Welche Hilfe und für wen?

Mit der Bundestagswahl geht die erste Amtszeit von Dirk Niebel als Entwicklungsminister zu Ende. Ihre Bilanz ist zwischen Regierung und Opposition umstritten. Auch die Konzepte der Parteien für die Zukunft der Entwicklungspolitik unterscheiden sich deutlich. welt-sichten hat die entwicklungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der fünf Bundestagsfraktionen danach gefragt.

Wie gut hat Minister Niebel in den vergangenen vier Jahren Entwicklungsbelange vorangebracht und sie in der Bundesregierung vertreten?
Ute Koczy (Grüne): Er hat es klar versäumt, im Kabinett als Anwalt der Armen aufzutreten. Er setzte auf bilaterale Zusammenarbeit und hat die Kohärenz, die Vereinbarung einer stimmigen Regierungspolitik für menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung, sträflich vernachlässigt. So hat die Entwicklungszusammenarbeit unter Minister Niebel zwar ihr eigenes Feld beackert, aber wir hatten nie den Eindruck, sie bestimmt die Wirtschafts- und Handelspolitik mit. Und der Minister hatte hier auch keinerlei Ambitionen. Vielmehr hat er die Entwicklungspolitik zur Unterstützung der Außenwirtschaftspolitik eingesetzt. Ich erkenne an, dass er bei bestimmten Themen bereit war, Konflikte auszutragen. Er hat sich zum Beispiel mit Uganda oder Malawi wegen der Missachtung der Rechte von Homosexuellen angelegt. Ich vermisse diese Konfliktfähigkeit aber gegenüber bedeutenden Ländern wie China und Indien oder den Staaten in Zentralasien.

Christiane Ratjen-Damerau (FDP): Unter der Führung von Minister Niebel  hat die Bundesregierung ihre Entwicklungspolitik neu ausgerichtet. Sie ist heute deutlicher denn je eine werte- und interessengeleitete Politik auf Basis der Menschenrechte. So werden mit dem neuen Menschenrechts-TÜV alle neuen Vorhaben der bilateralen Zusammenarbeit auf menschenrechtliche Folgen überprüft. Dies gilt selbstverständlich auch für Projekte mit Indien oder Zentralasien. Außerdem wurden die Effizienz und die politische Steuerung der Entwicklungspolitik durch einen Umbau deutlich gesteigert. Minister Niebel stand in den vergangenen vier Jahren immer an der Seite der Ärmsten. Bei der Diskussion um die Verwendung von Lebensmitteln zur Energiegewinnung hat er zum Beispiel für ein Umdenken auf europäischer Ebene gesorgt.

Sascha Raabe (SPD): Minister Niebel war derjenige im Kabinett, der laut offizieller Statistik der Bundesregierung am längsten keine eigenen Tagesordnungspunkte aufgesetzt hat. Selbst als mit dem entwicklungspolitischen Konsens die Mehrheit der Abgeordneten sagte, sie wollen 1,2 Milliarden Euro mehr für Entwicklungshilfe, wollte er aus meiner Sicht nie dafür wirklich kämpfen – anders als seine Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Sibylle Pfeiffer (CDU): Woher wollen Sie das wissen? Ich war genauso wenig im Kabinett dabei und kann ebenso gut das Gegenteil behaupten. Frau Wieczorek-Zeul hat auch erst mehr Geld bekommen, als Gerhard Schröder nicht mehr Kanzler war, denn für den war Entwicklungspolitik Gedöns.

Die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) ist unter Niebel doch gestiegen, oder?
Heike Hänsel (Linke):
Ja, aber im Verhältnis zu dem, was nötig gewesen wäre, um die ODA-Quote zu erreichen, die der Minister sich selbst auf die Fahnen geschrieben hatte, hat er nichts rausgeholt – trotz Wirtschaftswachstum und wachsendem Steueraufkommen. Im vergangenen Jahr ist die ODA geschrumpft.

Die Koalition sagt, die ODA ist um 2,5 Milliarden gestiegen, aber die Opposition spricht von Kürzungen?
Raabe:
Die 2,5 Milliarden sind schlichtweg falsch. Die Steigerungen unter Niebel im Entwicklungshaushalt machen in Wahrheit in vier Jahren zusammen weniger als die Hälfte der Erhöhung aus, die allein 2009 unter Ministerin Wieczorek-Zeul erreicht wurde. Und 2013 ist der BMZ-Haushalt gesunken. Die SPD plant jetzt eine Milliarde Euro zusätzlich pro Jahr, bis die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreicht ist.

