Mehr als 7000 Kilometer trennen das Westjordanland und den Gazastreifen von Südafrika – die gesamte Länge des afrikanischen Kontinents. Die Sprachen, die Kulturen, die Lebensweisen könnten kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem sind die Südafrikaner den Palästinensern verbunden – und das Band ist in den vergangenen Jahren stärker geworden. Die Solidarität durchzieht die Politik, die Arbeitswelt, die Bildung und die Religion und hinterlässt dort ihre Spuren. Viele Südafrikaner sehen Zeichen eines gemeinsamen Leidenswegs mit den Palästinensern.
Der Afrikanische Nationalkongress (ANC) hat 1994 das weiße Apartheid-Regime abgelöst und Südafrika in die Demokratie geführt. Den Palästinensern stehe ihre Befreiung von Israel noch bevor, und dabei wolle man sie unterstützen, erklärt die Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS). Die vor acht Jahren gegründete Initiative ist fest in der Gesellschaft verankert. Der Großteil der Unterstützer bekennt sich zum Islam, aber auch Aktivisten aus anderen Religionen sind beteiligt. Die Gruppe ist klein, aber einflussreich.
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Sie hat renommierte Aktivisten aus dem Anti-Apartheid-Kampf hinter sich wie Erzbischof Desmond Tutu und Ahmed Kathrada, einen Begleiter des früheren Präsidenten Nelson Mandela. Sie macht weltweit gegen Israel mobil und fordert, die palästinensischen Gebiete müssten als autonomer Staat anerkannt werden. In Südafrika organisiert die Bewegung unter anderem einmal im Jahr eine „Israeli Apartheid Week“: Bei Kundgebungen, Protestmärschen und Universitätsveranstaltungen ruft sie zum Boykott Israels auf.
Erzbischof Tutu erklärte 2011, der Nahostkonflikt sei an einem Punkt angelangt, an dem nur noch internationaler Boykott helfe. Er habe im Westjordanland und im Gazastreifen die „rassisch getrennten Straßen und Siedlungen gesehen“, die an die Verhältnisse in Südafrika während der Apartheid erinnerten, so Tutu. Und er habe die Demütigung von palästinensischen Männern, Frauen und Kindern an israelischen Militär-Kontrollpunkten erlebt.
Der Erzbischof unterzeichnete als erster eine Petition von Studenten an die Universität von Johannesburg, die Partnerschaft mit der israelischen Universität Ben Gurion zu beenden. 2011 brach die Universitätsleitung die Beziehungen ab. Neben der Universität in Johannesburg unterhalten auch die Studenten in Grahamstown und Kapstadt eigene „Palästinensische Solidaritätskomitees“.
Der Vergleich von Israel mit dem Apartheid-Regime in Südafrika wird in der südafrikanischen Gesellschaft breit diskutiert. Genau wie der ANC habe auch der verstorbene Führer der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat „gegen eine einzigartige Form des Kolonialismus“ gekämpft, sagte einst Nelson Mandela. Für den Sprecher der BDS-Bewegung, Muhammed Desai, ist die Analogie „längst keine Diskussion mehr, sondern ein Fakt“. Das stimmt zumindest unter Studenten, Aktivisten und Gewerkschaftern.
Vertreter der Konservativen halten dagegen. „Der Vorwurf, Israel sei ein Apartheid-Staat, ist heimtückisch und falsch, da er den Frieden eher ausschließt, als ihn zu fördern“, erklärt etwa der ehemalige Richter Richard Goldstone, der auch als Kläger bei den Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda tätig war. Der letzte Apartheid-Präsident, Frederik Willem de Klerk, nannte den Vergleich „abscheulich“. Und der Führer der „African Christian Democratic Party“, Kenneth Meshoe, findet ihn „verleumderisch“.
Historisch jedenfalls verbanden Südafrika und Israel enge Beziehungen: Israel kooperierte seit den späten 1970er Jahren mit dem Apartheid-Regime, im Handel mit Waren und durch Militärverträge. Im Rahmen des „Israel South Africa Agreement (ISSA)“ hielten beide Staaten gemeinsam Militärtrainings ab und erforschten Waffenprogramme. Israel versorgte das Regime an Afrikas Südspitze mit Waffen, Wasserkanonen und elektrischen Grenzzäunen; im Gegenzug bekam es angereichertes Uran.
Diese Partnerschaft sei für beide Seiten notwendig gewesen, schrieb Timothy Hughes in einer Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2004: Beide Länder gehörten neben Chile und Taiwan zur sogenannten „Fünften Welt“. Sie seien gesetzlich, politisch, diplomatisch, kulturell und wirtschaftlich von der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen gewesen. „Das führte zu einer erheblichen Militärkooperation, die auch Nuklearwaffen einschloss.“
Wie die Regimes, so verbündeten sich auch die Befreiungsbewegungen, der südafrikanische ANC und die palästinensische PLO, schon früh. Ihre Führer Mandela und Arafat sahen ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Feind – obgleich dieser in verschiedener Gestalt auftrat. Die ersten Bekanntschaften wurden zu der Zeit geschlossen, als der ANC noch verboten war und seine Führer aus dem Exil in aller Welt operierten.
