Pulverfass Kolumbien

Am 1. August wurde der Freihandelsvertrag der Europäischen Union mit Kolumbien in Kraft gesetzt – zumindest vorläufig, bis alle EU-Mitglieder ihn ratifiziert haben. Das hat die landesweiten Proteste angeheizt, die Kolumbien erschüttern.

Der symbolische Zündfunke für die Proteste liegt schon ein Jahr zurück: die brutale Räumung einer ländlichen Lagerstelle und die Vernichtung von 70 Tonnen Reis aus „illegalem“ lokalem Anbau im Juli 2012. Seit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit den USA im vergangenen Jahr setzt die kolumbianische Regierung das schon länger geltende Verbot aller nicht bei den Agrarbehörden registrierten Saaten und Sorten durch. Damit wird Saaten-Multis wie Monsanto aus den USA oder Syngenta aus der EU Tür und Tor zum Saatgutmarkt in Kolumbien weit geöffnet. Das Verfahren zur Registrierung ist so teuer und langwierig, dass Kleinbauern es sich für ihre vielen lokalen Sorten nicht leisten können.

Saaten und lokale, eigene Sorten von Kaffee, Zwiebeln, Tomaten, Reis, Kartoffeln und anderen Grundnahrungsmitteln sind zum Kernthema der Bauernproteste geworden. Hinzu kommen andere Konflikte, vor allem um die Landverteilung. Die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos hatte nicht zuletzt mit dem Versprechen einer Landreform den autoritären Vorgänger Uribe vor drei Jahren aus dem Amt gedrängt. Doch seitdem hat sie zugelassen, dass große Agrarkonzerne wie die brasilianische Semilla, die israelischen Marhav oder der US-Konzern Cargill sich die besten Böden für Großplantagen für Zuckerrohr und Ölpalmen unter den Nagel reißen. In den vergangenen Jahren sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen fünfeinhalb Millionen Kolumbianer aus den ländlichen Regionen vertrieben worden. Im August schlossen sich Fischer, Bergleute, LKW-Fahrer, Studenten, Gewerkschaften und Personal der Gesundheitsversorgung den Bauernprotesten an.

Bolivien sieht Kolumbien als abschreckendes Beispiel

Der Kabinettschef von Boliviens Präsident Evo Morales verwies bei einem Besuch im EU-Parlament in Brüssel Anfang September auf die verheerende soziale Entwicklung in Kolumbien als Grund dafür, weshalb Bolivien zusammen mit Ecuador den Freihandelsvertrag mit der EU nicht eingegangen sei. Aus demselben Grund forderte ein breites Bündnis von Menschenrechts- und Lateinamerikagruppen in Brüssel Parlamente und Regierungen der EU-Länder auf, den Vertrag mit Kolumbien abzulehnen. Das Abkommen tritt erst in Kraft, wenn alle EU-Staaten es ratifiziert haben. Eine Delegation aller belgischen Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen und der Gewerkschaften erklärte vor dem belgischen Parlament: „Dies ist der schlimmste neoliberale Vertrag, den die EU bisher erstellt hat, und er soll auch noch Modell für weitere künftige Abkommen sein.“

In der Tat brüstete sich die EU-Kommission in einem Memorandum zum G8-Gipfel im Juni in Schottland, sie sei „der Welt größter Handelspartner“ und habe schon 28 Handelsverträge zustande gebracht. Für neun weitere seien die Verhandlungen abgeschlossen und mit noch einmal elf Partnern seien Verhandlungen aufgenommen worden.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2013: Landrechte: Auf unsicherem Boden
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