Ratjen-Damerau: Der Haushalt des BMZ und die ODA-Quote sind konstant gestiegen. Die Abschmelzung 2013 liegt daran, dass aus dem Europäischen Entwicklungsfonds Mittel nicht abgerufen wurden und automatisch zurückgeflossen sind.

Koczy: Fakt ist, es ist eine Kürzung, wenn die ODA-Quote bei 0,38 Prozent steht. Das ist ein Desaster für einen Minister und die Regierung Merkel, die mit dem Ziel 0,7 Prozent angetreten ist. Wenn Niebel so tut, als wenn er am 0,7-Prozent-Ziel festhält, dann ist dies eine bewusste Irreführung der Bevölkerung.

Dass der entwicklungspolitische Konsens aus allen Fraktionen gescheitert ist, lag aber doch auch an den Bundestagsabgeordneten, oder?
Hänsel:
Niebel hat die Initiative mit keinem Wort aktiv aufgegriffen. Alle Entwicklungspolitiker und -politikerinnen haben eher einen schwierigen Stand in den eigenen Fraktionen.

Koczy: Man muss fairerweise sagen, 372 Abgeordnete waren dafür, was prinzipiell eine Mehrheit im Parlament wäre. Aber es gab diese Mehrheit nicht innerhalb der Koalition. Die Entwicklungspolitikerinnen und -politiker haben mit vollem Einsatz gekämpft, aber letztlich haben gegenteilige Meinungen dominiert.

Pfeiffer: Die Unionsfraktion hat den Konsens unterstützt, weil jede Vorgängerregierung an dem Thema gescheitert ist. Schon da hätte es zu einem stetigen Aufwuchs kommen müssen. Ich bin leidenschaftliche Entwicklungspolitikerin, aber ich habe auch eine Gesamtverantwortung. Nur auf den Entwicklungshaushalt zu gucken, kann ich mir im Wahlkreis nicht leisten, wenn wir zugleich über Rentenerhöhungen oder Straßenbau reden. Und eine Haushaltskonsolidierung kommt letztlich auch der Entwicklungshilfe zugute.

Wie bewerten Sie die Reform der Durchführungsorganisationen, die Minister Niebel erreicht hat?
Raabe:
Wir sind das einzige Land auf der Welt, das immer noch technische und finanzielle Zusammenarbeit, TZ und FZ, institutionell trennt. Es wäre wünschenswert gewesen, das zusammenzulegen. Das hatte Heidemarie Wieczorek-Zeul wenigstens versucht, Niebel hatte nicht mal den Mut es zu probieren. Wir sagen jetzt auch, die kleine Lösung, also die Zusammenlegung nur der verschiedenen TZ-Organisationen, ist besser als keine. Es ist aber unfair, dass Niebel so tut, als hätte er erreicht, woran seine Vorgängerin gescheitert ist. Die kleine Reform ist zudem handwerklich nicht gut gemacht. Das Instrument der Entwicklungshelfer kommt in der neuen GIZ unter die Räder. Und in der Personalpolitik hat an vielen herausgehobenen Stellen das Parteibuch eine Rolle gespielt statt der Kompetenz.

Ratjen-Damerau: Eine Zusammenlegung von technischer Zusammenarbeit, also der GIZ, und der finanziellen Zusammenarbeit, der KfW-Entwicklungsbank, ist allein technisch schon nicht möglich, weil dafür eine neue Organisation geschaffen werden müsste, die eine neue Bankenlizenz erhält. Es ist daher fadenscheinig zu behaupten, seine Vorgängerin wäre nur deshalb nicht soweit gekommen, weil sie mehr gewollt habe. Die Reform  war eine riesige Aufgabe für die verschiedenen Organisationen, die zusammengelegt wurden. Da ist es ganz klar, dass nicht von Anfang an alles perfekt läuft und alle zufrieden sind. Aber das wird sich nach einiger Zeit legen und zurechtrütteln.

Hänsel: Auch wir wollten nicht die ganz große Fusion. Aber wir wollen die Entwicklungsfinanzierung von wirtschaftlichen Interessen unabhängig machen und daher die KfW-Entwicklungsbank und die DEG aus der KfW herausholen und als eigene Entwicklungsbank einrichten. Sie sollte vielleicht aus einem Fonds finanziert werden, auch wenn das etwas komplizierter  ist. Wir sind für eine gezielte Entwicklungsfinanzierung, vor allem für den Aufbau der lokalen Wirtschaft in den Ländern des Südens. Staatliche Förderkredite sollten nicht zuerst an deutsche Unternehmern gehen in der Hoffnung, dass für Länder des Südens etwas abfällt.

