Wer im Mittelalter reisen wollte, musste an vielen Stellen Wegezoll an die Landesherren entrichten. Heute muss für Reisen in der Welt der digitalisierten Kenntnisse vielfach Zoll gezahlt werden: Für die meisten öffnet sich das Tor dazu nur, wenn sie für die Nutzung der Computer und der auf ihnen laufenden Programme, die aus einer endlosen Folge von Nullen und Einsen wieder Buchstaben, Töne oder Bilder machen, Lizenzen gekauft haben. Denn das geistige Eigentumsrecht an den meisten Betriebssystemen von Computern, ihren Anwendungsprogrammen sowie den Instrumenten zur Verschlüsselung und Übertragung in und zwischen den Geräten halten eine Handvoll privater Konzerne: Microsoft und Intel für die PC-Gerätschaften, CISCO für das Routing im Internet, Adobe für die Formate von Schriften, Tönen und Bildern.
Verlässliche Zahlen dazu sind nicht leicht zu bekommen. 2011 fielen laut der Welthandelsorganisation WTO 270 Milliarden US-Dollar Einnahmen aus IT-Lizenzen an. Davon gingen rund 40 Prozent in die USA, 35 Prozent in die Europäische Union, 15 Prozent nach Asien, ganze 0,7 Prozent nach Lateinamerika und 0,4 Prozent nach Afrika. Die Weltbank hat andere Zahlen, aber in der gleichen Größenordnung. Und auch aus den Daten des Weltverbands der Software-Industrie „Business Software Association“ (BSA) lässt sich dieselbe Botschaft ablesen: Mit dem weltweiten Umsatz der Computer-Industrie von rund 1,5 Billionen US-Dollar jährlich (einschließlich der Hardware) wird kräftig von Süd nach Nord umverteilt.
Der Nutzer der Endgeräte bekommt freilich nur die Spitze des Eisbergs zu sehen: Die Lizenzabgaben sind zumeist in den Gerätepreisen und den Gebühren für den Zugang zum Internet versteckt. Doch wenn Microsoft sein Betriebssystem Windows verändert oder das neueste Flash-Format von Adobe nicht mehr läuft und der Computer damit zum Elektroschrott wird, werden die Lizenzgebühren direkt spürbar: Für neue Software, mit der ein neuer Rechner erst nutzbar wird. Eine Spitzenleistung des Geschäftsmodells „geplanter Verfall“, mit dem im Rhythmus weniger Jahre der Gebrauchswert solcher Geräte schlagartig auf Null gesetzt wird.
In Brasilien und China wird auch mehr lizenzfreie sogenannte offene Software eingesetzt
Die BSA beklagt, dass die Schwellenländer inzwischen zwar 45 Prozent der weltweit vertriebenen IT-Hardware kaufen, aber nur 20 Prozent der Software. Dieser Logik zufolge betreiben sie also massenhaft „Piraterie“. Doch zutreffend ist vermutlich, dass dort wie hier in etwa gleichem Maße „illegal“ kopierte Software benutzt wird. In Brasilien und China wird hingegen auch mehr lizenzfreie sogenannte offene Software eingesetzt – ein Geschäftsverlust für die Lizenzfürsten, die versuchen, ihr Terrain zu sichern. So sollen Zertifikate und Schulungskurse von Microsoft und CISCO die lokalen IT-Techniker und IT-Händler an die Marken-Software binden. Philantropisch anmutende Kampagnen an Schulen und Universitäten gewöhnen die IT-Nutzer von Kindesbeinen an den Gebrauch der lizenzpflichtigen Programme. Mitunter liegt der Verdacht von Korruption nicht fern, wenn wie vor Jahren in Sambia alle IT-Verantwortlichen der Regierung bei einer UN-Fachtagung von einer der Lizenzfirmen tagelang im besten Hotel der Hauptstadt bewirtet werden.
In der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) wehrte sich die Gruppe der Industrieländer jahrelang heftig gegen einen Ausschuss zur „Development Agenda“, bis der 2010 schließlich von den Entwicklungsländern durchgesetzt wurde. Er soll abstecken, welchen Freiraum für national angepasste Lösungen das WTO-Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) bietet. Erst bei der jüngsten WIPO-Tagung Mitte Mai ist ein Beschluss zustande gekommen, wenigstens eine Untersuchung darüber anzusetzen, wie freie und offene Software-Systeme (FOSS) regulativ abgesichert werden können.
Dabei haben die sich längst als ebenbürtig zu lizenzpflichtigen Programmen erwiesen – und als sicher gegen Sabotage und bösartige Angriffe. Deshalb sind laut einer Umfrage des Fraunhofer-Institutes gut ein Fünftel der Banken und Versicherungen bereits darauf umgestiegen. Doch trotz der möglichen Einsparungen sind öffentliche Verwaltungen sehr träge dabei, sich aus den Fesseln teurer Lizenzverträge zu lösen.
Die ideologische Schlacht gegen den Umstieg der Stadtverwaltung München auf FOSS machen die in scheinbar technischen Details verkleideten Angriffe der Konzerne deutlich: Microsoft, die weltgrößte Softwarefirma, beauftragte Hewlett Packard, den weltgrößten Hardwareproduzenten, mit einem Gutachten zu den Kosten der Umstellung. Es war weder der Stadtregierung noch der Öffentlichkeit zugänglich, doch einzelne Ergebnisse wurden sehr verzerrt gezielt gestreut. All dem hielt die Rechnung der Münchner Stadtregierung zwar stand, wonach die nahezu zehn Jahre lange Umstellung gut zehn Millionen Euro Steuern eingespart hatte. Aber würde die Stadtverwaltung von Quito oder Kinshasa so einer konzertierten Kampagne widerstehen können?
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