ihrer harten Linie geblieben. Die afrikanischen Kirchen blocken die Kritik einfach ab. Sie sagen: Wie könnt ihr uns kritisieren? Euch laufen doch die Leute davon. Unsere Kirchen dagegen sind immer voll.
Das Gespräch führte Sebastian Drescher.
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