Koczy: Gegen die kleine Lösung hatte im Parlamentsausschuss doch niemand etwas. Ich kritisiere aber, dass die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Gründung der GIZ eine basisnahe  Möglichkeit aufgegeben hat, mit der Zivilgesellschaft im Süden zusammenzuarbeiten. Wie organisiert man in autoritären Staaten Hilfe jenseits staatlicher Organisationen? Die GIZ kann das offiziell nicht. Der DED ist nun Teil der GIZ, und ein neues Entwicklungshelfergesetz zu schaffen hat die Koalition verschlafen. Auch die Kompetenzen von InWEnt drohen in der GIZ unterzugehen.

Der DED und InWEnt waren doch in staatlicher Trägerschaft, oder?
Pfeiffer:
Genau, wir haben keine NGO verstaatlicht. Die Integration funktioniert nicht reibungslos, auch beim Personal in der GIZ. Aber um die KfW-Entwicklungsbank wird Deutschland von vielen Ländern beneidet. Sie ist ein gutes Instrument, um Energie- und Infrastrukturvorhaben mit Partnern wie der Weltbank zu finanzieren. Dass nur deutsche Unternehmen finanziert werden, stimmt nicht. Das tut die DEG; die KfW-Entwicklungsbank hat ihre Partner in den Ländern des Südens.

Dirk Niebel wollte bei Entwicklungsförderung stärker mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. Was hat er da erreicht?
Raabe:
Die Zahl der öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) ist gleich geblieben. Sie sollten aber besser kontrolliert werden. Zum Beispiel hat die Firma Bayer Zuschüsse angeblich für die Ausbildung von Landwirten bekommen, in Wirklichkeit scheint es um Verkaufsförderung für Pestizide zu gehen. Das spricht nicht gegen PPP, aber man muss kritisch hingucken.

Hänsel: Welche Projekte fallen denn darunter? Der Metro-Konzern zum Beispiel bekommt 200.000 Euro, um Kleinbauern in Vietnam auszubilden, damit sie ihre Produkte gemäß Metro-Standards produzieren können. Das kann dieser weltweite  Konzern doch selbst finanzieren.

Pfeiffer: Die Einbindung der Wirtschaft allein an PPP festzumachen, ist zu wenig. Sehr viel geschieht bei Mikrofinanzierung vor Ort, auch dank der KfW. Die Nachfrage nach deutschen Investitionen ist unglaublich hoch, weil wir dafür bekannt sind, auf mittelständischen Strukturen aufzubauen. Ob Metro gefördert werden sollte, ist eine andere Frage. Aber wir müssen davon weg, dass alles Wirtschaftliche schlecht ist.

Ratjen-Damerau: Die Bundesregierung hat durch die gezielte Einbindung der Wirtschaft neues Potenzial für ihre Entwicklungspolitik nutzbar gemacht. Ein Beispiel ist die Gründung der Servicestelle für die Wirtschaft, einer Anlauf- und Beratungsstelle für Unternehmen. Oder nehmen Sie die Scouts für die Entwicklungszusammenarbeit, die das BMZ in die Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern entsendet. Damit wird Aufklärungsarbeit geleistet und die schnelle Weitergabe von Informationen gewährleistet. Mich sprechen in meinem Wahlkreis auf einmal Unternehmer an und sagen, dass durch Maßnahmen des BMZ ihr Interesse für Investitionen in Entwicklungsländern  geweckt wurde. Und das hilft den Menschen dort wirklich nachhaltig.

Wo liegen die wichtigsten Aufgaben in der nächsten Legislaturperiode? Soll sich zum Beispiel die ODA mehr auf die ärmsten Länder konzentrieren?
Ratjen-Damerau:
Die Bekämpfung des weltweiten Hungers hat immer höchste Priorität. Aber wir müssen die Menschen dort unterstützen, wo  sie es brauchen. Wenn ein Kind hungert oder Jugendliche auf dem Land keine Perspektive haben und deshalb in die Slums der Großstädte ziehen, ist es egal, in welchem Land. Allerdings müssen Gesellschaften und Staaten Verantwortung übernehmen. Es ist sehr fragwürdig, wenn in Indien die einen im Luxus leben, während zwei Kilometer weiter Kinder nicht genug zu essen haben. Andererseits ist es aber wichtig, dass wir Indien beim Thema Umweltschutz oder Energie weiterhin beraten.

