Fleisch – ein Stück Lebenskraft

Viele, die sich in der Entwicklungspolitik engagieren, ernähren sich vegetarisch. Für Kleinbauern in armen Ländern sind Tiere und ihr Fleisch jedoch überlebenswichtig. Ein Plädoyer für Schweine, Rinder und anderes Vieh.

Entwicklungspolitische Konferenz der Kirchen und Werke in Berlin. Mittagspause. Die Schlange am Buffet ist lang.  Es gibt viel Gemüse und allerlei Vegetarisches. Und es gibt ein Fleischgericht. Eine Teilnehmerin schüttelt verständnislos den Kopf: „Wir reden über Hunger und Armut und hier gibt es Fleisch. Das geht ja wohl gar nicht.“ Und tatsächlich: Wer hier zulangt, muss sich an den Stehtischen bei denen, die sich auf fleischlose Kost beschränken, fast dafür entschuldigen.

Bei Kotelett, Bratwurst oder Frikadelle herrscht in den Industrieländern eine gewisse Schizophrenie: Einerseits wird viel zu viel davon gegessen, andererseits ist der Verzehr von Fleisch und Wurst zunehmend verpönt – vor allem in der gebildeten Mittelschicht, aus der die Entwicklungspolitik ihr Personal rekrutiert. Fleisch hat einen schlechten Ruf bei Leuten, die sich gesund ernähren wollen und den Anspruch haben, bei ihrem Lebensstil auf die Folgen für Umwelt und Menschenrechte zu achten.
Das ist gut nachvollziehbar hier bei uns, wo man in den Innenstädten alle hundert Meter entweder auf einen Döner-Imbiss, eine McDonald’s-Filiale oder einen Hähnchenbrater trifft. Wo im Fernsehen Dokumentationen mit ekelerregenden Bildern aus der Massentierhaltung laufen und wo alle Jahre wieder ein Skandal um verdrecktes Tierfutter den Appetit auf Schnitzel und Rinderbraten verdirbt.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".

Doch leider überträgt sich dieser schlechte Ruf auch auf die Entwicklungspolitik. Zumindest beklagen Fachleute das: Weil sich alle einig sind, dass global betrachtet zu viel Fleisch gegessen wird, führen Viehhaltung und Tierzucht in der Zusammenarbeit mit armen Ländern ein Schattendasein. Das ist schlecht, weil in armen Ländern Kühe, Hühner, Ziegen und andere Nutztiere für Millionen Bauern überlebenswichtig sind: Das Vieh liefert ihnen Einkommen und Nahrung, vor allem wichtige Nährstoffe wie Fett, Eiweiß und Vitamine. Wie hoch die Entwicklungshilfe für Tierhaltung ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen, weil etwa das Entwicklungsministerium oder eine Organisation wie die Deutsche Welthungerhilfe nicht eigens Buch darüber führen. Klar ist aber: Eine echte Lobby haben Nutztiere und ihre Halter nicht. Bei Landwirtschaft wird in der Entwicklungspolitik in der Regel an den Kleinbauern gedacht, der seinen Boden beackert und von dessen Früchten lebt. Dass derselbe Bauer und seine Frau vielleicht noch ein paar Ziegen und Hühner, vielleicht sogar eine Kuh haben, von denen ihre prekäre Existenz ebenso abhängt wie von ihrem  Acker, kommt in diesem Bild nicht vor.

Die FAO hat das schlechte Image der Tierhaltung befeuert

Unzählige Initiativen und Kampagnen setzen sich für erschwingliches Saatgut ein und protestieren  gegen den Einfluss von Agrarkonzernen und Gentechnik in der Landwirtschaft. Aber nur Spezialisten wissen, wie es etwa um die Milchwirtschaft in Westafrika bestellt ist. Es wird viel und laut getrommelt gegen Landgrabbing und für Landreformen. Aber kaum jemand kümmert sich um die schwierige Situation von nomadischen Viehhaltern, die in vielen Regionen um ihre Wander- und Weiderechte kämpfen.

Ausgerechnet die Welternährungsorganisation FAO hat den schlechten Ruf der Tierhaltung und der Fleischproduktion vor einigen Jahren zusätzlich befeuert. 2006 veröffentlichte die in Rom ansässige UN-Organisation eine Studie mit dem sprechenden Titel „Livestock’s Long Shadow“ – „Der lange Schatten der Viehzucht“. Darin heißt es gleich zu Beginn: „Die Viehzucht hat sich zu einer der zwei oder drei wichtigsten Ursachen für die gravierendsten Umweltprobleme entwickelt, und zwar von der lokalen bis zur globalen Ebene.“ Der Bericht erklärt  auf 400 Seiten, wie Rinder, Schweine und andere Nutztiere zur Zerstörung unseres Planeten beitragen: Der Mist und die Ausdünstungen, die sie produzieren, schadeten dem Klima mehr als alle Auto- und Flugzeugabgase; Tierhaltung sei die wichtigste Ursache für die Abholzung von Regenwäldern und den Verlust an biologischer Vielfalt; und sie trage wie kein anderer Faktor zur Verseuchung von Wasserressourcen bei.

