Was kommt nach den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs)? Zurzeit scheint es auf einen einheitlichen und umfassenden Zielkatalog für soziale und ökologisch nachhaltige Entwicklung hinauszulaufen, sogenannte Sustainable Development Goals (SDGs). Dies empfiehlt unter anderem das von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon eingesetzte hochrangige Panel zu einer neuen Entwicklungsagenda in seinem Abschlussbericht von Ende Mai. Auch die Staatenvertreter in der Arbeitsgruppe zu globalen Nachhaltigkeitszielen, die der UN-Gipfel in Rio de Janeiro Mitte 2012 ins Leben gerufen hat, bewegen sich in diese Richtung.
Auf dem Papier ist ein integrierter Ansatz ein Fortschritt. Er bedeutet Ziele für alle Staaten, nicht nur für arme – und zwar nicht nur für Armutsbekämpfung, sondern auch für Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Sicherheit sowie Umwelt- und Klimaschutz. Die sind zwar grundsätzlich schon in zahlreichen Abkommen und Gipfelbeschlüssen festgehalten, teils (wie die Menschenrechte) völkerrechtlich verbindlich. Mit den SDGs wären aber alle Länder aufgefordert, ihr Wirtschaftsmodell auf Nachhaltigkeit zu überprüfen.
Doch Papier ist geduldig. Welche Wirkungen sind in der Praxis zu erwarten? Ein Rückblick auf die MDGs liefert Anhaltspukte: Die Millenniums-Erklärung der UN-Generalversammlung von September 2000 fordert auch Fortschritte bei Frieden, Umweltschutz und den Menschenrechten. Doch nur das Kapitel zu Entwicklung und Armutsbekämpfung wurde in einzelne, mit Messwerten und Zeitplänen verbundene Ziele umgesetzt, eben in die MDGs. Das hat viele Regierungen armer Länder sowie die Geber von Entwicklungshilfe bewogen, mehr Geld für Sozialdienste bereitzustellten. Dadurch haben die MDGs wesentliche Fortschritte bei der Bildung und vor allem der Gesundheit gebracht. Was sie auf anderen Gebieten bewirkt haben, ist nicht so klar; für den Rückgang der Armut zum Beispiel waren sie weniger entscheidend als der wirtschaftliche Erfolg Chinas und Vietnams. Und die Industrieländer haben ihre wenigen Pflichten – etwa faire Welthandelsregeln zu schaffen – kaum erfüllt.
Im Idealfall können Nachhaltigkeitsziele laufende Prozesse der ökologischen Modernisierung beschleunigen – viel mehr aber nicht
Inwieweit mahnen neue SDGs ökologische Nachhaltigkeit nicht bloß erneut an, sondern setzen überprüfbare Ziele? Der Bericht des hochrangigen Panels ist dafür an einigen Stellen wegweisend. So sollen die Erträge der Landwirtschaft erhöht werden – und zwar vor allem durch umweltverträgliche Steigerungen bei Kleinbauern. Die Forderung nach universellem Zugang zu moderner Energie wird verbunden mit den Zielen, den globalen Anteil der erneuerbaren Energien zu verdoppeln und die Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen. In anderen, entscheidenden Fragen kommt der Bericht aber über allgemeine Prinzipien nicht hinaus, etwa die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen und das Weltfinanzsystem besser zu regulieren.
Das ist kein Zufall. Was „gute“ Regeln für Finanzmärkte sind, ist heiß umstritten. Beim Klimaschutz ist Konsens, dass die Emissionen global verringert werden müssen, aber an der Frage, welche Länder wie stark reduzieren sollen, scheitern die Verhandlungen regelmäßig. Im SDG-Prozess werden die Diplomaten nun feilschen, wie man längst akzeptierte Grundsätze des nachhaltigen Wirtschaftens in überprüfbare Vorgaben für jedes Land verwandelt. Aber sie werden dabei kaum durch die Hintertür globale Regeln für Klimaschutz oder Steuerflucht einführen, wenn das doch auf den dafür zuständigen Konferenzen immer wieder scheitert. Die SDGs mit dieser Erwartung zu befrachten, ist kontraproduktiv.
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Wohl können sie einen begrenzten Nutzen haben, auch über die Bekämpfung der Armut hinaus: SDGs können ökologisch angepasste Entwicklung da fördern, wo technische Lösungen zur Verfügung stehen, die politisch wenig heikel sind. Genau dort waren die MDGs erfolgreich: Sie haben mehr Moskitonetze, Schulen und Medikamente gebracht, aber kaum bessere Regierungsführung oder faire Welthandelsregeln.
Entsprechend können SDGs zusätzliche Anstöße für den Einsatz erneuerbarer Energien, effizienter Technik oder einer „grünen“ Stadtplanung geben. Im Idealfall beschleunigen sie laufende Prozesse der ökologischen Modernisierung und bringen armen Ländern solche Modelle nahe. Sie werden aber weder jene Interessengegensätze mildern, die bisher wirksamen Klima- und Meeresschutz oder die Unterbindung der Steuerflucht verhindern. Noch werden sie gar die sozial-ökologische Wende in Industrie- und Schwellenländern auslösen. Für diese entscheidende Aufgabe ist politischer Druck aus den betroffenen Gesellschaften selbst gefragt. Ein Schleichweg über die globale Bühne wird sich da nicht finden.
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