Raabe: Wir sollten die ODA auf die ärmsten Länder konzentrieren. Der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme ist dort eine der wichtigsten Aufgaben. Von den Schwellenländern und den Ländern aus der oberen Gruppe mit mittlerem Einkommen sollten wir fordern, dass sie selbst für die Einhaltung des Menschenrechts auf Nahrung und Gesundheit sorgen. Was Brasilien vorgemacht hat, können auch Indien oder China ohne Finanzierung von uns. Soziale Sicherungssysteme sind dort für den Staatshaushalt tragbar und rechnen sich sogar schnell selbst, weil  Menschen weniger krank oder besser gebildet sind. Aber wir wollen den Dialog mit Schwellenländern und Ländern mittleren Einkommens fortführen. Den brauchen wir für die globale Strukturpolitik und die Förderung der Süd-Süd-Kooperation. ODA ist dafür nicht entscheidend. Indien etwa könnte unsere Beratungsleistungen einkaufen.

Hänsel: Da stört mich der arrogante Ansatz: Wo können wir aus dem Norden etwas im Süden beeinflussen? China hat für die Armutsbekämpfung mehr getan als Europas Hilfe in ganz Afrika.

Raabe: Das bezweifle ich stark bei den großen Unterschieden zwischen Land und Stadt.

Koczy: Und in China lebten ja auch die meisten Armen.

Hänsel: Bolivien hat mehr staatliche Einnahmen bei den Erdgasverträgen ausgehandelt und damit Sozialprogramme aufgelegt. Das Sendungsbewusstsein, dass wir in den Ländern des Südens alles richten, muss man durchbrechen und tatsächlich auf Augenhöhe diskutieren. In Lateinamerika gibt es eine selbstbestimmte Entwicklung, die Süd-Süd-Kooperation wird ausgebaut. Mittlerweile sagen viele Länder dort, sie kooperieren lieber mit anderen Staaten als denen der EU, denn die kommt mit einem Sendungsbewusstsein und verbirgt eigentlich damit nur eigene Interessen. Für die Konzentration auf die ärmsten Länder ist sehr wichtig, die Budgethilfe stark auszubauen. Denn das ist das Hauptinstrument, um den Aufbau umfassender sozialer Sicherungssysteme zu unterstützen.

Pfeiffer: Das sehe ich anders. Es gibt Länder, die mit Budgethilfe gut umgehen, und andere, da ist sie zweifelhaft.

Welche zum Beispiel?
Pfeiffer:
Budgethilfe für Mosambik läuft auf die Finanzierung der regierenden Partei hinaus. Da habe ich etwas dagegen. Was die Schwellenländer angeht: Mit China haben wir gar keine EZ mehr. Bei der Zusammenarbeit mit Indien oder Brasilien geht es um Klimaschutz, Umwelt oder Energie. Diese Zukunftsfragen müssen wir gemeinsam lösen. Das Geld für diese Zusammenarbeit kommt mal aus dem Etat des BMZ, mal aus dem des Umwelt- oder Wirtschaftsministeriums.

Sollte man die Aufgaben im BMZ bündeln und dieses Ministerium künftig auch internationale Aufgaben etwa des Umwelt- oder Wirtschaftsministeriums wahrnehmen?
Koczy:
Wir betrachten Entwicklungspolitik unter dem Gesichtspunkt, globale Probleme global anzugehen: den Klimawandel, fragile Staaten, die Welternährung, die Rohstoffverknappung. Das Ziel ist eine sozial-ökologische Transformation. Dafür braucht man einen großen Ansatz und internationales Auftreten. Wir plädieren für ein Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung, um die Schnittstellen genauer zu bestimmen, besser auf die globalen Herausforderungen eingestellt zu sein und besser zusammenzuarbeiten. Kohärenz ist meiner Meinung nach ein entscheidendes Thema für die nächste Legislaturperiode. Für den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen, für die Energie- und Agrarwende im globalen Süden oder die Friedensarbeit muss man zudem mit anderen Gebern zusammenarbeiten. Bilaterale Hilfe ist hier eine Sackgasse.

