Wenn unsere Wirtschaftsweise verändert werden soll, ist einer der zentralen Ansatzpunkte die Art, wie Geld geschöpft und in Umlauf gehalten wird. Banknoten und Münzen der nationalen Währungen wie US-Dollar, Euro, thailändische Baht oder nigerianische Naira werden von der jeweiligen Zentralbank ausgegeben. Der weitaus größte Teil dieser Gelder, bei uns rund 97 Prozent, wird jedoch von Geschäftsbanken in Form von elektronischem Kredit geschöpft. Mit Zins und Zinseszins verleitet dieses Geld zu Spekulation, Profitgier und nicht nachhaltigen Investitionen. Es mag für den üblichen nationalen und internationalen Handel die richtige Art Währung sein. Doch benachteiligte Gruppen oder Regionen werden weiter ins Abseits gedrängt, wenn zum Beispiel lokale Firmen kaum oder nur zu hohen Zinsen Kredit erhalten. Um unser Geldsystem zu ändern, stehen zwei Strategien zur Wahl. Man kann sich für Veränderungen am System der konventionellen Währungen einsetzen. Dazu muss man sich den übermächtigen Interessen des Finanzwesens direkt entgegenstellen. Die andere Möglichkeit ist, Nischen ausfindig zu machen, in denen sich neue Währungssysteme ansiedeln lassen, und darauf hinzuarbeiten, dass sie sich zu funktionsfähigen Alternativen entwickeln. Dies geschieht mit komplementären und kommunalen Währungen.
Autor
Leander Bindewald
ist seit Juli 2012 Mitarbeiter der britischen New-Economics-Stiftung und Experte für komplementäre Währungen.Diese wollen die primäre Geltung des konventionellen Geldes nicht in Frage stellen. Doch wo es mit Regionen abwärts geht, die Menschen ihre Existenz bedroht sehen, ihre Belange nicht berücksichtigt werden und der gesellschaftliche Zusammenhang sich auflöst, ist das Einsatzgebiet für komplementäre und solidarische Währungen. Anders als nationale Währungen sind sie grundsätzlich nur für eine bestimmte Zielgruppe und einen bestimmten Raum konzipiert. Sie werden freiwillig genutzt und zielen darauf, durch vielfache Nachahmung, nicht durch Ausdehnung ihres engen Geltungsbereiches, wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz zu erlangen.
Lokale Währungen sind heute ein weltweites Phänomen. Sie gehen in ihrer modernen Form auf die Zeit zurück, als sich im Gefolge der Ölkrisen der 1970er Jahre und der amerikanischen Rezession der frühen 1980er Jahre der Neoliberalismus international durchsetzte. Damals entstand auch eine völlig andere Strategie zur Überwindung wirtschaftlicher Notlagen: Lokale Währungen sollten die betroffenen Regionen stärken und sie von den Krisen der globalen Wirtschaft abkoppeln. Im Westen Kanadas entstanden damals die ersten selbstgeschöpften Währungen, die bald unter dem Namen Local Exchange Trading Systems, kurz LETS, weltweit bekannt und nachgeahmt wurden. Mit LETS kaufen Verbraucher und Erzeuger in der Region ein. So wachsen die Identifikation mit der eigenen Region und das Verständnis für ihre Wirtschaftsstruktur. Die lokale Währung sorgt durch eine Art Kettenreaktion für stärkere und stetigere Umsätze der einheimischen Unternehmen.
Kann die Wirkung solch begrenzter Währungen auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlen?
Wenige Jahre nach dem Aufkommen der LETS breitete sich mit sogenannten Zeitbanken eine weitere Form des alternativen Wirtschaftens aus: Wer eine Stunde lang eine Dienstleistung liefert, erwirbt eine Zeitgutschrift und kann dafür eine Stunde lang die Dienste eines anderen Teilnehmers in Anspruch nehmen. Diese Zeitwährungen orientieren sich an der Solidarität, dem wechselseitigen Geben und Nehmen und am Respekt gegenüber allen Mitgliedern einer Gemeinschaft, in der niemand ausgrenzt wird. Heute gibt es unzählige Zeitbanken, vor allem in sozialen Brennpunkten, aber auch an Orten, wo man sie nicht erwarten würde wie in der Londoner City, dem Zentrum der Finanzwelt.
In den Medien und in der Wirtschaftswissenschaft herrscht die Meinung vor, solche idealistischen Bestrebungen würden sich gesamtgesellschaftlich nie durchsetzen; bestenfalls könnten sie sich nach einem Zusammenbruch der Finanzsysteme kurzfristig als nützlich erweisen. Tatsächlich wurden in Krisenzeiten immer wieder spontan inoffizielle Zahlungsmittel genutzt. So waren während der Weltwirtschaftskrise seit 1929 viele Arten von Notgeld in Europa und in den USA in Umlauf. Auch nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Argentinien 2001 entstanden Tausende kleine Tauschwährungen, wie sie in ähnlicher Form jetzt in Griechenland und Spanien zu finden sind.
