Laut einer Schätzung des britischen Overseas Development Institute (ODI) von Anfang dieses Jahres hat sich die Zahl der Übergewichtigen im globalen Süden zwischen 1980 und 2008 verdreifacht. Inzwischen sind dort 904 Millionen Kinder, Frauen und Männer zu dick. Zum Vergleich: Rund 842 Millionen Menschen leiden weltweit Hunger.
Schuld an der neuen Fülle sind neben zu wenig Bewegung unter anderem ungesunde Essgewohnheiten nach westlichem Vorbild, angepriesen von der globalen Nahrungsmittelindustrie: mehr Fast-Food, Fertiggerichte, Süßigkeiten und Softdrinks, die große Mengen Zucker und Fett enthalten. Die oft zitierte Coca Cola mit neun Teelöffeln Zucker in der 330-Milliliter-Dose ist nur ein Beispiel unter vielen. Auch Pizza, Hähnchen-Curry und Frühstücksflocken kommen großzügig gesüßt auf den Tisch.
Obwohl Fettleibigkeit krank machen und die Gesellschaft viel Geld kosten kann, haben bislang nur wenige Regierungen den Kampf dagegen aufgenommen. Mexiko etwa hat Softdrinks mit einer Steuer belegt, Südkorea bringt Frauen bei, wie sie mit viel Gemüse und wenig Fett kochen können. Doch das sind Ausnahmen. Eine Ursache mag die – begründete – Annahme sein, niemand wolle sich vom Staat vorschreiben lassen, was er essen darf und was nicht – siehe den Vorstoß der deutschen Grünen für einen „Veggie Day“.
Die Lebensmittelindustrie leistet Widerstand
Mindestens genauso groß dürfte aber die Furcht davor sein, sich mit der mächtigen Agrar- und Lebensmittelindustrie anzulegen. Denn die reagiert sehr ungnädig auf Versuche, die Zusammensetzung ihrer Produkte zu beeinflussen – oder auch nur leichter verständlich zu machen. Daran scheiterte beispielsweise die „Ampelkennzeichnung“ von Lebensmitteln in Deutschland.
Jüngstes Beispiel: Amerikanische und britische Ernährungsexperten wollen mit einer Kampagne erreichen, dass der Zuckeranteil in Fertigprodukten schrittweise um bis zu einem Drittel gesenkt wird. Bei der Industrie stießen sie auf erbitterten Widerstand, denn die Produktion von Zucker und der Handel damit sind ein milliardenschweres Geschäft.
Trotzdem sind die Autoren des ODI-Reports zuversichtlich, dass eine Kombination aus Aufklärung, Preisanreizen und gesetzlicher Regulierung die Menschen dazu bringen kann, sich gesünder zu ernähren. Neben den nationalen Regierungen sind auch die Entwicklungsorganisationen gefragt: Sie sollten ihre Projekte stärker an dieser Zielsetzung ausrichten und Kampagnen gegen die Industrie unterstützen. Denn dass Übergewicht neben dem fortwährenden Skandal des Hungers in armen Ländern zur Lebenswirklichkeit zählt, ist nicht länger zu ignorieren.
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