Heißt das, Sie wollen die Ressorts neu zuschneiden, etwa dem BMZ neue Kompetenzen oder eine Art Koordinationsrolle zuweisen?
Koczy:
Ein Schnellschuss bringt hier nichts. Zunächst müssen die Widersprüchlichkeiten des Regierungshandelns auf den Tisch. Deshalb wollen wir in der neuen Legislaturperiode eine Enquetekommission zu „Kohärenz in einer Welt im Wandel“ auf den Weg bringen. Die soll dann Veränderungen vorschlagen. Parallel dazu sollen alle Ministerien, die nach außen handeln, veranlasst werden, gemeinsam nachzudenken. Umwelt, Handel und Entwicklungspolitik können eigentlich nicht mehr unabhängig gesehen werden, um nur drei Beispiele zu nennen.

Funktioniert das denn im Parlament?
Pfeiffer:
Das hängt sehr an den beteiligten Personen und ist für das Parlament auch nicht einfach. Wir als Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) fordern seit zwei Jahren, dass uns alle ODA-Mittel gemeldet werden, die in anderen Ministerien als dem BMZ ausgegeben werden. Da haben wir Papiere bekommen, das ist eine wahre Freude. Hier gibt es noch Verbesserungsbedarf.

Koczy: Da geht es nur um die ODA-Koordination, die liegt im BMZ.

Pfeiffer: Sie funktioniert aber nicht richtig.

Ratjen-Damerau: Die Bundesregierung hat große Fortschritte bei der Koordinierung der ODA-Mittel erreicht. Es gibt jetzt einen  Ressortkreis Technische Zusammenarbeit und Transparenz auf Staatssekretärsebene und eine zwischen den Ministerien abgestimmte Position der Bundesregierung zur ODA-Koordinierung vom April 2012. Im BMZ ist dazu das neue Referat „Kohärenz, Zusammenarbeit in der Bundesregierung“ eingerichtet worden. Aber wir können noch besser werden.

Ist globale Strukturpolitik eine Überforderung der Entwicklungspolitik – zumal wenn man Schwellenländern keine ODA mehr geben will?
Koczy:
Natürlich darf man nicht in die Omnipotenzfalle tappen. Entwicklungspolitik ist nur ein Teil einer globalen Strukturpolitik. Wenn man globale Probleme tatsächlich angehen will, dann kommen sehr wohl Wünsche und Anforderungen nach Zusammenarbeit. Hier lässt sich viel bewegen. Da kann man durchaus die Frage stellen,  ob das noch klassische EZ ist oder Schwellenländer bei uns bestimmte Unterstützung abrufen, um gemeinsam Veränderungen auf dem Weg zu bringen. Die GIZ und KfW bieten solche Dienstleistungen an.

Ratjen-Damerau: Deutschland hat die Zusammenarbeit mit globalen Entwicklungspartnern verstärkt – das sind aufstrebende Länder mit großer globaler oder regionaler Bedeutung. Im Zentrum steht dort jetzt der Schutz des Klimas und  der Umwelt und  die Mitgestaltung globaler Entwicklungsagenden. Unsere finanzielle Zusammenarbeit konzentriert sich auf strukturbildende Investitionen. Dabei setzen wir darauf, dass Steuergeld verstärkt mit privaten Mitteln verbunden wird. Außerdem setzen wir auf den Ausbau von Dreieckskooperationen. Das ist keine Überforderung der Entwicklungspolitik, sondern eine gemeinsamen Übernahme von weltweiter Verantwortung.

Hänsel: Dreh- und Angelpunkt der globalen Politik sind das Weltwirtschaftssystem und die Handelspolitik. Verzichtet man auf ein Freihandelsabkommen und die darin festgelegte Liberalisierung und Privatisierung, wie zuletzt in Abkommen der EU mit Kolumbien, dann bringt das mehr als hundert Entwicklungsprojekte. Wir wollen die Handelspolitik ändern, so dass die ländliche Entwicklung im Süden gestärkt statt zerstört wird. Ein Schutz für die eigene Wirtschaft ist wichtig, um sie aufzubauen, wie wir in Asien gesehen haben. Im Parlament gehen die Diskussionen zu so verstandener Kohärenz sehr weit auseinander. Es wird eine große Aufgabe sein, die Debatten so neu zu organisieren, dass Entwicklungsaspekte stärker in der Wirtschaftspolitik bedacht werden und umgekehrt. Ich kann mir vorstellen, die Zuständigkeit für die Handelsmandate der EU in das BMZ zu verlagern.

