Schleichende Enteignung in Rumänien

Agrarunternehmen aus Westeuropa nehmen in Rumänien große Landflächen in Besitz. Sie nutzen die politische Rückendeckung und ziehen die Kleinbauern über den Tisch.

Auf die Naturschätze Rumäniens richten sich heftige Begehrlichkeiten. Konzerne aus der Agroindustrie und aus dem Bergbau machen mit großen Investitionen Jagd auf das fruchtbare Land und bewirken einen abrupten Wandel in der Landwirtschaft, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Große Areale an sich zu bringen ist ein komplexer Vorgang. Es gibt in Rumänien weder Zwangsenteignungen, noch wird Waffengewalt angewendet. Die ländliche Bevölkerung, die überwiegend betagt und schutzlos ist, zeigt sich im Allgemeinen begeistert über Investitionen von agroindustriellen Konzernen und akzeptiert, dass sie dafür ihr Land verpachten muss. Doch hinter der sanften Fassade verbirgt sich ein aggressiver Prozess.

Alle Bedingungen sind günstig dafür, dass agroindustrielle Unternehmen von der sozioökonomischen Lage profitieren und sich Land aneignen. Nach der Revolution von 1989 und dem Ende des kommunistischen Regimes wurden die Kollektivfarmen aufgelöst; der Landbesitz wurde privatisiert und in mehr als 20 Millionen Parzellen zerstückelt. Viele der früheren Kollektive fielen in die Hände jener, die in der Zeit der kommunistischen Herrschaft wichtige Funktionen innehatten. Heute besitzt eine Unzahl kleiner Bauernhöfe mit einer durchschnittlichen Größe von drei Hektar insgesamt 65 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, der Rest gehört kommerziellen Gesellschaften. Große Unternehmen herrschen vor allem im Süden Rumäniens vor.

Autorin

Judith Bouniol

hat in Frankreich Ländliches Planungswesen studiert und arbeitet über Landkonzentration zusammen mit Ecoruralis. Diese Organisation setzt sich in Rumänien für ökologische und traditionelle Landwirtschaft ein.

Die Bodenpreise sind sehr attraktiv. Ein Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche kostet im Schnitt zwischen 120 und 3000 Euro. Die Pachtkosten belaufen sich pro Jahr und Hektar auf 80 bis 100 Euro oder alternativ auf 300 bis 700 Kilogramm Weizen. In Deutschland, Italien oder den Niederlanden wäre es vollkommen undenkbar, mehrere Hundert Hektar Land zu einem solchen Preis von einem Grundbesitzer zu erhalten. Das rumänische Recht scheint den Landkauf zu beschränken, doch dies ist seit der Phase der Vor-Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) 2000 bis 2006 – Rumänien ist seit 2007 Vollmitglied der EU – ein trügerischer Eindruck. Europäische Unternehmen können zwar kein Agrarland erwerben, aber sie haben die Möglichkeit, ein Unternehmen nach rumänischem Recht zu gründen, selbst wenn dessen Kapital vollständig in ausländischer Hand ist. Diese können dann Agrar- und Waldflächen kaufen. Und ab 2014 werden Firmen aus EU-Mitgliedsstaaten Land in Rumänien zu den gleichen Bedingungen kaufen können wie in der übrigen EU.

Die politische Lage begünstigt große Investitionen in Land

Zudem steuert die rumänische Regierung eindeutig in Richtung Entwicklung der Agro-Industrie. Im Regierungsprogramm bekennt sie sich klar zu dem Willen, die Landwirtschaft zu industrialisieren, die Produktion auf den Export hin auszurichten und die Landkonzentration zu fördern. Der gleichen Linie folgen die Banken, die sich den agroindustriellen Konzernen zuwenden und den bäuerlichen Betrieben den Rücken kehren. Auch auf lokaler und regionaler Ebene erhalten große Unternehmen die Unterstützung der Behörden. Die politische Lage begünstigt also stark große Investitionen in Land.