Laut dem US-amerikanischen Wissenschaftler Daniel Lieberfeld wurden beide Bewegungen von sowjetischen Militärs trainiert. Eng verbandelt mit dem ANC war seit jeher auch der Südafrikanische Gewerkschaftsbund (COSATU), der den Kampf der Palästinenser seit seiner Gründung 1985 unterstützt. „Wir erkannten, dass ihr Kampf viele Ähnlichkeiten mit unserem hatte“, sagt sein Sprecher Stephen Faulkner. „Wir fordern eine komplette Isolierung des israelischen Apartheid-Staates.“
Fünf Jahre nach dem Ende der Apartheid ging ein Foto um die Welt, das zum Sinnbild der neuen südafrikanisch-palästinensischen Solidarität wurde: Mandela umarmt bei einem Besuch im Nahen Osten PLO-Chef Arafat. In seiner anschließenden Rede erklärte Mandela: „Israel sollte sich aus allen Gebieten zurückziehen, die es 1967 von den Arabern genommen hat.“ Diese Haltung prägt seitdem die Außenpolitik des ANC. Im vergangenen Oktober appellierte er bei seiner dritten internationalen Solidaritätskonferenz an die Vereinten Nationen, die palästinensischen Gebiete als Staat anzuerkennen. Und er nahm das Regelwerk von „Boycott, Divestment and Sanctions“ in sein offizielles Parteiprogramm auf. Damit will er bei seinen Entscheidungen den Boykott Israels berücksichtigen.
Bereits ein Jahr nachdem der ANC an die Macht gekommen war, erkannte Südafrika die palästinensischen Autonomiegebiete als Staat an
Unterdessen brach ein Streit um die Kennzeichnung von Produkten aus dem Westjordanland aus. Südafrikas Handelsminister Rob Davies hatte angekündigt, diese mit dem Label „Hergestellt in den besetzten Gebieten“ zu versehen. Israel und die jüdische Gemeinde am Kap liefen dagegen Sturm. Nach einjährigem Streit einigte man sich im April dieses Jahres auf eine entschärfte Version: „Westjordanland: Israelisches Produkt.“ Die COSATU brachte ihren wirtschaftlichen Boykott deutlicher zum Ausdruck: Als 2009 ein Containerschiff aus Israel im Hafen von Durban anlegte, weigerten sich die Hafenarbeiter, allesamt Mitglieder der Südafrikanischen Transportgewerkschaft, aus Solidarität mit den Palästinensern, das Schiff zu entladen.
Die Position der ANC-Regierung hatte Folgen für die diplomatischen Beziehungen zu Israel. Bereits ein Jahr nachdem der ANC an die Macht gekommen war, erkannte Südafrika die palästinensischen Autonomiegebiete als Staat an und entsandte einen Botschafter. Zum ersten Mal verurteilte Israel eine Entscheidung des früheren Verbündeten. Südafrikanische Diplomaten sind bemüht, Israel nicht völlig zu vergraulen, zumal das Land als wichtiger Partner Afrikas für die Entwicklung der Landwirtschaft gilt. Gelingen will dies aber nicht so recht. Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellte 2004 fest, die Außenpolitik Südafrikas gegenüber Israel „war ein Schritt vorwärts und zwei zurück“. Daran hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert.
Davon zeugen nicht nur der Etiketten-Disput, sondern auch die diplomatischen Ausrutscher von führenden Politikern. Vizepräsident Kgalema Motlanthe meinte, die Palästinenser treffe es schlimmer als die schwarze Bevölkerung während der Apartheid. Der Vizeminister für Internationale Beziehungen, Ebrahim Ebrahim, sprach gleich eine Reisewarnung aus: „Israel ist ein Besetzerstaat, der Palästina unterdrückt. Wir raten den Südafrikanern davon ab, dorthin zu reisen.“ Israels früherer Außenminister Avigdor Liberman wiederum klagte, Südafrika, „ein Land, das so lange unter Rassismus gelitten hat“, betreibe diesen nun selbst. Die Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten Gebieten sei „dumm, absurd, diskriminierend“ und Handelsminister Davis ein „linker Extremist“.
Die jüdische Gemeinde in Südafrika steht bei solchen Wortgefechten in der Mitte, wie David Jacobson erzählt, der Direktor des Jewish Board of Deputies (SAJBD). Über die Kompromissformulierung für die Zertifizierung von Produkten aus dem Westjordanland ist er froh: „Die jüdische Gemeinschaft in Südafrika hat hart mit der Regierung zusammengearbeitet, um keine politischen, sondern verbraucherorientierte Etiketten zu schaffen.“
Doch es sei problematisch, dass der Nahostkonflikt nach Südafrika importiert werde: Auch hier würden nun Muslime und Juden gegeneinander ausgespielt. Dabei könnten „die Konfliktparteien im Nahen Osten viel von Südafrika lernen, wenn es darum geht, die Fesseln eines langen Konflikts zu sprengen“, meint Jacobson. „Alles was Israel und Palästina dazu brauchen, sind Führer wie Mandela und der letzte Apartheid-Präsident de Klerk.“ Sie seien visionär und mutig genug gewesen, zu erkennen, dass der einzige Weg zum Frieden darin besteht, einen Teil ihrer Ideologie zu opfern.
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