Seine linke Hand liegt schwer auf der roten Rinderhüfte. Er presst die Lippen zusammen, so dass man nur noch seinen schwarzen Schnauzer sieht. Dann setzt er mit der Rechten das lange Messer an. „Schön dünn“, hatte die Kundin gesagt. Vier Scheiben sollen ein Pfund ergeben. „Und schön breit geklopft, damit es nach mehr aussieht.“ Sieben Pfund hatte sie bestellt, 28 Scheiben. Für Marcos Girón ist das Routine. Am Ende packt er das Fleisch und wirft es in die Schale seiner Hängewaage. Sieben Pfund, exakt. Er lächelt.
Die Markthalle im Stadtteil San Miguelito mit ihren 1.200 Ständen ist in El Salvadors Hauptstadt San Salvador bekannt für die große Auswahl an Blumen und Kleidern. Der 34-jährige Girón kommt seit seiner Kindheit täglich hierher; nicht in die Ecke, in der es nach Blumen duftet, sondern in die Ladenzeile mit den Fleischständen. Schon seine Mutter hat hier Steaks und Würste verkauft. Acht Fleischer gibt es in seiner Gasse. Bei ihm ist immer am meisten los.
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„Ich schau ihm gerne zu, wenn er das Fleisch zerteilt“, sagt Esther Hernández, die die 28 Scheiben Rinderhüfte bestellt hatte. Es stört sie nicht, dass Marcos Girón keine Gummihandschuhe trägt wie die Verkäufer an anderen Ständen und weder Mütze noch Haarnetz. „Er bedient uns gut und hat viel Geduld.“ Wer es wünscht, bekommt seine Ware in Portionen verpackt und beschriftet. „Schreib Mittwoch drauf“, verlangt ein Kunde und eine andere: „Für die Suppe“. Besonders lobt Esther Hernández, dass Giróns Fleisch immer frisch ist, viel frischer als in jedem Supermarkt. „Ich kaufe immer nur wenig ein, so dass es nie älter ist als einen Tag“, sagt Girón.
Zwischen sechzig und siebzig Pfund Fleisch kauft Girón jeden Tag, vorwiegend Rind. Schweinefleisch ist in El Salvador nicht so gefragt. Sein Großhändler bringt ihm die Ware aus Cojutepeque, einem Städtchen eine gute Autostunde östlich von San Salvador, mit großem Rindermarkt und Schlachthof. Rund 11.500 Rinder und 6500 Schweine werden dort jeden Monat geschlachtet. Die Bedingungen sind nicht gerade hygienisch: Geputzt wird nur einmal am Tag, nach Feierabend. Bis dahin sammeln sich Schlamm, Exkremente und Blut, knöcheltief. Das Fleisch wird auf meist offenen Kleinlastern verteilt. Geschlossene Kühlketten gibt es nicht.
Marcos Girón hat in seinem Laden einen Kühlschrank. Nur zwei große Stücke Fleisch liegen immer offen auf dem Tresen. Den wischt er regelmäßig ab, wegen der Fliegen. Die Wände seines Stands leuchten weiß unter dem Licht der nackten Neonröhren. Der Wandschmuck ist markttypischer Kitsch: Ein glänzendes Herz aus roter Alufolie, kleine gelbe Schilder mit Sinnsprüchen: „Gott ist der Besitzer dieses Geschäfts. Ich bin nur sein Angestellter.“ Oder: „Am Geld haften Bakterien. Hier kannst du es loswerden, bevor du dich ansteckst.“
Alle vier Monate muss Girón zum Gesundheitscheck
Er kauft sein Fleisch immer beim selben Händler – nicht nur, weil es die vorgeschriebenen Stempel des Veterinäramtes trägt. Viel wichtiger ist ihm das Vertrauen, bei diesem Händler stimmt die Qualität. Bei Fremden würde er nie kaufen. Es lohne sich nicht, wegen ein paar Cent weniger ein Risiko einzugehen, sagt er. „Das kann dich viele Kunden kosten.“ Er weiß, dass manche Großhändler den Fleischverkäufern schon Pferdefleisch als Rind untergejubelt haben. Das wird billiger angeboten als richtiges Rind, den großen Schnitt aber machen die Händler: Ein altes Pferd bekommen sie auf illegalen Schlachthöfen für weniger als 100 US-Dollar. Für ein legal geschlachtetes Rind bezahlen sie – je nach Gewicht und Qualität – zwischen 300 und 900 Dollar.