Von Europa aus nutzt die Gemeinsame Agrarpolitik vor allem den großen Betrieben. Seit der Phase der Vor-Mitgliedschaft flossen in Rumänien die Mittel aus den öffentlichen Fonds vor allem an Unternehmen, die bereits eine beträchtliche Größe aufwiesen und auf der Grundlage früheren Kollektivbesitzes entstanden waren. Auch heute sind die direkten Beihilfen für die Landwirtschaft sehr ungleich verteilt: Weniger als ein Prozent der Betriebe erhält die Hälfte der Subventionen, während die restlichen 99 Prozent sich die andere Hälfte teilen müssen. Diese Politik führt zu einem Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft. Laut der Agrarstatistik von 2010 ist die Zahl der Betriebe in Rumänien seit dem Jahr 2002 um 14 Prozent zurückgegangen. Weil die rumänische Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in die städtischen Zentren im eigenen Land oder im Ausland abwandert, überaltert die zurückbleibende ländliche Bevölkerung zunehmend.

Unternehmen – gleich ob rumänisch oder ausländisch –, die Landbesitz anhäufen, verbünden sich mit den Behörden, um die Gesetzgebung und die Entwicklungsprogramme in eine für sie vorteilhafte Richtung zu lenken. Sie machen sich die Schutzlosigkeit der Bevölkerung und die Schwäche der Institutionen zunutze. Dies gelingt über Pachtverträge mit unfairen Bedingungen oder mittels Kauf von Parzellen zu einem niedrigen Preis.

Zwei Beispiele der Landnahme

Das rumänische Unternehmen Transavia produzierte ursprünglich Geflügel. Um Getreide für die Fütterung der Tiere und den Verkauf herzustellen, kauft und pachtet es seit 2011 Land im Zentrum ...

Wenn agroindustrielle Unternehmen sich Land unter den Nagel reißen können, dann vor allem deshalb, weil das Land verfügbar ist – oder zumindest potenziell verfügbar. Dafür ist entscheidend, dass viele Menschen die Landwirtschaft aufgeben und den ländlichen Raum verlassen. Doch die Agrarinvestitionen in großem Maßstab sind selbst ein Motor dieser Landflucht und eine Ursache für die Schwächung der sozioökonomischen Dynamik auf dem Land in Rumänien.

Sechs bis acht Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Rumäniens werden laut Angaben in den Medien von Ausländern bewirtschaftet. Angesichts der Vielfalt der Investitionen und ihrer unterschiedlichen Formen ist indirekt aber sehr viel mehr Land betroffen. Zunächst führt der Verlust von Land auch zum Verlust der Ressource Wasser. Wenn Unternehmen Landbesitz ansammeln, legen sie indirekt ihre Hand auf das Fluss-, See- und Grundwasser. Das erschwert denen, die Zugang zum Wasser verlieren, die landwirtschaftliche Tätigkeit – sowohl heute als auch für die Zukunft.

Die Konzentration des Landbesitzes ist antidemokratisch

Da die industrielle Landwirtschaft stark mechanisiert ist, benötigt sie nur wenige Arbeitskräfte je Hektar, schafft also im ländlichen Raum wenig Beschäftigung. außerdem beeinflusst die Konzentration des Landbesitzes auch die Entwicklung der Preise für Agrarland. Von 2000 bis 2008 sind sie in Rumänien um 300 Prozent gestiegen. Diese Aufblähung ist eine direkte Folge der Öffnung der Märkte für die EU und der enormen Investitionen in Land. Schließlich gehen die Landaufkäufe Hand in Hand mit der Konzentration der Lebensmittelvermarktung über Großaufkäufer und Supermärkte. Mit allgegenwärtiger Werbung fördert dieses Vertriebssystem einen Konsum, bei dem das Image und der Preis zu den wichtigsten Auswahlkriterien werden – auf Kosten von Qualität und Geschmack.

Mit der Konzentration des Landbesitzes und der Landwirtschaft verschwinden in Rumänien die kleinen und mittleren Betriebe und leidet das ländliche Leben generell. Diese Art großer Investitionen in Land verhindert jede vielfältige, dynamische sozioökonomische und kulturelle Entwicklung im ländlichen Raum. Das Phänomen ist nicht nur zerstörerisch, sondern auch gefährlich und antidemokratisch. Denn es führt auch zur Konzentration von Information, von Boden und Naturressourcen sowie Finanzmitteln in den Händen einiger weniger. Es ist höchste Zeit, bei Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft und politischen Entscheidungen darüber auch ethische Gesichtspunkte einzubeziehen.

Aus dem Französischen von Bernd Stößel

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erschienen in Ausgabe 10 / 2013: Landrechte: Auf unsicherem Boden
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