Auch der Westen spielt jetzt mit offenen Karten in Syrien. Im Mai ließ die Europäische Union auf Betreiben von Frankreich und Großbritannien das Waffenembargo auslaufen und machte damit den Weg frei für Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen. Kurz darauf zogen die USA nach und kündigten an, die Aufständischen mit Kriegsgerät auszustatten. Washington erklärte, man tue das, weil das syrische Regime Chemiewaffen eingesetzt habe. Doch diese Begründung ist nur vorgeschoben: Tatsächlich geht es darum, dass sich in den vergangenen Wochen die Gewichte im syrischen Krieg aus westlicher Sicht ungünstig verschoben haben.
Paris und London waren da schon ehrlicher: Vor allem die britische Regierung stellte klar, man wolle den Druck auf Assad erhöhen, um ihn zu einem Einlenken – sprich: zur Aufgabe – zu bewegen. Denn nachdem die syrische Armee die strategisch wichtige Stadt Al Kusair von den Rebellen zurückerobert hatte, sah es auf einmal so aus, als könnte das Regime nun doch noch siegen in diesem Krieg – und damit auch seine wichtigsten Verbündeten Russland, Iran und die Hisbollah aus dem Libanon.
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Genau das aber wollen Europa und die Vereinigten Staaten verhindern. Denn der Konflikt in Syrien hat sich längst zu einem Stellvertreterkrieg ausgewachsen, in dem die wichtigsten Spieler im Nahen und Mittleren Osten um Einfluss in der Region ringen. Die syrische Zivilbevölkerung wird dabei von allen Beteiligten skrupellos als Geisel genommen. Zugleich eskaliert in Syrien einmal mehr der innerislamische Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, angeheizt von den wichtigsten Kontrahenten am Persischen Golf, Saudi-Arabien und Iran; beide nutzen diesen Glaubensstreit dazu, ihre politische Konkurrenz auszutragen. Es ist verantwortungslos, unter diesen Bedingungen noch mehr Waffen nach Syrien zu schicken. Und es beruhigt auch nicht, dass Washington und London versichern, man werde, wenn überhaupt, nur solche Rebellengruppen ausrüsten, die damit vernünftig umgehen und keine inakzeptablen Ziele verfolgen. So hatte sich der Westen das auch in Afghanistan und im Irak gedacht: In beiden Fällen ist es schief gegangen.
Für eine friedliche Lösung in Syrien dürfte es zu spät sein – nach fast 100.000 Toten und Millionen Menschen auf der Flucht
Auf der anderen Seite ist bei den angekündigten Waffenlieferungen viel Symbolik im Spiel. Denn Europa und die USA verschiffen längst regelmäßig Gewehre und Munition ins Kriegsgebiet – wenn auch bislang nur verdeckt über ihre Verbündeten Saudi-Arabien und Katar. Jeder politische Entscheidungsträger in Europa weiß das – was die sorgenvoll vorgetragenen Bedenken des deutschen Außenministers Guido Westerwelle gegen direkte Lieferungen so verlogen macht. Man könne auch um die Ecke liefern, bemerkte der Syrien-Kenner und Mitarbeiter der Frankfurter Hilfsorganisation medico international, Martin Glasenapp, unlängst mit Blick auf die deutschen Rüstungsgeschäfte mit den Ölmonarchien am Golf.
So heuchlerisch das Taktieren der Bundesregierung ist, so hilflos sind manche Einwände von Kritikern der Politik des Westens. Es müsse eine friedliche Lösung gefunden werden, heißt es oft. Doch dafür dürfte es längst zu spät sein – nach fast 100.000 Toten und Millionen Syrern auf der Flucht. Dieser Krieg wird mit der Niederlage einer Seite enden, und der britische Außenminister William Hague hat recht, wenn er sagt, es sei keine Lösung akzeptabel, bei der Assad an der Macht bleibt. Wie soll eine „friedliche Lösung“ aussehen mit einem Präsidenten, der Wohnviertel in den Städten seines Landes bombardieren lässt und das in Interviews nonchalant damit rechtfertigt, man müsse „die Terroristen“ jagen, „wohin sie auch gehen“?
Auch die Kritik, der Westen habe sich zu früh auf die Seite der Aufständischen geschlagen, ist falsch. Zum einen suggeriert sie, es gebe in diesem Krieg nur Täter, aber keine Opfer. Assad aber hat den Krieg angefangen – gegen eine unbewaffnete zivile Opposition, die sich dann zur Wehr gesetzt hat. Zum anderen hat sich der Westen keineswegs zu stark, sondern im Gegenteil viel zu schwach mit den Rebellen solidarisiert: Um die zivile Opposition, die im Osten und im Norden Syriens an vielen Orten rudimentäre staatliche und demokratische Strukturen aufgebaut hat, hat man sich in den westlichen Hauptstädten nie ernsthaft gekümmert.
Dem Westen und seinen Gegnern geht es in Syrien vor allem um die eigenen Interessen und um die Macht in der Region. Geopolitische Erwägungen diktieren seine Entscheidungen und nicht etwa die Frage, was das Beste wäre für ein demokratisches Syrien nach Assad. „Leider werden die Syrer allein gelassen“, sagte die libanesische Politikwissenschaftlerin Doreen Khoury im Mai in „welt-sichten“. Daran hat sich nichts geändert.
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