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Zu negativ und zu einseitig sei der Bericht gewesen, sagen Fachleute. In anderen Publikationen und Programmen geht die FAO denn auch ausgewogener mit den Vor- und Nachteilen der Fleischproduktion um. Und in ihrem diesjährigen Statusreport zur globalen Ernährungslage fokussiert sie auf einen Missstand, zu dessen Behebung Fleisch und tierische Produkte einen wichtigen Beitrag leisten können: den der Mangelernährung. Mehr als 840 Millionen Menschen leiden Hunger – das heißt sie nehmen zu wenige Kalorien zu sich –, vor allem in Afrika und in Südasien. Aber weitere 1,2 Milliarden Menschen sind mangelernährt, das heißt sie ernähren sich zu einseitig, etwa nur von Getreide, so dass ihnen wichtige Nährstoffe fehlen. Eins von vier Kindern weltweit ist zu klein bei der Geburt, weil die Mutter mangelernährt war. Die meisten dieser Kinder holen den Rückstand nicht mehr auf.

Wenn Mütter in Afrika und Asien mehr Fleisch und tierische Produkte wie Milch und Eier verzehren könnten, dann wäre die Zahl der mangelernährten Kinder kleiner. Fleischkonsum wird häufig in einem Atemzug mit Übergewicht und Fettleibigkeit genannt, die sich auch in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern ausbreiten. Die FAO betont aber, dass global betrachtet Mangelernährung  immer noch das größere Problem ist. Die Entwicklungspolitik ist also gut beraten, sich engagierter um Tierhaltung und Fleischproduktion in armen Ländern zu kümmern. Es sei denn man vertraut den Versprechungen der Lebensmittelindustrie, der Nährstoffmangel lasse sich mit im Labor angereicherten Nahrungsmitteln wie dem „Goldenen Vitamin-A-Reis“ beheben. Oder folgt dem Argument der europäischen Fleischproduzenten, die Lösung seien noch mehr Geflügelexporte aus der Europäischen Union nach Afrika.

Hirten sind stolz auf ihre großen Rinderherden

Ohne Tiere würde die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Entwicklungsländern nicht funktionieren. Sie tragen nicht nur zur Ernährung bei, sondern liefern außerhalb der Erntezeiten Einkommen aus dem Verkauf von Milch, Eiern und Fleisch. Sie verwerten für den Menschen ungenießbare Pflanzen in Lebensmittel und liefern Dünger. Und so mancher Ochse ersetzt auf dem Hof den Traktor oder andere Maschinen.

Die Entwicklungspolitik muss Kleinbauern darin unterstützen, ihr Vieh möglichst produktiv zu nutzen – etwa indem sie in die Tiergesundheit investiert oder etwas für die Anbindung von Viehhaltern an Fleischmärkte tut. Für die Bauern sind Tiere ein Stück Lebenskraft, in das es sich zu investieren lohnt – auch wenn bei entwicklungspolitischen Buffets in Berlin die meisten lieber einen Bogen um den Fleischtopf machen.

6000 Kilometer südlich von Berlin ist das anders: Im äußersten Süden von Äthiopien laden die Borana ihre Gäste aus dem Ausland zum Essen ein. Die Hirten sind stolz auf ihre großen Rinderherden, mit denen sie auf der Suche nach Weiden und Wasser übers karge Land ziehen. Zu Ehren der Besucher wurde eine Kuh geschlachtet. Ein Mann serviert auf einer Platte einen Berg fein geschnetzeltes, kross gebratenes Fleisch. Das Fett brutzelt noch. Ein zweiter Mann kommt hinzu und übergießt den Fleischberg mit zerlassener Butter. Der Duft ist unwiderstehlich. Dann wird gegessen. 

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was die so alles spaltet, überschrieb doch Frau Kaufmann ihren Artikel mit "Die schädliche Gier nach Fleisch". Und nun schreiben Sie "Fleisch, ein Stück Lebenskraft". Da muss man schon sehr gefestigt sein, um die Orientierung nicht zu verlieren. Heute will ich nicht polemisieren, sondern wünsche allen in der Redaktion viel Freude mit dem Festtagsbraten oder den Gemüseburgern oder den Tofuschnitzeln und natürlich den geflügelten Jahresendfiguren.

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Lieber Herr Lohmann,

so schizophren sind die beiden Artikel gar nicht. Lesen Sie noch einmal nach: Frau Kauffmann ging es vor zwei Jahren um Massentierhaltung in Industrieländern, mir um das Vieh von Kleinbauern in Entwicklungsländern. Von dem einen gibt es zuviel, das andere hingegen wird zu wenig beachtet und gefördert. Da sind meine Kollegin Kauffmann und ich ganz auf einer Linie. Und selbst wenn wir das nicht wären: Was wäre daran schizophren?

Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein erholsames Weihnachtsfest sowie einen guten Start ins neue Jahr.

Tillmann Elliesen

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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