Einmal im Monat kommt ein Kontrolleur vom Gesundheitsministerium vorbei. Ob Rind oder Pferd verkauft wird, interessiert ihn nicht. Er schaut auf die Hygiene, überprüft den Zustand des Kühlschranks und ob die Waage richtig geeicht ist. Alle vier Monate muss Marcos Girón zu einem Gesundheitscheck. Sein Handwerk hat er hier gelernt. „Ich bin nie auf eine Fleischerschule gegangen und habe nie einen Kurs besucht.“ Was er weiß, hat ihm seine Mutter beigebracht. Die hat vor ihm den Stand geführt und viele Kunden erinnern sich noch an sie. Sie sagen, der Sohn sei handwerklich mindestens genauso gut, wenn nicht besser.
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„Ich habe schon als Kind gearbeitet“, erzählt er. Seine Familie sei nie reich gewesen, nicht einmal Schuhe habe er besessen. „Aber ich habe Mais gekocht, ihn zur Mühle gebracht und dann auf der Straße Tortillas verkauft.“ Die aus einem Teig aus Mais und Wasser hergestellten Fladen gehören in Mittelamerika zu jedem Essen. Als er 14 Jahre alt war, wurde seine sieben Jahre ältere Freundin von ihm schwanger. Seine Mutter nahm das ganz pragmatisch. Er musste jetzt mit an den Stand, sein eigenes Fleisch verkaufen und mit dem Erlös seine Familie ernähren. Und es stellte sich heraus: Der Sohn hatte Talent für den Umgang mit Kunden.
Deshalb hat er sich nach vier Jahren einen anderen Job gesucht. „Die meisten kauften bei mir und ich hatte Angst, meine Mutter würde aus Mangel an eigenen Kunden bankrottgehen.“ Also verkaufte er Putzmittel im Zentrum von San Salvador. Zwei Jahre später war die Mutter trotzdem pleite. Sie habe einfach nie gerechnet, mit der Zeit tausend Dollar Schulden angesammelt und keine Ahnung gehabt, wie sie die jemals zurückbezahlen sollte, sagt Girón.
Auch seine Frau verdient ihr Geld mit Fleisch
Sohn Marcos sprang ein und übernahm den Laden. Er habe sich hingesetzt, Bleistift und Papier genommen und gerechnet, erzählt er. „Und dann konnte ich den Lieferanten sagen: Ich werde die Schulden meiner Mutter bezahlen; aber über zwei Jahre in Raten von fünf Dollar.“ Erst als er schuldenfrei war, investierte er in eine Vitrine für die Wurst und in eine neue Waage. „Man kann hier nur überleben, wenn man verantwortungsbewusst ist und rechnet“, sagt er. 85 Dollar Steuern bezahlt er im Jahr, dazu 25 Cent täglich für die Wachleute. Die sind nötig: Sein Stand lässt sich nicht, wie die meisten anderen, nachts mit einem Rollladen aus Metall verschließen. Das wird seine nächste Investition sein.
Geöffnet wird morgens um sechs, da kommt der Großhändler mit der frischen Ware; jeden Tag, Montag bis Sonntag. Dafür geht er früh nach Hause. Nachmittags um zwei, samstags manchmal auch erst um vier macht er Schluss. „Schließlich will ich auch etwas von meiner Familie haben.“ Die Beziehung mit der Mutter seines ersten Sohnes hielt nicht sehr lange. Doch Girón hat wieder geheiratet und mit seiner zweiten Frau noch einmal zwei Söhne, acht und 14 Jahre alt. „Ich hole sie von zu Hause ab und wir unternehmen etwas zusammen.“ Viele Männer gingen nach der Arbeit mit Freunden aus und kämen betrunken nach Hause, wenn die Kinder schon lange schlafen. Für ihn ist das nichts: „Ich will meine Kinder genießen.“
Dass ihm irgendwann die Kunden davonlaufen, fürchtet er nicht. Sicher, Supermärkte locken mit Sonderangeboten. „Aber dort kaufen nur Leute ein, die Kreditkarten haben.“ Seine Kunden bezahlen noch bar. Und er ist überzeugt: Sie kommen zu ihm, weil er freundlich und kompetent ist. Auch seine Frau verdient ihr Geld mit Fleisch, in derselben Markthalle von San Miguelito. Ihr Stand mit Hühnchen ist kaum hundert Meter von Marcos Girón entfernt. Kommt denn bei solch einer Familie täglich Fleisch auf den Tisch? „Nein, nur ein, höchstens zwei Mal in der Woche.“ Und dann eher Schwein als Rind oder Hühnchen. Das schmecke ihm einfach besser.
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