Doch kann die Wirkung solch begrenzter Währungen auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlen? Können sie während einer Krise dazu beitragen, die Wirtschaft insgesamt zu stärken und kleine oder mittlere Unternehmen zu stützen? Aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ist ein einziges komplementäres Währungssystem erhalten geblieben: die Schweizer WIR-Bank. Sie existiert seit fast 80 Jahren, wird von mehr als 60.000 mittelständischen Unternehmen im ganzen Land genutzt und machte in ihrer komplementären Währung, dem WIR-Franken, im Jahr 2010 einen Umsatz im Gegenwert von 1,63 Milliarden regulären Franken.
Der Wert des WIR entspricht stets dem des Schweizer Franken. So muss kein Geschäft, das ihn akzeptiert, deshalb seine Preisschilder ändern oder bei der Steuererklärung Komplikationen in Kauf nehmen. Doch diese Währung ist nicht über die Finanzmärkte zu erhalten, sondern allein über die Genossenschaftsbank. So ist es möglich, dass die Nutzer des WIR für Darlehen und Überziehungskredite nur sehr geringe Zinsen zahlen, selbst in Zeiten, in denen teure Kredite die Wirtschaft lähmen. Die beteiligten Unternehmen konnten sich so über viele Jahrzehnte günstig finanzieren und ihre Zulieferer und ihre Angestellten regelmäßig bezahlen. Manche Wirtschaftswissenschaftler sehen in der WIR-Währung einen der Gründe dafür, dass die Schweizer Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg stabil geblieben ist.
Ihr Erfolg ist bisher einzigartig. Doch die Grundidee hat viele der heute bekanntesten lokalen Währungen beeinflusst: das Regiogeld in Deutschland und die britischen Transition Currencies. Dahinter stehen immer gemeinsame Wertvorstellungen: Die Beteiligten identifizieren sich mit ihrer Stadt oder ihrer Region, sie legen Wert darauf, dass dort selbstständige Unternehmen erhalten bleiben, sie wollen die einheimische Produktion und die Vernetzung der einheimischen Wirtschaft fördern.
Der bayerische Chiemgauer, der vor kurzem zehn Jahre alt geworden ist, war die erste dieser Währungen der dritten Generation (nach LETS und Zeitbanken) und hat in Deutschland und in anderen Ländern viele Nachahmer gefunden. Eins der jüngsten Beispiele ist das englische Bristol-Pfund (£B, das seit September 2012 im Umlauf ist. Wer damit einkaufen möchte, tauscht britische Pfund Sterling gegen das Bristol-Pfund ein, entweder direkt durch Kauf der lokalen Geldscheine oder indem er per Kreditkarte oder Banküberweisung auf das persönliche £B-Internetkonto lädt und dann online oder im Laden per SMS bezahlt. Die regulären britischen Pfund bleiben so lange auf einem Treuhandkonto, bis £B dagegen zurückgetauscht werden. Mehr als 600 meist kleine selbstständige Unternehmen akzeptieren das Bristol-Pfund als Bezahlung für ihre Waren und Dienstleistungen, und viele bieten Sonderaktionen und Rabatte an, wenn mit Bristol-Pfund bezahlt wird.
Für die beteiligten Unternehmen bewährt sich das £B als Vermarktungsplattform
Heute sind bereits etwa 200.000 £B im Umlauf – eine riesige Menge im Vergleich zu anderen lokalen Währungen. Aber angesichts der Tatsache, dass in und um Bristol fast eine Million Menschen leben, ist das noch kein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Dennoch ist das Projekt eine neuartige und vielversprechende Initiative. Die Initiatoren konnten über gemeinnützige Stiftungen Startkapital einwerben und knüpften tragfähige Kontakte zu allen wichtigen Institutionen in Bristol. Als George Ferguson im November 2012 zum Oberbürgermeister der Stadt gewählt wurde, gab er bekannt, sein Gehalt ausschließlich in £B zu beziehen. Und vor allem ist eine wichtige Voraussetzung für die breite Akzeptanz einer Währung erfüllt: Die teilnehmenden Unternehmen können ihre Gemeindesteuern mit £B bezahlen. Die Konten aller £B-Nutzer werden von einer in Bristol beheimateten Bank geführt, der Bristol Credit Union.
Um Nutzer für eine solche Währung zu gewinnen und sie am Abspringen zu hindern, wurden vielerorts Bonus- und Malusregeln, also Zuckerbrot und Peitsche, eingeführt – etwa ein Plus von bis zu zehn Prozent beim Kauf des lokalen Geldes und ein Abschlag, wenn ein Betrieb die eingenommene lokale Währung in nationale Währung zurücktauschen möchte. Das hat häufig skeptische Unternehmen und vor allem öffentliche Institutionen abgeschreckt. Beim Kauf von Bristol-Pfund gibt es keinen Bonus mehr, und £B können gebührenfrei in Pfund Sterling zurückgetauscht werden. In Bristol reicht der Anreiz eines umfassenden Angebots an Einkaufsmöglichkeiten und die Botschaft: Die lokale Währung ist nachhaltig und solidarisch. Nach der Akzeptanz und dem geringen Rücktausch zu urteilen fühlen sich sowohl Unternehmen als auch Verbraucher davon angesprochen.
