Ein Ex-Guerillero am rechten Rand

privat
Wandlungsfähig: Richard Lüers in seinem Restaurant in San Salvador. Er nennt sich selbst einen „Liberalen mit sozialen Grundsätzen“.
Als studentenbewegter Linker zog Richard Lüers in den Bürgerkrieg von El Salvador. Dort schloss er sich dem „Revolutionären Volksheer“ an. Heute nimmt er täglich für ein rechtes Boulevardblatt Politiker aufs Korn.

Seine Geschichte erinnert ein wenig an die von Horst Mahler, jenem deutschen Rechtsanwalt, der im „Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ war, dann bei der „Roten Armee Fraktion“ – und heute bei den Neonazis seine politische Heimat gefunden hat. Auch Richard Lüers ist den Weg von ganz links nach ganz rechts gegangen. 1980 zog er als studentenbewegter junger Mann in den Bürgerkrieg nach El Salvador. Er schloss sich dem „Revolutionären Volksheer“ (ERP) an, dem linksradikalsten unter den fünf bewaffneten Verbänden der „Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí“ (FMLN).

Schnell stieg er auf zu dessen wichtigstem Propagandisten. Sein publizistischer Gegner auf der Seite der rechtsextremen Todesschwadronen war damals Enrique Altamirano, der Besitzer des Kampfblatts „El Diario de Hoy“. In seinen täglichen Leitartikeln forderte Altamirano unverblümt dazu auf, Gewerkschafter, Oppositionspolitiker oder kritische Kirchenleute zu ermorden. Altamirano hat seine Meinung seither nicht geändert. Seine Zeitungen sind in El Salvador noch immer der letzte publizistische Schützengraben des Kalten Kriegs, ganz rechts außen.

Autor

Toni Keppeler

ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.

Kommentator seines in der Nachkriegszeit gegründeten Boulevardblatts „¡Mas!“ ist  – Richard Lüers. Die Machart der dort erscheinenden Meinungsrubrik hat der Ex-Guerillero  vom „Bild“-Kolumnisten Franz Josef Wagner kopiert. Täglich nimmt er einen anderen Politiker sehr persönlich aufs Korn. Auch im Mutterblatt Altamiranos taucht er regelmäßig als „politischer Analyst“ auf. Der alte Rechtsradikale hat ihn 2007 als Kolumnisten geholt und 2009 in den Rat der Herausgeber seiner Zeitungen aufgenommen.

Lüers ist ein gemachter Mann. Er schreibt nicht nur, zusammen mit seiner salvadorianischen Frau besitzt er ein gut gehendes Restaurant in der Hauptstadt San Salvador, im Viertel der alteingesessenen Reichen. Er hat ein Ferienhaus im schicken Tourismusdorf Suchitoto und fährt einen großen Geländewagen. Er ist kein armer Schlucker, wie so viele der ehemaligen Guerilleros. Er gehört zum kleinen Zirkel der Macht. Und doch wirkt er immer mürrisch. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass er auch einmal lächelt – es sei denn spöttisch oder süffisant.

Von extrem links nach ganz rechts – Lüers erzählt die Geschichte so, als sei er sich immer treu geblieben. Als sei er ein kritischer Kopf, der sich von niemandem etwas vormachen lässt. Er ist 1944 in Osnabrück geboren, kam 1967 nach Berlin und hat dort an der Technischen Universität Literaturwissenschaft und Linguistik studiert. „Ich bin da in der 68er-Bewegung rumgeschwommen“, sagt er. Er hat in einer Betriebsgruppe bei Osram mitgearbeitet, „um Arbeiter und Studenten in einer Bewegung zusammenzubringen“, und blieb dort auch nach dem Staatsexamen 1972 – „als Mechaniker mit gefälschtem Facharbeiterbrief“.

Damals sah er seine Zukunft als linker Gewerkschafter in der Fabrik. „Ich wollte aber unbedingt auch ein paar Jahre nach Lateinamerika.“ Die Region war ihm in Solidaritätsgruppen ans Herz gewachsen. Er bewarb sich beim Deutschen Entwicklungsdienst und bekam eine Stelle in Ecuador. In den Monaten, in denen er auf seinen Einsatz wartete, half er bei der noch jungen Berliner „tageszeitung“ (taz) aus. Die lancierte damals die Kampagne „Waffen für El Salvador“, mit der mehrere Millionen Mark für die FMLN gesammelt wurden.