Raabe: Wir sind in der SPD durchaus für freien Handel, wenn er den Ärmsten dient und es Schutzmechanismen für sie gibt. Aber im Kern stimme ich Heike Hänsel zu. Die Einwirkung auf die Handels-, Wirtschafts- und Agrarpolitik war genau ein Anliegen von Heidemarie Wieczorek-Zeul. Gute reine Hilfsprojekte gab es auch bevor sie das Ministerium übernahm. Der Quantensprung war zu sagen, wir mischen uns im Sinne der Kohärenz auch in Bereiche ein, wo unsere Politik Projekterfolge im Süden wieder zunichtemacht – zum Beispiel EU-Exporte von Milchpulver eine mühsam aufgebaute Milchwirtschaft. Es kostet aber viel Kraft, sich mit anderen Ressorts anzulegen. Deshalb wollen wir das BMZ zu einem Ministerium für globale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung umwandeln.

Pfeiffer: Nichts anderes wollen wir alle. Die Frage ist, was wir darunter verstehen. Ich orientiere mich am Machbaren: Dass wir transparenter miteinander umgehen und der Informationsfluss aus den anderen Ministerien über ODA-Finanzierungen besser wird. Ich habe in Partnerländern festgestellt, dass das Umweltministerium dort Projekte macht, die wir in der klassischen EZ gar nicht machen könnten. Das ist in Ordnung. Die Frage ist, ob man das bündeln kann.

Wollen Sie mehr, Herr Raabe – etwa einen anderen Zuschnitt der Ressorts?
Raabe:
Wir würden die Humanitäre Hilfe ins BMZ zurückholen, aber wir haben nicht den Allmachtsanspruch, auch die komplette Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben. Wir wollen wie Frau Pfeiffer, dass das BMZ zum ODA-Prüfministerium wird. Es kann Vorteile haben, Projekte woanders abzuwickeln, aber das BMZ muss dafür sorgen, dass alle Programme kohärent aufeinander abgestimmt sind.

Hänsel: Aber Kohärenz ist doch nicht bloß eine Frage der Koordinierung von Entwicklungsprojekten, sondern eine politische Frage. Es geht weniger darum, in welchen Ministerien die ODA angesiedelt ist, sondern welche Art Außenpolitik gemacht wird. Wenn ich etwa Rüstungsgüter in den Süden exportiere, konterkariere ich damit Entwicklungsansätze. Hier hat Herr Niebel doppelte Standards: Er spricht viel von Menschenrechten, aber er war als Mitglied im Bundessicherheitsrat, der Rüstungsexporte genehmigt, immer ein aktiver Befürworter der Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien.

Das Gespräch führten Bernd Ludermann und Marina Zapf

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"...dass die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Gründung der GIZ eine basisnahe Möglichkeit aufgegeben hat, mit der Zivilgesellschaft im Süden zusammenzuarbeiten. Wie organisiert man in autoritären Staaten Hilfe jenseits staatlicher Organisationen? Die GIZ kann das offiziell nicht. Der DED ist nun Teil der GIZ, und ein neues Entwicklungshelfergesetz zu schaffen hat die Koalition verschlafen." Das ist so nicht richtig. Ich arbeite als Entwicklungshelferin für die GIZ. Wir arbeiten sehr wohl noch basisnahe und in einigen Ländern ist die Integration der Entwicklungshelfer sehr gut gelungen. Die Entwicklungshelfer existieren noch und arbeiten auch noch unter dem Entwicklungshelfergesetz. Die Informationen hier sind schlicht sehr unzureichend recherchiert und wiedergegeben von den Interviewten.

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Dazu möchte ich zweierlei anmerken:
1. Zum Fusionsprozess:
Sie schreiben, die Integration ist "in einigen Ländern sehr gut gelungen." Was ist mit den übrigen? Woran liegt es , dass die Bilanz so unterschiedich ausfällt? Ich meine, es lag (und liegt so weit ich das noch beurteilen kann) an der Steuerung des Prozesses der Integration. Wo war die politische Steuerung oder auch nur Monitoring des Prozesses? wie kommt es dass bei der Umsetzung einer Fusion, die sich auf über 100 Länder erstreckt keine Implementierungsbegleitung durch eine externe Beratung zum Einsatz kam?
2. der DED war nicht rein staatlich. Der Anteile der zivilgesellschaftlichen Organisationen war gering , aber für die Legitimation nicht unerheblich. dieser Anteil wurde aufgekauft und in sofern wurde der DED doch durch die Integration verstaatlicht.

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