Für die beteiligten Unternehmen bewährt sich das £B als Vermarktungsplattform, es bringt ihnen Kunden und Kontakte zu einheimischen Lieferanten. Außerdem demonstriert ihre Beteiligung, dass sie sich mit dem Wohlergehen der Stadt identifizieren und sich für die regionale Wirtschaft einsetzen. So wecken sie Interesse an ihrem Angebot und fördern die Kundenbindung. Die Verbraucher können mit dem £B zeigen, dass sie einheimische und handwerklich gefertigte Produkte kaufen wollen; dafür bekommen sie Preisnachlässe und ein Bewusstsein für ihre Heimat. Natürlich kann man einheimische Produkte auch mit der nationalen Währung kaufen. Um ein Abfließen der lokalen Kaufkraft durch Rücktauch zu vermeiden, werden ständig neue Einkaufsmöglichkeiten in £B gerade für Betriebe gesucht. Ein Beispiele ist die Gründung von Farm-Link, einem Netzwerk von umliegenden Bauernhöfen, die Restaurants und Lebensmittelläden für £B beliefern.
Durch die Kooperation mit der Credit Union wirkt sich das Bristol-Pfund noch in anderer Hinsicht günstig auf die lokale Wirtschaft aus: Jeder Nutzer wird Mitglied der Credit Union, und weil so viele Pfund Sterling im Sonderkonto gehalten werden, wie £B im Umlauf sind, verbessert sich die Kapitalausstattung dieser kleinen und nur lokal tätigen Bank. Damit kann sie ihren Kunden erschwingliche Darlehen anbieten, vor allem auch in ärmeren Stadtteilen, deren Bewohner sonst Kredithaien und Zinswucherern zum Opfer fallen. Was häufig als Nachteil dieses Währungsmodells kritisiert wird – es entzieht dem Wirtschaftskreislauf genauso viel reguläres Geld, wie es in Form der lokalen Währung in Umlauf bringt –, erweist sich als Vorteil für die Solidarwirtschaft und die wirtschaftliche Entwicklung der Region.
Auch in Deutschland hat die Idee einer kommunalen Währung schon Fuß gefaßt
Die nächste große Frage ist, wie kommunale Währungen der lokalen Wirtschaft mit gezielter Kreditvergabe dienen können. Das WIR-Bank Modell hat sich als ein gangbarer Weg erwiesen. Einen anderen Weg beschreiten weltweit all die Firmen, die sich in Geschäftsbeziehungen gegenseitig Kredit gewähren. Wird diese alltägliche Praxis im Verbund organisiert, entstehen neue „business-to-business“-Währungen. Über alle Länder verteilt operieren bereits Hunderte solcher kommerzieller Währungen. Die Betreiber, die auch als Vermittler und Marketing-Plattformen auftreten, bewerten dabei die finanzielle Leistungsfähigkeit der beteiligten Firmen und legen einen entsprechenden individuellen Kreditrahmen fest.
Üblicherweise werden solche Währungen von einem charismatischen Einzelunternehmer gegründet und geleitet. In jüngerer Zeit aber haben genossenschaftlich strukturierte Unternehmen das Modell übernommen und es zu einem sozialpolitischen Konzept umgeformt. Jetzt sieht sogar der öffentliche Sektor darin eine neue Möglichkeit, die Solidarökonomie und die lokale Wirtschaft zu stärken. Mit ihrem Pilotprojekt „Community Currencies in Action“ prüft momentan sogar die Europäische Union im Rahmen ihres regionalen Entwicklungsprogramms, wie kommunale Währungen eingesetzt werden können, um die Lebensverhältnisse regional und lokal zu verbessern. London, Amsterdam und Nantes in Frankreich sind in diesem Projekt die Vorreiter, aber auch in vielen anderen Orten wie Oberhausen in Deutschland und Langenegg in Österreich hat diese Idee Fuß gefasst. Für viele Befürworter lokaler Währungen ist die Beteiligung des öffentlichen Sektors – neben den neuen Kommunikationstechnologien und dem wachsenden öffentlichen Verständnis für die Macht und Möglichkeit des Geldes – der Schlüsselfaktor, um unser Finanzsystem zu verändern.
Wenn man die Vielfalt der Bedürfnisse sowie die Interessen derer berücksichtigt, die im derzeitigen Geldsystem keinen Platz finden, dann reicht eine einzige Art von Währung nicht aus. Unterschiedliche Währungen, die auf verschiedenen Wertesystemen basieren, erscheinen sinnvoller. Sie können auf freiwilliger Basis in den Bereichen und für die Zwecke genutzt werden, für die sie sich eignen. So können sie einer solidarischen und demokratischen Wirtschaft den Weg bereiten, in der niemand mehr ausgegrenzt wird.
Aus dem Englischen von Anna Latz
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