Lüers ist in der Ultrarechten El Salvadors inzwischen hoch geachtet

Bei einem Treffen sagten ihm Vertreter des „Revolutionären Volksheers“,  er solle statt nach Ecuador doch nach El Salvador gehen. Die Guerilla brauche einen Mechaniker, um ein Radio im Untergrund und eine Einheit für Dokumentarfilme aufzubauen. Im Januar 1980 reiste Lüers über Managua nach El Salvador, getarnt als Korrespondent für die „tageszeitung“ und den Evangelischen Pressedienst. „Das war natürlich ein guter Einstieg“, sagt er heute. „Ich brachte einen Koffer voller Geld von der taz mit.“

Lüers nahm den Kampfnamen „Paolo“ an, unter dem er bis heute firmiert. Die Tarnung als Korrespondent ließ sich nicht lange durchhalten. „Du kannst nicht auf zwei Geigen gleichzeitig spielen“, sagt er. Schon damals sei es zu Auseinandersetzungen mit der politischen und militärischen Leitung seiner Guerillagruppe gekommen. „Die wollten platte Polit-Pamphlete sehen.“ Lüers dachte moderner, mehr mit dem Kopf eines Public-Relations-Managers. Er wollte Propagandafilme machen, die daherkommen sollten wie unabhängige Dokumentationen über die Grausamkeiten des Bürgerkriegs. Das hielt er für überzeugender.

Als der Friedensvertrag mit der Regierung 1992 schon absehbar war, wurde Lüers in die Medienkommission der FMLN geschickt, um die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Auch da sei es zum Streit gekommen. „Die Comandantes wollten Parteimedien haben.“ Er aber wollte eine unabhängige kritische Zeitung und hat die zusammen mit anderen FMLN-Dissidenten 1994 gegründet. Das Geld kam vor allem von der Heinrich-Böll-Stiftung.

„Primera Plana“ war tatsächlich etwas Neues auf dem salvadorianischen Medienmarkt: Ein unabhängiges hintergründiges Wochenblatt, das nach rechts genauso schoss wie nach links. Lüers fungierte als Geschäftsführer. Nach einem guten halben Jahr war die Zeitung pleite. Die Macher hatten sich finanziell völlig übernommen und keine Ahnung vom lokalen Anzeigenmarkt. „Ich war noch ein paar Monate mit der Abwicklung beschäftigt, dann stand ich vor dem Nichts.“ Sein Sohn war gerade auf die Welt gekommen, kein Geld im Haus. Er erwog, zurück nach Berlin zu gehen und dort als Taxifahrer zu arbeiten.

In der Parteihymne heißt es: „El Salvador wird das Grab der Roten sein.“

Doch dann verkauften seine Geschwister ein Ferienhaus der Familie, er bekam 40.000 Mark. Das war der Grundstock von „La Ventana“, einer Bar im Stil einer deutschen Studentenkneipe aus den 1970er Jahren. So etwas hatte es vorher in El Salvador nicht gegeben. Das Lokal, zunächst in einer Mittelklassegegend gelegen, wurde Treffpunkt von Journalisten, Künstlern und Bohemiens. Ein paar Jahre später zog es um ins Reichenviertel. Das Publikum hat sich der Umgebung angepasst.

In seinen Jahren als Kneipier fing Lüers an, nebenher zu schreiben. Zunächst als Kolumnist und Moderator einer politischen Debatte für die Internetzeitung „El Faro“, von der er sich schnell im Streit wieder trennte. Seine Kontakte in die damals rechte Regierung, die er in dieser Zeit geknüpft hatte, nahm er mit. Er begann einen öffentlich kaum wahrgenommenen Blog, den er mit vielen verbitterten Kommentaren gegen seine ehemaligen Waffenbrüder füllte. Dann rief der Sohn von Enrique Altamirano an.

Paolo Lüers ist in der Ultrarechten El Salvadors inzwischen so hoch geachtet, dass ihn der Präsident der langjährigen Regierungspartei ARENA um den Entwurf für ein neues Parteiprogramm bat. Die Partei war von Roberto D’Aubuisson, dem Chef der rechten Todesschwadronen, gegründet worden, die Mitglieder verehren ihn bis heute wie einen Heiligen. In der Parteihymne heißt es noch immer: „El Salvador wird das Grab der Roten sein.“ Lüers sollte diesem Zirkel aus Industriellen und Großgrundbesitzern einen moderneren Anstrich verpassen und lieferte. Was ihn ärgert: „Der größte Teil davon ist in Schubladen verschwunden. Nur ab und zu tauchen Ausschnitte in Reden auf.“

Sich selbst freilich will er nicht in die ultrarechte Ecke gestellt sehen. Er nennt sich einen „Liberalen mit sozialen Grundsätzen“. Bisweilen kokettiert er in seinen Texten mit seiner Vergangenheit als Guerillero. Sicher, sagt er, er stehe heute näher bei der Rechten als bei der Linken – aus einem einfachen Grund: „Bei der Rechten werde ich gehört.“ Dass ihm die politischen Erben der Todesschwadronen deshalb zuhören, weil er sagt, was sie denken, fällt ihm schon lange nicht mehr auf.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2013: Solidarität: Was Menschen verbindet
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